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Session: 08.12.2021

Das Areal Sennhof wurde im Zuge der Realisierung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Cazis Tignez einer neuen Nutzung zugeführt. Ein Investorenwettbewerb entschied darüber, wer das Baurecht erhält. Wie bekannt, gewann das Projekt «Kontinuum» den Investorenwettbewerb und erhielt den Zuschlag für das Baurecht. Im Bericht des Beurteilungsgremiums führt die Investorengruppe des Projektes «Kontinuum» in der Beschreibung und Dokumentation der Projektstudie unter anderem aus: «Der Neubauteil bietet preisgünstige Genossenschaftswohnungen, vorwiegend für Familien, aber auch für den heute dringend nötigen Wohnraum für das Alter. Ein belebter öffentlicher Sennhof für alle Altersklassen ist somit garantiert» («Bericht des Beurteilungsgremiums – Investorenwettbewerb Areal Sennhof», S. 43.)
Online: WEB_Bericht_Investorenwettbewerb_Sennhof

Wie mittlerweile öffentlich bekannt (siehe Beitrag im SRF-Regionaljournal Graubünden vom 15. April 2021), werden – trotz dem ursprünglichen Versprechen der im Investorenwettbewerb eingereichten Pilotstudie – keine preisgünstigen Genossenschaftswohnungen realisiert. Ganz im Gegenteil werden Eigentumswohnungen im oberen Preissegment erstellt. Eine in der Junisession von der Regierung beantwortete Anfrage in diesem Zusammenhang konnte nicht erhellen, warum es zum Wortbruch kam.

In der öffentlichen Debatte rund um die Nichtrealisierung der versprochenen Genossenschaftswohnungen auf dem Sennhof Areal äusserte sich die Präsidentin der Genossenschaft bainviver, die ebenfalls Baurechtsnehmerin beim Kanton ist. Sie führte im SRF-Regionaljournal vom 21. April 2021 aus, dass die Baurechtsverträge des Kantons es erschweren würden, gemeinnützigen Wohnungsbau zu realisieren (siehe Beitrag im SRF-Regionaljournal Graubünden vom 21. April 2021).

Vor diesem Hintergrund werden der Regierung folgende Fragen gestellt:

  1. Entsprechen die Baurechtsverträge des Kantons generell und spezifisch jener der Investorengruppe «Kontinuum» den heute üblichen Standards, wie sie in anderen Kantonen/Städten bei der Realisierung von Genossenschaftswohnungen zur Anwendung kommen?
  2. Ermöglichen die Baurechtsverträge des Kantons einem gemeinnützigen Wohnbauträger oder einem Investor, der (zumindest einen Teil) seiner Wohnungen nach Kostenmiete vermieten will, in den Genuss eines «Fonds de Roulement»-Darlehens zu kommen?
  3. Falls die Fragen 1 und 2 ablehnend beantwortet werden, warum ist das der Fall?
  4. Falls die Fragen 1 und 2 ablehnend beantwortet werden, welche gesetzlichen Grundlagen müssten angepasst und/oder neu geschaffen werden, damit die Fragen 1 und 2 in Zukunft positiv beantwortet werden können?

 

Chur, 8. Dezember 2021

Horrer, Wilhelm, Perl, Atanes, Baselgia-Brunner, Caviezel (Chur), Degiacomi, Gartmann-Albin, Hofmann, Preisig, Rettich, Rutishauser, Schwärzel, Pajic, Spadarotto, Tomaschett (Chur)

Antwort der Regierung

Mit Antwort vom 22. Juni 2021 (Prot. Nr. 563/2021) hat die Regierung zur Anfrage Horrer vom 21. April 2021 betreffend Areal Sennhof Chur die Rahmenbedingungen des durchgeführten Investorenwettbewerbs sowie die Entscheidkriterien für die Baurechtsvergabe erläutert. In ihrer Antwort wies sie zudem auf die Gesetzesvorgaben des Finanzhaushaltsrechts hin, welche dem Kanton die Abgabe von Liegenschaften im Finanzvermögen zu marktüblichen Werten vorschreiben (vgl. dazu auch Antwort der Regierung vom 13. März 2013 zur Anfrage Michel betreffend Umnutzung Sennhof: Ein Gefängnis das Freiraum ermöglicht und Antwort der Regierung vom 23. August 2017 zur Anfrage Widmer-Spreiter betreffend wie weiter mit dem Sennhof?).

