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Session: 27.08.2021

Welches Ausmass die Verbreitung invasiver gebietsfremder Pflanzenarten – sogenannte invasive Neophyten – mittlerweile angenommen hat, wird gerade in diesen Tagen deutlich sichtbar. Entlang von Strassen und Bahngleisen, auf Ruderalflächen, in Privatgärten, auf Firmengeländen sowie auf Wiesen und Weiden blühen unter anderem das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus), Goldrutenarten (Solidago spp.) oder der Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii). Pro Pflanze werden tausende Samen produziert und über die Luft verschleppt, wodurch die Pflanze ihr Fortbestehen über Jahre und Jahrzehnte hinweg zu sichern versucht.

Die rasante Verbreitung dieser Pflanzen ist nur einer von vielen Gründen, weshalb die wirksame Bekämpfung invasiver gebietsfremder Pflanzen konsequent und kontinuierlich erfolgen muss. Verschiedene Neophyten führen auch zu gesundheitlichen Schäden wie beispielsweise Allergien (z. B. Ambrosia) oder verbrennungsähnlichen Hautschädigungen (z. B Riesen-Bärenklau). Mit Neophyten belastetes Erdreich muss bei Bauvorhaben ausserdem fachgerecht entsorgt oder am selben Ort wiederverwendet werden, was ebenfalls zu vermeidbarem Mehraufwand führt. Schliesslich ist auch die Landwirtschaft gefordert, denn sie muss ihre Anstrengungen weiter intensivieren, um ihr Kulturland frei von Neophyten zu halten.

Der schier endlos wirkende Kampf gegen invasive gebietsfremde Arten verlangt nicht nur eine klare, wirksame Strategie, sondern auch Ausdauer und das Mitwirken Betroffener wie die Grundeigentümer – sprich Bund, Kantone, Gemeinden, öffentlich-rechtliche Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen. Angesichts der deutlich wahrnehmbaren Verbreitung scheinen die aktuellen Massnahmen nicht auszureichen. Auf Bundesebene sind daher Bestrebungen im Gange, die wirksame Bekämpfung gesetzlich neu zu regeln.

Gemäss Freisetzungsverordnung (FrSV) sind die Kantone in der Pflicht, die Organisation und Koordination der Bekämpfung invasiver Neophyten an die Hand zu nehmen und für ein wirksames Neophyten-Management zu sorgen. Aus diesem Grund stellen wir Ihnen dazu folgende Fragen:

  1. Wie beurteilt die Regierung die aktuelle Situation und das Schadenspotenzial invasiver Neophyten in Graubünden?
  2. Was unternimmt der Kanton, um die unkontrollierte Verbreitung invasiver Neophyten – wie beispielsweise das Einjährige Berufkraut oder Goldrutenarten – zu unterbinden?
  3. Wie sieht die wirksame mittelfristige Neophyten-Bekämpfungsstrategie (Neophyten-Management) der Regierung konkret aus?

27. August 2021

Stocker, Hefti, Lamprecht, Atanes, Baselgia-Brunner, Brandenburger, Brunold, Buchli-Mannhart, Cahenzli-Philipp, Caluori, Cantieni, Caviezel (Chur), Censi, Crameri, Degiacomi, Della Cà, Deplazes (Rabius), Dürler, Favre Accola, Florin-Caluori, Geisseler, Gort, Hitz-Rusch, Horrer, Hug, Kasper, Kienz, Kunfermann, Loepfe, Märchy-Caduff, Michael (Donat), Müller (Felsberg), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Paterlini, Preisig, Ruckstuhl, Salis, Schutz, Schwärzel, Tanner, Thomann-Frank, Ulber, von Ballmoos, Widmer-Spreiter (Chur), Wieland, Adank-Arioli, Büsser, Costa

Antwort der Regierung

Neophyten sind gebietsfremde Pflanzen, welche seit Beginn der Neuzeit (ca. 1500 n. Chr.) durch den Menschen über den globalisierten Handel und die weltweit gestiegene Mobilität absichtlich aus anderen Kontinenten nach Graubünden eingeführt oder unabsichtlich eingeschleppt wurden. Breiten sich diese Arten stark aus und gefährden dadurch einheimische Ökosysteme, Lebensräume und Arten, werden sie als invasiv bezeichnet. Von den rund 12 000 gebietsfremden Arten Europas kommen mindestens 800 in der Schweiz vor. Davon gelten 107 als invasiv (Stand 2019) – Tendenz steigend. 58 dieser Arten wurden auch im Kanton Graubünden nachgewiesen. Gebietsfremde invasive Arten können Pflanzen, Tiere oder Pilze sein.

