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Session: 16.02.2022

In den letzten Jahren wurden die Strukturen im Kanton Graubünden grundlegend neu ausgestaltet: Die mittlere Ebene, früher bestehend aus Regionalverbänden, Bezirken und Kreisen, wurde nach dem Bottom-down-Prinzip zu einer Ebene, den Regionen, zusammengenommen. Sie haben ihre Arbeit am 1. Januar 2016 aufgenommen. Bei der Gemeindereform hat sich die Bottom-up-Strategie bewährt, wie sich aus der Botschaft der Regierung an den Grossen Rat, Heft Nr. 8/2018-2019, 11. Gemeindestrukturbericht, entnehmen lässt. Die Anzahl Gemeinden hat in den letzten 15 Jahren von 206 im Jahr 2007 auf 101 im Jahr 2022 abgenommen. Entstanden sind starke, leistungsfähige Gemeinden, die fähig sind, ihre Aufgaben rasch, effizient und bürgernah wahrzunehmen. Nachdem die (formelle) Gemeindereform im Kanton Graubünden weit fortgeschritten ist, ist es an der Zeit, zu prüfen, welche öffentlichen Aufgaben vom Kanton auf die Gemeinden (zurück-)übertragen werden können, damit diese über Entscheidungsfreiheit und Autonomie auf ihrem Territorium verfügen (materielle Gemeindereform). Im Sinne des in der Bundesverfassung (BV) verankerten Subsidiaritätsprinzips (Art. 5a BV), das zwischen allen staatlichen Ebenen gilt, sollten nämlich durch das übergeordnete Staatswesen Aufgaben nur dann übernommen werden, wenn es diese besser als die nachgelagerten Gebietskörperschaften erfüllen kann. Dabei ist der traditionell hohen Gemeindeautonomie im Kanton Graubünden gebührend Rechnung zu tragen und den Gemeinden sind materielle Aufgaben mit relativ erheblicher Entscheidungsfreiheit zu belassen bzw. zurückzuübertragen, die sie effizienter, bürgernäher und mit entsprechender Autonomie wahrnehmen können. Zu unterscheiden ist dabei einerseits zwischen neuen staatlichen Aufgaben und öffentlichen Aufgaben, die bereits heute durch den Staat wahrgenommen werden, wobei bei diesen auch unnötige gesetzliche Hürden zulasten der Gemeindeautonomie abzubauen sind.

Vor diesem Hintergrund beauftragen die Unterzeichnenden die Regierung,

a) dem Grossen Rat Bericht und Antrag zu stellen, welche materiellen Aufgaben mit relativ erheblicher Entscheidungsfreiheit der Kanton heute wahrnimmt und durch die Gemeinden besser oder mindestens so gut erfüllt werden könnten bzw. welche dieser Aufgaben auf die Gemeinden (zurück-)übertragen werden können.

b) im Rahmen des Berichtes und Antrages gemäss lit. a) aufzuzeigen, welche rechtlichen Bestimmungen in einzelnen Rechtsbereichen die volle Entfaltung der Gemeindeautonomie beschränken.

c) bei jeder Botschaft der Regierung an das Parlament aufzuzeigen, welche Auswirkungen die Vorlage auf die Gemeinden hat und wie sich die vorgeschlagene Regelung mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Föderalismus verträgt (vgl. dazu auch Art. 141 Abs. 2 lit. ater und f des Parlamentsgesetzes des Bundes).

d) bei der Erfüllung der Aufträge gemäss lit. a) bis c) die Regionen in die Betrachtungen miteinzubeziehen.

Chur, 16. Februar 2022

Crameri, Maissen, Bettinaglio, Berther, Bondolfi, Brunold, Buchli-Mannhart, Caluori, Casty, Casutt-Derungs, Clalüna, Danuser, Della Vedova, Deplazes (Rabius), Derungs, Ellemunter, Epp, Fasani, Felix, Florin-Caluori, Föhn, Geisseler, Hardegger, Kohler, Kunfermann, Lamprecht, Loepfe, Michael (Donat), Müller (Susch), Niggli-Mathis (Grüsch), Paterlini, Sax, Schmid, Schneider, Tanner, Tomaschett (Breil), Ulber, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Landquart), Bürgi-Büchel, Collenberg, Gujan-Dönier

Antwort der Regierung

Von der grundsätzlichen Absicht her rennt der Auftrag bei der Regierung offene Türen ein. Die Regierung setzte in den vergangenen Jahren verschiedene struk­turelle Projekte um, die den Föderalismus insgesamt und das Subsidiaritätsprinzip im Besonderen stärken. Der Auftrag betrifft einen zentralen Aspekt des "Finanzaus­gleichs im weiteren Sinne", zu dem die staatliche Struktur, die Verteilung der Aufga­ben sowie deren Finanzierung gehören. Diese Elemente beeinflussen, bedingen und ergänzen sich gegenseitig. Entsprechend wurde denn auch der im Auftrag erwähnte Art. 5a Bundesverfassung (BV; SR 101) am 28. November 2004 im Rahmen der Neugestal­tung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) geschaffen.