Zu Frage 1: Die Baurechtsverträge des Kantons wie jener zum Areal Sennhof entsprechen schweizweit üblichen Standards. Eine vergünstigte Abgabe von Bauland ist dem Kanton aufgrund der finanzrechtlichen Vorgaben nicht erlaubt. Durch die Abgabe von Grundstücken unter dem Marktwert vermindert sich das Finanzvermögen des Kantons, was finanzrechtlich einer Ausgabe gleichkommt und immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Eine solche fehlt in der kantonalen Gesetzesordnung. Die vom Kanton verwendeten Baurechtsverträge sind deshalb auch nicht auf die spezifischen Eigenheiten von preisgünstigen Genossenschaftswohnungen ausgerichtet.

Zu Frage 2: Die Anforderungen zum Erhalt eines zinsgünstigen "Fonds de Roulement"-Darlehens für die Bereitstellung von preisgünstigen Wohnungen ergeben sich aus der Wohnraumförderungsgesetzgebung des Bundes und sind sehr strikt. Im Ergebnis sind diese Vorgaben nicht kompatibel mit den marktüblichen Standards von Baurechtsvergaben. Die im Rahmen eines Investorenwettbewerbs bekanntzugebenden Konditionen des Baurechtsvertrags müssten von Anbeginn konsequent auf gemeinnützigen Wohnungsbau ausgerichtet sein, damit die "Fonds de Roulement"-Auflagen erfüllt werden können.

Zu Frage 3: Um in den Genuss eines "Fonds de Roulement"-Darlehens zu kommen, müssten die Baurechtsverträge in mehreren Punkten von üblichen Vorgaben der freien Marktwirtschaft abweichen. Baurechte an gemeinnützige Wohnbauträger zeichnen sich in der Regel durch die Festlegung eines tieferen Baurechtszinses sowie durch Nutzungseinschränkungen (z.B. Kostenmiete, Mindestbelegung oder Auflagen an die Mieterschaft bezüglich Einkommens- und Vermögensgrenzen) und Zusatzvereinbarungen (z.B. altersgerechtes Bauen, Erstellung von Flächen zur öffentlichen Nutzung wie Kindergärten oder Quartierzentren oder Kunst am Bau) aus. Diese Anforderungen des "Fonds de Roulement" lassen sich mit den geltenden Grundsätzen des Finanzhaushaltsrechts nicht in Einklang bringen.

Zu Frage 4: Der Kanton betreibt heute, wenn auch in bescheidenem und geografisch klar abgegrenztem Rahmen, Wohnbauförderung. Diese konzentriert sich aufgrund des vom Grossen Rat 2006 beschlossenen Ausstiegs aus dem sozialen Wohnungsbau auf die Verbesserung der Wohnverhältnisse im Berggebiet (vgl. Grossratsprotokoll vom 12. Juni 2003, S. 13). Gestützt auf die kantonale Gesetzgebung über den sozialen Wohnungsbau und die Verbesserung der Wohnverhältnisse im Berggebiet (BR 950.250) werden jährlich Investitionsbeiträge von insgesamt rund 1,3 Mio. Franken ausgerichtet. Unterstützt werden die in bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebende bäuerliche wie auch nichtbäuerliche Bevölkerung aller Talschaften des Kantons in den Hügel- und Bergzonen gemäss landwirtschaftlicher Zoneneinteilung.

Die Wohnbauförderung mittels vergünstigter Baulandabgabe (z.B. an ansässige Familien) wird heute je nach Erfordernis von einzelnen Gemeinden zur Steuerung des lokalen Wohnraumangebots als eine von mehreren raumplanerischen Massnahmen vorgenommen. Die bestehende Aufgabenteilung zwischen dem Kanton und den Gemeinden hat sich bewährt.

Sofern die kantonale Gesetzgebung gemäss der Antwort zur Frage 4 erweitert werden soll, wäre entweder eine Grundlage in bestehenden Gesetzen einzufügen oder ein neues Gesetz zu erlassen. Das Finanzhaushaltsgesetz sollte für sektoralpolitische Aufgaben aus Gründen der Gesetzessystematik demgegenüber nicht genutzt werden.

24. Februar 2022