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Session: 30.01.2001
betreffend Religionsunterricht als obligatorisches Unterrichtsfach

Das Schulgesetz des Kantons Graubünden wurde kürzlich einer umfassenden Revision unterzogen. Die in Artikel 1 genannten Bildungsziele blieben dabei unverändert. Die Schule solle u.a. die Kinder ”nach christlichen Grundsätzen zu selbständigen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gemeinschaft heranbilden”.

Der Religionsunterricht selbst wird in unserem Kanton durch die öffentlich-rechtlichen Landeskirchen erteilt. Die Schulträger haben lediglich unentgeltlich Schulräume zur Verfügung zu stellen. Zwar zählt der Religionsunterricht zu den obligatorischen Unterrichtsfächern der Schule, die Erziehungsberechtigten können ihre Kinder allerdings abmelden.

In der Praxis gibt es auch in Graubünden immer mehr Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Religionsunterricht besuchen. Ganz allgemein hat die Bedeutung der Religion in unserer Gesellschaft und somit auch in den Schulen in den vergangenen Jahren spürbar abgenommen. Zudem wird die konfessionelle Trennung des Unterrichtes heute oft nicht mehr verstanden. Sie führt in vielen Fällen auch zu immer grösseren organisatorischen Problemen.

In einer Zeit zunehmender religiöser Sprachlosigkeit und ethischer Orientierungslosigkeit muss die Schule mit neuer Kraft die Bedeutung des Religionsunterrichtes im Sinne von Art. 1 des Schulgesetzes aufnehmen. Dabei muss die religiöse Grundbildung in der Schule in einem umfassenden, das heisst jüdisch-christlichen, ökumenischen und multikulturellen Sinn verstanden werden. Als positiver Schritt in diese Richtung darf die Neugestaltung des Religionsunterrichtes am Untergymnasium der Kantonsschule Chur bezeichnet werden.

Die Regierung wird um die Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:

1. Wie hat sich der ökumenische Religionsunterricht an der Bündner Kantonsschule bewährt?
2. Teilt die Regierung die Auffassung, dass im Sinne des Zweckartikels des Schulgesetzes der Religionsunterricht an unseren Schulen neu gestärkt, aber auch weitgehend ökumenisch erteilt werden soll?
3. In welcher Form könnte sich die Regierung ein Obligatorium vorstellen?
4. Unterstützt die Regierung die Idee, es sei ein längerfristig anzustrebendes Ziel, dass der Religionsunterricht wie die übrigen Fächer auch von den Schulträgern selbst oder in geeigneter Partnerschaft mit den Landeskirchen geführt würde?
5. Ist die Regierung bereit, diesbezüglich Verhandlungen mit den Landeskirchen zu führen?
6. Setzt sich die Regierung dafür ein, dass an der PFH die zukünftigen Lehrpersonen für die Erteilung eines evtl. staatlich verantworteten Religionsunterrichtes ausgebildet werden?

Chur, 30. Januar 2001

Namen: Jäger, Locher, Arquint, Battaglia, Beck, Brüesch, Butzerin, Cathomas, Catrina, Cavegn, Caviezel, Christ, Christoffel, Claus, Dalbert, Dermont, Feltscher, Frigg, Giuliani, Gross, Hardegger, Jäger, Janett, Joos, Lardi, Loepfe, Looser, Luzi, Mani, Meyer, Noi, Patt, Pedrini, Pfenninger, Pfiffner, Ratti, Robustelli, Sax, Scharplatz, Schmid (Splügen), Schmutz, Schütz, Stiffler, Thomann, Trepp, Valsecchi, Walther, Zanolari, Zindel, Zinsli