Im Rahmen der NFA zwischen Kanton und Gemeinden (Bündner NFA) schlug die Regierung eine umfassende Reorganisation der Aufgaben vor (Botschaft Heft Nr. 20/2008-2009). Von damals rund 130 geprüften Verbundaufgaben hätte bei rund der Hälfte eine Entflechtung stattgefunden. Am 7. März 2010 scheiterte die umfassende Vorlage knapp in der Referendumsabstimmung. Das Nachfolgeprojekt, die FA-Reform (Botschaft Heft Nr. 7/2013-2014), nahm erneut die Aufgabenteilung und -finanzierung unter die Lupe, wobei für die Zuteilung der Aufgaben, nebst dem Grund­satz der fiskalischen Äquivalenz, auch jener der Subsidiarität wegleitend war.

In der laufenden Aufgaben- und Leistungsüberprüfung (ALÜ) setzte die Regierung im Grundlagenkonzept vom 6. April 2021 fest, dass bei den kantonal wahrgenommenen Aufgaben eine Übertragung zu den Gemeinden zu prüfen sei, wobei keine finan­ziellen Lastenabwälzungen erfolgen dürfe. Das am 21. September 2021 verabschie­dete Detailkonzept gibt vor, dass Aufgaben einer anderen staatlichen Ebene (bspw. den Gemeinden) zugeordnet werden sollen, wenn dadurch Effizienzgewinne resultie­ren.

Die Regierung verfolgt seit Jahren konsequent die Strategie "Starke Gemeinden – starker Kanton". Die nach dem Bottom-up-Prinzip durchzuführende Gemeindereform war bislang erfolgreich. Dieser Prozess ist, nicht wie der Auftrag suggeriert, in Grau­bünden aber keineswegs abgeschlossen. Auch wenn sich die Anzahl Gemeinden innerhalb von zwei Jahrzehnten halbiert hat, so ist die Gemeindelandschaft Graubün­dens nach wie vor äusserst heterogen und der Durchschnitt der Gemeindegrösse nach Einwohnerzahlen im interkantonalen Vergleich nach wie vor klein.

Zu Punkten a und b: Die Gemeinden können selber am besten beurteilen, welche Auf­gaben sie übernehmen möchten und welche nicht (Anwendung des Subsidiaritäts­prinzips). Der geforderte Auftrag wäre deshalb nur mit substanziellem, d. h. vor allem personellem Einbezug der Gemeinden, umsetzbar. Der Aufbau einer paritätisch mit Gemeinde- und Kantonsvertretern besetzten Projektorganisation, unter Berücksichti­gung der kommunalen Heterogenität, wäre zwingend. Es ist fraglich, ob unter diesem Aspekt und so kurz nach der erfolgten umfassenden FA-Reform ein erneutes, grös­seres und mit Sicherheit mehrjähriges Projekt angegangen werden soll. Die Regie­rung wird zudem im Rahmen der ALÜ mit dem Ziel einer effizienteren staatlichen Aufgabenwahrnehmung kostenneutrale Aufgabenverschiebungen von Kantons- auf Gemeindeebene prüfen, wie sie es dem Grossen Rat in Aussicht gestellt hat.

Zu Punkt c: Als Folge des in der Augustsession 2015 überwiesenen Auftrags Albertin betreffend Stärkung der Gemeinden zeigt die Regierung bereits im Rahmen einer Vernehmlassung und später auch in den Botschaften an den Grossen Rat auf, wel­che Auswirkungen eine Vorlage auf die Aufgaben der Gemeinden, deren Kompeten­zen und Finanzen zeitigt. Die Anliegen in Frage c) werden seither laufend erfüllt.

Zu Punkt d: Im Rahmen der Gebietsreform haben Volk und Parlament der geltenden Ausgestaltung der Regionen zugestimmt. Demnach können die Gemeinden selb­ständig einer Region kommunale Aufgaben übertragen. Eine kantonale Beurteilung erscheint der Regierung als nicht zielführend und würde zudem der Absicht des vor­liegenden Auftrags, nämlich der Stärkung der Gemeinden, widersprechen.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen. 

22. April 2022