Navigation

Inhaltsbereich

Session: 10.10.2001

Die Polizeikorps verschiedener Kantone überprüfen erneut den Einsatz von dum-dum-artigen Geschossen (Deformationsgeschosse). Diese Geschosse pilzen sich beim Auftreffen auf den menschlichen Körper auf, was zu ausgedehnten und grässlichen Verletzungen führt. Im Falle von Auftreffen auf Gliedmassen bedeutet das in ca. 90% die Amputation (mit Volimantelgeschossen ca. 10%) Aus polizeitaktischer Sicht spricht man von erhöhter ”Mannstopp-Wirkung”
In der Antwort auf die einfache Anfrage von Nationalrat Rechsteiner bestätigte der Bundesrat schon am 22.9.1986, dass nach Völkerrecht die Verwendung von Munition, die unnötige Leiden provozieren, verboten ist, Dieser Grundsatz, der schon im Haager Abkommen festgelegt wurde, wurde von der Schweiz in zwei Zusatz-Abkommen zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 sowie 1980 zum UNO-Uebereinkommen über bestimmte Waffen befürwortet und bekräftigt. Weiter schreibt der Bundesrat, er sei daran interessiert, dass über die Einhaltung des Völkerrechts auf seinem Territorium keine Zweifel bestehen.
Am 9.2. 1987 bemerkte der Staatsrat des Kantons Waadt, dass der Bund rechtlich keine Möglichkeit habe, den Kantonen Vorschriften über Munitionsarten zu machen. Die vom Bundesrat zitierten völkerrechtlichen Abkommen zur Vermeidung übermässiger Leiden seien nur für bewaffnete internationale Konflikte bindend, nicht aber für die Polizeikorps! Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit falle abschliessend in die Kompetenz der Kantone.

Die Schweiz war und ist immer noch auf verschiedensten Konferenzen an vorderster Front aktiv am Verbot dieser international geächteten Geschosse beteiligt. Auf eine erneute Einfache Anfrage von Nationalrat Rechsteiner vom 19. Juni 2001 antwortete der Bundesrat kürzlich wie folgt:
”Nach Auffassung des Bundesrates ist nicht erwiesen, dass mit der neuen Deformationsmunition insgesamt ein verbesserter Schutz der Polizei und von Unbeteiligten gewährleistet ist. Die Schweiz ist überdies Depositarstaat und Vertragspartei der Genfer Abkommen von 1949 und ihrer Zusatzprotokolle von 1977 zum Schutz der am Krieg beteiligten Personen. Diese Abkommen, aber auch frühere völkerrechtliche Verträge, welche die Schweiz ratifiziert hat, enthalten den gewohnheitsrechtlichen Grundsatz, dass niemand unmenschlich behandelt werden darf. Dieser Grundsatz wird durch die Haager Erklärung von 1988 konkretisiert, welche den Gebrauch von Deformationsgeschossen verbietet. Auf Grund ihrer humanitären Tradition hat sich die Schweiz auch in jüngster Zeit im Hinblick auf die Revisionskonferenz 2001 zum Uebereinkommen von 1980 über technische Entwicklungen im Munitionsbereich eingesetzt. Es ist zwar richtig, dass das Verbot des Einsatzes von Deformationsgeschossen sich nur auf bewaffnete Konflikte bezieht und ein Verbot für den innerstaatlichen Polizeieinsatz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Es würde jedoch im Ausland kaum verstanden, wenn die Schweiz sich für eine Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts einsetzt, gleichzeitig aber im eigenen Land die Verwendung von Deformationsgeschossen für den ordentlichen Polizeidienst zulassen würde.

Der Bundesrat sagt abschliessend aus obengenannten Gründen sei er der Meinung, dass im ordentlichen Polizeidienst, ausserhalb von den in seiner Antwort vom 20. März 1987 klar umrissenen und abschliessend aufgezählten Szenerien, die Verwendung von Deforrnationsgeschossen nicht zu rechtfertigen ist.

1. Polizeieinsätze gegen schwere Gewalttäter, insbesondere Geiselnehmer, wenn sich die Verwendung aus taktischen Gründen aufdrängt und wenn sie auf die besondere Anordnung eines Polizeioffiziers erfolgt.
2. Für die Erfüllung von Polizeiaufgaben in lokal begrenzten Einsatzräumen, zum Beispiel in Flugzeugen und Flughafengebäuden, in denen die Verwendung von Volimantelgeschossen mit unverhältnismässig hohen Gefahren für Dritte verbunden wäre.
3. Für den Nahschutz gefährdeter Personen.”

