Navigation

Inhaltsbereich

Session: 02.09.2023

In diversen Kantonen sind Bestrebungen nach einer kantonalen Elternzeit im Gange. Genf hat als erster Kanton der Schweiz einer solchen im Juni 2023 zugestimmt. Nun werden auch auf Bundesebene vermehrt Forderungen nach einer nationalen Elternzeit laut. Zurzeit kennt die Schweiz für erwerbstätige Eltern den Mutter- und den Vaterschaftsurlaub. Insgesamt stehen erwerbstätigen Eltern heute zusammen 16 Wochen Elternzeit zur Verfügung. Die ersten acht sind gesetzlich verankert (Art. 35a Abs. 3 Arbeitsgesetz). Demnach gilt während dieser ersten acht Wochen ein Arbeitsverbot für Wöchnerinnen. Von den weiteren acht Wochen sind heute sechs Wochen an die Frau gebunden. Insgesamt stehen der Frau heute 14 Wochen Mutterschaftsurlaub zur Verfügung, dem Mann zwei Wochen Vaterschaftsurlaub.

Neu sollen beide Elternteile gleichberechtigt die Möglichkeit haben, bei der Erziehung mitzuwirken und nach der Geburt eines Kindes möglichst einfach wieder in den Beruf einzusteigen. Die acht Wochen nach Ablauf der gesetzlich verankerten acht Wochen Arbeitsverbot für Wöchnerinnen sollen deshalb zu einer Elternzeit zusammengefasst werden. Das bedeutet, dass die Eltern selber entscheiden können, ob und wie sie diese acht Wochen Elternzeit flexibel einsetzen möchten. Es ist möglich, dass die Elternzeit aufgeteilt und von beiden Elternteilen genutzt wird, um Teilzeit zu arbeiten und die Kinderbetreuung zu übernehmen. Auch die heutige Praxis bleibt möglich. Diese gemeinsame Elternzeit kann innerhalb von sechs Monaten nach Niederkunft des Kindes bezogen werden. Das Ziel ist eine Flexibilisierung des bestehenden Modells und damit eine finanziell tragbare Lösung für Staat und KMU.

Durch die Einführung einer flexiblen Elternzeit kann die Erwerbsquote von Frauen gesteigert und die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen, verringert werden. Eine stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert ihre finanzielle Unabhängigkeit und Rentenleistungen und ist zudem eine Massnahme gegen den wachsenden Fachkräftemangel in der Schweiz. Derzeit bleibt ein grosses Potenzial ungenutzt. 18% der teilzeiterwerbstätigen Mütter würden gerne höherprozentig erwerbstätig sein (https://ekff.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekff/05dokumentation/Positionspapiere/EKFF_Positionspapier_Elternzeit_DE.pdf). Gleichzeitig ermöglicht die Elternzeit einen schrittweisen, gesicherten Wiedereinstieg ins Berufsleben und wird damit umso relevanter für die jüngeren Generationen. Ebenfalls ermöglicht sie den Vätern, eine frühe Bindung zum Kind aufzubauen. Gemäss Eidgenössischer Kommission für Familienfragen (EKFF) wird eine gestärkte Bindung zum Kind von den Vätern als besonders wertvoll empfunden (https://ekff.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekff/05dokumentation/Elternzeit/Argumentarium_Elternzeit_D.pdf). Rund 70% aller erwerbstätigen Väter beanspruchen Vaterschaftsurlaub (https://sozialesicherheit.ch/de/ein-grossteil-der-vaeter-bezieht-vaterschaftsurlaub/ ).

Die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) verabschiedete am 22. August 2022 ihren Vorentwurf zuhanden der Vernehmlassung, damit Frauen künftig nach der Geburt eines Kindes auf allen föderalen Legislativebenen ihre politischen Mandate während des Mutterschaftsurlaubs wahrnehmen können, ohne dadurch den Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung zu verlieren (heutige Situation). Die Vernehmlassung dauerte bis am 25. November 2022. Gemäss Vernehmlassungs-bericht (https://www.parlament.ch/centers/documents/de/19-311_20-313_20-323_21.311_Ergebnisbericht%20Politikerinnen%20im%20Mutterschaftsurlaub.DE.def.pdf) hat der Kanton Graubünden als einziger Kanton auf eine Stellungnahme verzichtet. 22 Kantone befürworten die Vorlage.

Eine Änderung dieser Bundesgesetzgebung geht einher mit einer nationalen Elternzeit mit flexibler Aufteilung und flexiblem Bezug. Eine nationale Elternzeit kommt der wachsendenden Vielfalt an Familienmodellen, Lebensformen und Vorstellungen zur Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit nach. Sie ist elementar für die Gleichstellung von Mann und Frau, verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Kindes aus und ist gleichzeitig volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Personalfluktuation und damit die Rekrutierungskosten verringern sich. Mit einer Standesinitiative des Kantons Graubünden soll das nationale Parlament dazu aufgefordert werden, sich diesem wichtigen Thema zu widmen. Es sollen verschiedene Lösungen einer Elternzeit in Bezug auf ihre Chancen und Machbarkeit (Kosten, Auswirkungen auf Unternehmen etc.) geprüft werden, um schliesslich die beste und mehrheitsfähige Lösung in den politischen Prozess zu bringen.