Zu Frage 1: Das Risiko, also das Schadenpotenzial in Kombination mit der Eintrittswahrscheinlichkeit, welches durch invasive gebietsfremde Organismen entstehen kann, ist in Graubünden regional bzw. lokal unterschiedlich. Die Betroffenheit variiert sowohl aufgrund der Präsenz einer Art und derer negativen Eigenschaften als auch aufgrund der Nutzungsformen bzw. Standortansprüche. Die grosse Vielfalt, welche den Kanton Graubünden auszeichnet, widerspiegelt sich auch in der Belastung durch invasive Neophyten. Die kantonale Strategie von 2009 zu invasiven Neophyten in Graubünden trägt dieser Tatsache Rechnung. Für die Landwirtschaft werden die Neophyten zunehmend zu einem Problem, da sie sich auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) ausbreiten, Futterpflanzen verdrängen und damit die Futterqualität vermindern. In intensiv genutzten Flächen dürfte das Problem tendenziell weniger gross sein als in den extensiv genutzten Flächen wie Biodiversitätsförderflächen und ökologischen Ausgleichsflächen.

Zu Frage 2: Mit Regierungsbeschluss vom 31. Mai 2011 (Prot. Nr. 514/2011) wurde das Amt für Natur und Umwelt (ANU) damit beauftragt, ein Netzwerk von kommunalen Ansprechpersonen für invasive Neophyten aufzubauen. Diese rund 80 von den Gemeinden bezeichneten Ansprechpersonen werden regelmässig geschult und in Form eines Neobiota-Newsletters mit den neuesten Informationen zu diesem Thema bedient. Immer mehr Gemeinden haben bereits ein kommunales Neophytenkonzept (inkl. Massnahmenpaket) erlassen oder sind mit dessen Ausarbeitung beschäftigt.

Die betroffenen kantonalen Dienststellen (ANU, Amt für Landwirtschaft und Geoinformation [ALG], Amt für Wald und Naturgefahren [AWN], Amt für Gemeinden [AFG], Amt für Jagd und Fischerei [AJF], Tiefbauamt [TBA], Hochbauamt [HBA], Plantahof, Bündner Naturmuseum) beteiligen sich in der Arbeitsgruppe invasive Neobiota Graubünden (AGIN GR). Das ANU unterstützt individuell die Dienststellen sowie die Gemeinden bei der Ausbildung der Mitarbeitenden. Jede betroffene kantonale Dienststelle berücksichtigt im Rahmen ihres Auftrags und der verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen die Neophytenproblematik.

Die Landwirtschaft ist gemäss der Verordnung über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft (Direktzahlungsverordnung, DVZ; SR 910.13) verpflichtet, die Ausbreitung von Problempflanzen und damit auch von Neophyten zu bekämpfen. Sind Flächen übermässig mit Problempflanzen befallen, müssten diese Flächen aus der LN ausgeschlossen werden. Das ALG hat gemeinsam mit dem ANU das Vorgehen bei der Bekämpfung von Problempflanzen geregelt. Betroffenen Landwirtschaftsbetrieben wird bei einem übermässigen Befall eine artspezifische Bekämpfungsfrist gewährt.

Zu Frage 3: Das ANU ist gemäss Regierungsbeschluss vom 9. Mai 2000 (Prot. Nr. 798/2000) für die Gesamtkoordination und den Vollzug der Verordnung über den Umgang mit Organismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung, FrSV; SR 814.911) zuständig. In Zusammenarbeit mit dem AWN hat das ANU 2009 die Strategie zu invasiven Neophyten an die im Jahr 2008 revidierte FrSV angepasst. Sie umfasst grob die folgenden Punkte:

  • Unterbinden der Freisetzung (verbotene Arten nach Anhang 2 FrSV und generell durch Sensibilisierung);
  • Monitoring und Analyse der Entwicklung (Datenerhebung und -auswertung);
  • Verhindern der weiteren Ausbreitung generell und im Speziellen von gesundheitsgefährdenden Arten (z. B. Ambrosia) durch bspw. Verschiebung oder Lagerung von biologisch belastetem Bodenaushub;
  • Verhindern der weiteren Ausbreitung in sensiblen Gebieten (z. B. Bekämpfung durch Zivildienstleistende in Biotopen von nationaler Bedeutung).

In den Jahresberichten zum Thema invasive gebietsfremde Pflanzen in Graubünden erfolgt neben Rückblick und Analyse der Entwicklung auch ein iterativer Prozess zur Validierung und Anpassung dieser Strategie.

Aus Sicht der Regierung gilt es, mit einer Revision der Strategie zu invasiven Neophyten in Graubünden abzuwarten, bis die Teilrevision des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01) abgeschlossen ist.

22. Oktober 2021