Session: 30.01.2001
Vorstoss: dt Interpellation

Antwort der Regierung

Die in Artikel 1 des Schulgesetzes erwähnten "christlichen Grundsätze" bilden für die Lehr- und Erziehungsarbeit der Bündner Volksschule ein solides, in der Geschichte verankertes Fundament. Eine besondere Bedeutung hat der Religionsunterricht, welcher an den Bündner Volksschulen von den Landeskirchen erteilt wird. Dieser Unterricht vermittelt neben ethisch-religiösen Grundhaltungen auch konkrete religiöse Inhalte und leistet dadurch einen Beitrag zur "konfessionellen Beheimatung" der jungen Menschen. Ethisch-religiöse Werte gehören zu jeder Erziehung. Auch in einer pluralistischen Gesellschaft tragen die Lehrerinnen und Lehrer aller Unterrichtsfächer zum Aufbau der ethisch-religiösen Grundhaltungen der Kinder bei; denn jeder Unterricht wird durch die Persönlichkeit der Lehrperson mitgeprägt.

Zu den konkreten Fragen der Interpellation kann Folgendes festgehalten werden:

1. Die Neupositionierung des Religionsunterrichtes an der Bündner Kantonsschule ist mithin eine Folge der religiösen Vielfalt innerhalb der Klassen und der Maturitätsreform. Die Erteilung von Religionslehre im Klassenverband kann die Grundlage bilden, um gegenseitiges Verstehen und Toleranz in religiösen Fragen zu üben. Die Klassenführung wird vereinfacht, stellt jedoch hohe pädagogische Anforderungen an die Lehrpersonen. Konfessionell bedingte, spezielle Unterrichtseinheiten wie Firm- und Konfirmandenunterricht werden unter Anrechnung an den Religionsunterricht in der Regel ausserhalb des Schulunterrichtes besucht. Die Erfahrungen im interreligiösen Unterricht an der Kantonsschule sind gut.

2. Angesichts der grossen Bedeutung, welche der ethisch-religiösen Erziehung im Rahmen der Persönlichkeitsbildung zukommt, ist es der Regierung ein Anliegen, den "Religionsunterricht" nicht zu schwächen und Ansätze zur Ökumene zu unterstützen.

3. Ein Obligatorium könnte sich die Regierung nur für einen "Religionsunterricht" vorstellen, der so erteilt wird, dass er niemanden ausgrenzt. Ein solcher Unterricht, der von allen Schülerinnen und Schülern einer Klasse ungeachtet ihres religiösen und weltanschaulichen Hintergrundes gemeinsam besucht würde, müsste in der Regel wohl nicht nur „inter-konfessionell“, sondern "inter-religiös" erteilt werden.

4. Die Regierung steht dem in Ziffer 3 skizzierten „Religionsunterrichtsmodell“ grundsätzlich offen gegenüber. Die Initiative für eine solch grundlegende Änderung der Zielsetzungen müsste aber von den direkt betroffenen Landeskirchen ausgehen. Für diese hätte insbesondere ein „inter-religiöser“ Unterricht zur Folge, dass in Zukunft im Rahmen des Religionsunterrichts keine spezifisch konfessionellen Inhalte mehr angeboten werden könnten.

5. Die Regierung ist grundsätzlich bereit, mit den Landeskirchen bezüglich Neugestaltung des Religionsunterrichtes Verhandlungen aufzunehmen. Der Anstoss zu solchen Gesprächen muss aber klar von den öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen ausgehen. Erste Kontaktnahmen im Zusammenhang mit der Beantwortung vorliegender Interpellation zeigen, dass aus der Sicht der direkt betroffenen Konfessionen der Weg zu einem „inter-religiösen“ Unterricht derzeit noch durch viele Hürden verstellt ist.

Sollte der Religionsunterricht eines Tages in die Verantwortung des Staates übergehen, würde es selbstverständlich zur Aufgabe der Pädagogischen Fachhochschule (PFH), die zukünftigen Lehrkräfte darauf vorzubereiten. Bis zu diesem Zeitpunkt kann eine freiwillige Möglichkeit dazu angeboten werden, und zwar wie bis jetzt in Absprache mit den Landeskirchen.

27. Februar 2001