Die Unterzeichnenden beauftragen die Bündner Regierung hiermit, im Namen des Kantons Graubünden bei der Bundesversammlung, gestützt auf Art. 160 Abs. 1 der Bundesverfassung, eine Standesinitiative einzureichen, die von den eidgenössischen Räten verlangt, einen Entwurf für einen Erlass der Bundesversammlung auszuarbeiten für die Einführung einer nationalen Elternzeit, die folgende Bedingungen erfüllt:

  1. Der gesetzlich verankerte Anteil von 8 Wochen verbleibt vollumfänglich bei der Frau.
  2. Bei einer Gesamtzeit von 16 Wochen verbleiben acht Wochen für den flexiblen Bezug der Elternzeit.
  3. Beide Elternteile sollen Anteile an der achtwöchigen Elternzeit innerhalb von sechs Monaten ab Geburt eines Kindes zeitlich flexibel beziehen können.

Chur, 2. September 2023

Bergamin, Widmer, Danuser (Cazis), Beeli, Berther, Binkert, Brunold, Collenberg, Epp, Föhn, Gansner, Kohler, Loepfe, Mani, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Said Bucher, Sax, Tanner, Tomaschett, Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart)

Antwort der Regierung

Bei der Geburt eines Kindes hat die Mutter in der Schweiz Anspruch auf einen bezahlten Urlaub von 14 Wochen, der Vater auf einen bezahlten Urlaub von zwei Wochen. Nicht vorgesehen ist ein Elternurlaub, den sich Mutter und Vater frei aufteilen können. Mütter sind nach der Geburt vom Gesetz speziell geschützt. Wöchnerinnen dürfen während acht Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden. Bis zur 16. Woche dürfen Wöchnerinnen nur mit deren Einverständnis beschäftigt werden (Art. 35a Abs. 3 Arbeitsgesetz; SR 822.11). In den 16 Wochen nach der Niederkunft darf der Arbeitgeber das unbefristete Arbeitsverhältnis nicht kündigen (Art. 336c Abs. 1 Bst. c Obligationenrecht; SR 220).

Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 183 der internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über den Mutterschutz (SR 0.822.728.3) am 4. Juni 2014 ratifiziert. Die Schweiz befindet sich heute auf dem Niveau der Mindestnorm für den Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen, die im Übereinkommen Nr. 183 festgelegt ist. Das Übereinkommen bringt erhebliche Fortschritte, indem der den Frauen während der Schwangerschaft und der Stillzeit zukommende Schutz ausgedehnt wird. Mit der Ratifikation des Abkommens erfolgte gleichzeitig die Revision des Arbeitsgesetzes, in dem das noch fehlende Prinzip der entlohnten Stillpausen während der Arbeitszeit verankert wurde.

Verschiedene OECD-Staaten kennen unterschiedlich ausgestaltete Elternzeitmodelle. Ihnen ist gemein, dass sie in deren Dauer wesentlich weitergehen als dies der vorliegende Auftrag fordert bzw. als der heute geltende Mutterschafts- bzw. Vaterschaftsurlaub in der Schweiz.

Die Bundespolitik hat sich verschiedentlich mit der Frage einer Elternzeit beschäftigt. Grundsätzlich sind Anliegen zur Ausdehnung oder Abänderung des heutigen Modells gescheitert (vgl. Parlamentarische Initiative 20.472 oder Motion 19.3847). Im September 2021 jedoch nahm der Nationalrat das Postulat 21.3961 betreffend volkswirtschaftliches Gesamtmodell (Kosten-Nutzen) von Elternzeitmodellen an, welches vom Bundesrat die Vorlage einer volkswirtschaftlichen Gesamt-Kosten-Nutzen-Analyse zur Abschätzung und Simulation der langfristigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen von verschiedenen Elternzeitmodellen unter Einbezug internationaler Erkenntnisse (Island, Schweden, Deutschland usw.) verlangt. Der Bericht des Bundesrats dazu liegt noch nicht vor.

Die Regierung steht dem Anliegen einer nationalen Elternzeit grundsätzlich offen gegenüber. Sie teilt die im Auftrag formulierten Zielsetzungen einer Elternzeit, namentlich die Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien und Beruf sowie die Linderung des Arbeits- und Fachkräftemangels.

Allerdings vermag das Anliegen in seiner konkreten Ausgestaltung und der entsprechende Antrag auf Einreichung einer Standesinitiative nicht zu überzeugen. Wie erwähnt sind bisher alle Anliegen bezüglich Anpassung des heutigen Modells gescheitert. Hingegen läuft eine Analyse. Bevor diese vorliegt, wird einer Standesinitiative kein Erfolg beschieden sein. Ausserdem erachtet die Regierung die Idee, Anreize zu setzen, den Mutterschutz derart auf das arbeitsrechtliche Minimum zu reduzieren, als dass Väter zulasten der 14 Wochen Mutterschutz ihre Elternzeit ausdehnen können, kritisch. Zudem zeigt sich in der Realität, dass Mütter, die sich aufgrund der familiären Situation unbezahlten Urlaub leisten können, diesen um rund acht Wochen verlängern. Bei Vätern ist dies nicht der Fall. Die Regierung erwartet deshalb, dass durch eine 16-wöchige Elternzeit hinsichtlich der oben formulierten Zielsetzungen sehr wenig oder keine Veränderung zu erwarten ist.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen.

26. Oktober 2023