Verschiedenste Vorfälle im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Schusswaffen durch die Polizei haben in letzter Zeit Aufsehen erregt. Eine Studie der polizeitechnischen Kommission zeigt auf, dass die Trefferquote der Polizei lediglich 9% ist. Von 1146 Schussabgaben, abzüglich der 211 Warnschüsse, trafen lediglich 9% ins Ziel. Das heisst, es besteht bei Verwendung dieser Deformationsgeschosse beim Auftreffen auf unbeteiligte Menschen eine noch viel höhere Gefahr, dass diese zerstörerische Verletzungen an ihren Körpern erleiden als bei Volimanteigeschossen.
Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen, sehen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner für diese international geächteten Geschosse, abgesehen von oben erwähnten streng definierten Ausnahmen, keine Notwendigkeit für einen Gebrauch im zivilen Bereiche. Sie fordern die Regierung deshalb auf, im Sinne der oben genannten Ausführungen Massnahmen zu treffen, dass diese Munitionsart auf dem Hoheitsgebiet des Kantons Graubünden nicht zur Anwendung kommen kann.

Chur, 10. Oktober 2001

Name: Trepp, Sax, Bucher, Arquint, Augustin (Almens), Büsser, Frigg, Jäger, Looser, Meyer, Noi, Pfenninger, Pfiffner, Schmutz, Schütz, Trepp, Zindel

Session: 10.10.2001
Vorstoss: dt Postulat


Antwort der Regierung

Die Kantonspolizei Graubünden verwendet im ordentlichen Polizeidienst Vollmantelmunition. Für besondere Einsätze können auf Veranlassung eines Polizeioffiziers Deformationsgeschosse eingesetzt werden. Dafür besteht ein Dienstbefehl. Gestützt auf ein umfangreiches Grundsatzdokument der Schweizerischen Polizeitechnischen Kommission (SPTK) vom 20. Februar 2001 zur Problematik der Munitionswahl beim bewaffneten Dienst der Polizei und ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 27. Oktober 2000 betreffend Einsatz von Deformationsgeschossen hat die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) am 29. März 2001 beschlossen, ihren Mitgliedern die Einführung einer Munition mit Deformationsgeschoss als Dienstmunition (Einheitsmunition) zu empfehlen.

Vollmantelgeschosse haben im Unterschied zu Deformationsgeschossen den Nachteil, dass ein Körpertreffer in keiner Weise Garant für rasche Angriffs- bzw. Fluchtunfähigkeit ist und getroffene Personen in vielen Fällen durchaus noch zur Gegenwehr fähig bleiben. Zudem ist bei Deformationsgeschossen das Risiko für unbeteiligte Dritte, von "Querschlägern" getroffen zu werden, geringer.

Zwischenzeitlich hat der Bundesrat eine Stellungnahme bezüglich der Verwendung von Deformationsgeschossen abgegeben. Darin anerkennt er zwar, dass für die Bewaffnung der kantonalen Polizeikorps die Kantone eigenverantwortlich zuständig sind. Allerdings hält er auch fest, dass das Kriegsvölkerrecht der Verwendung solcher Geschosse im täglichen Polizeidienst nicht explizit entgegensteht. Dennoch spricht er sich dafür aus, dass sich der Einsatz von Deformationsgeschossen auf klar umrissene Ausnahmesituationen beschränken soll. Als Begründung führt er namentlich an, dass andere Länder kaum verstehen würden, wenn die Schweiz, die sich für die Weiterentwicklung des Kriegsvölkerrechts einsetzt, innerstaatlich eine für den Kriegseinsatz verpönte Munition verwendet. Schliesslich spricht er sich dafür aus, dass ungeachtet der kantonalen Zuständigkeit für die Bewaffnung der kantonalen Polizeikorps der zukünftige Einsatz von Deformationsgeschossen koordiniert erfolgt.

Auch der Kanton Graubünden wird sich wenn immer möglich für eine gesamtschweizerische Lösung einsetzen. Die Regierung steht in der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) dafür ein, dass vor einer generellen Einführung der neuen Polizeimunition und dem Ersatz der für den Polizeieinsatz problematischen militärischen Ordonnanzmunition vorerst ausländische Erfahrungen abgewartet werden. Solche könnten namentlich in Deutschland gesammelt werden, wo diverse Bundesländer (u.a. Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) ihre Polizeikorps flächendeckend mit der neuen Einsatzmunition ausrüsten wollen. Damit könnte auch der bundesrätlichen Befürchtung begegnet werden, ein solcher Schritt der Schweiz würde im Ausland nicht verstanden. Nichts spricht aufgrund der heutigen Informationslage indessen dagegen, die neu entwickelte Munition mindestens in denjenigen Spezialfällen zu verwenden, in welchen heute bereits Deformationsgeschosse zum Einsatz kommen.

Die Regierung ist somit bereit, das Postulat entgegen zu nehmen und vorderhand von der Einführung der neuen Munition abzusehen. Allerdings wird eine Neubeurteilung der Situation vorgenommen, wenn eine Mehrheit der Kantone die Einführung im polizeilichen Alltag beschliesst.