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Session: 18.10.2006
In hohem Masse pflegebedürftige betagte Menschen sowie in hohem Masse pflegebedürftige behinderte Menschen können über gesundheits- und sozialstaatliche Dienstleistungen im ambulanten Bereich (bspw. Spitex) wie auch in stationären Ein-richtungen (bspw. Heime) in mannigfacher Weise Unterstützung erhalten. Diese Dienstleistungen werden in aller Regel nicht kostenlos erbracht; dem Dienstleistungsbezüger verbleibt die Tragung zumindest eines Restkostenanteils, und das ist grundsätzlich richtig so. Aber eben: Das Gros der Kosten fällt in der einen oder anderen Form unmittelbar oder mittelbar letztlich immer der Allgemeinheit an - bspw. über höhere Krankenkassenprämien, wenn die Krankenversicherung bezahlt, über höhere Steuern, wenn die öffentliche Hand Unterstützungsleistungen direkt bezahlt oder subventioniert, oder über Sanierungsbeiträge an die übrigen Sozialversicherungen, wenn diese bezahlen.

Es besteht m.a.W. ein erhebliches öffentliches Interesse, dass nicht jeder, der grundsätzlich Anspruch auf den Bezug gesundheits- und sozialstaatlicher Dienstleistungen hat, diese tatsächlich auch beansprucht. Zumindest besteht aber ein Interesse daran, dass jene, die auf den Bezug gesundheits- und sozialstaatlicher Dienstleistungen trotz Anspruch verzichten, nicht aufgrund einer "Systemschieflage" faktisch dennoch dazu gezwungen werden. Im Gegenteil: Eine solche Einstellung, die auf ganz unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein kann, sollte durch Anreize vielmehr sogar aktiv so weit belohnt werden, wie dies gestützt auf eine gesundheits-, sozial- und finanzpolitische Würdigung vertretbar ist.

Es ist heute noch immer weit verbreitet, dass pflegebedürftige Menschen - vor allem betagte Menschen und geistig, körperlich oder psychisch behinderte Menschen - von ihren Familienangehörigen oder von ihnen nahe stehenden Drittpersonen umsorgt oder gar gepflegt werden. Sei dies durch Aufnahme des Pflegebedürftigen zuhause beim Pflegenden, sei dies durch Betreuung und/oder Pflege in der angestammten Wohnung des Pflegebedürftigen. Dies hat in erster Linie den Vorteil, dass man sich als pflegebedürftiger Mensch in die Abhängigkeit und Nähe von Personen begeben kann, die einem bekannt und vertraut sind. Es führt nicht unwesentlich weiters aber auch dazu, dass zugunsten des betroffenen pflegebedürftigen Menschen und seiner Angehörigen, die ihn ansonsten gegebenenfalls finanziell zu unterstützen hätten, Kosten eingespart werden. Zumindest der Restkostenanteil, der vom Dienstleistungsempfänger zu tragen wäre, fällt dann bei diesem weg.

Aus der Sicht der Allgemeinheit hat dies den günstigen Nebeneffekt, dass auch sie Kosten einspart. Es schränkt dies den Bezug von Spitex- oder ähnlichen Dienstleistungen ein, oder es wird unter Umständen gar ein Eintritt in ein Heim oder in eine ähnliche stationäre Einrichtung für immer oder zumindest für eine bestimmte Zeit hinausgeschoben. Es ergänzt ganz gewichtig zudem die Möglichkeiten, welche gemäss heutiger Krankenpflegegesetzgebung (bspw. Rahmenleistungsvereinbarung) bestehen, um die Arbeit Angehöriger zu vergüten. Denn diese sind sowohl in zeitlicher wie auch in sachlicher Hinsicht bescheiden (4 Std./Woche gemäss Spitex-Leistungskatalog) und geben den effektiven Wert und Umfang der Dienstleistung nicht wider. Sofern die begünstigten pflegebedürftigen Menschen die zu ihren Gunsten erbrachten Dienstleistungen überhaupt nicht oder nur teilweise oder nicht marktgerecht bezahlen (können), erbringen die Pflege- und Betreuerpersonen demnach Leistungen, welche die Gesellschaft ganz erheblich entlasten und für welche diese Personen weder angemessene finanzielle noch anderweitig angemessene geldwerte Anerkennung erhalten. Dies entspricht einer Schieflage des "Systems". Es ist dies sachlich ungerecht, benachteiligt tendenziell einseitig Frauen, die solche Aufgaben als Mutter, Tochter oder Schwiegertochter erbringen und deswegen in ihrer anderweitigen (beruflichen) Tätigkeit eingeschränkt sind, und es setzt dies schliesslich Anreize, die in die verkehrte Richtung zielen - nämlich die Flucht in die Beanspruchung staatlich bezahlter oder subventionierter (teurer) Leistungserbringung.

Es ist demnach in Nachachtung des Grundsatzes "ambulant vor stationär" eine Überarbeitung der Gesetzgebung dahin gehend anzustreben, dass die begünstigte pflegebedürftige Person in die Lage versetzt wird, solche Leistungen zugunsten seiner Angehörigen und ihm nahe stehender Drittpersonen angemessen zu vergüten (u.U. in einer mit der IVG-Assistenzentschädigung vergleichbaren Weise). Zu prüfen wird dabei weiters sein, ob den Angehörigen bzw. den betroffenen Drittpersonen aufgrund der besonderen Umstände - alternativ oder ergänzend - andere geldwerte Vorteile zugesprochen werden können - bspw. Kostenübernahme für angemessene fachliche Einführung in die zu verrichtende Arbeit (Tageskurse bei geeigneten Institutionen). Letzteres begünstigt nebenbei, dass dem Qualitätsaspekt - was unverzichtbar ist - bei all dem auch mit Rechnung getragen werden muss.

Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Umstandes, dass der Grosse Rat in seiner Oktobersession 2006 bei der Beratung der Teilrevision des kantonalen Steuergesetzes es unterlassen hat, einen entsprechenden Betreuungsabzug als steuerlich relevanten Sozialabzug gutzuheissen, ersuchen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner die Regierung um Folgendes:

Es seien in den dafür geeigneten kantonalen Erlassen die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen,
a) dass die pflegebedürftigen Menschen - v.a. die schwer pflegebedürftigen betagten und schwer pflegebe-dürftigen geistig, körperlich oder psychisch behinderten Menschen -, welche durch deren Angehörige oder durch dem gepflegten Menschen nahe stehende Drittpersonen betreut und/oder gepflegt werden, diese für deren Betreuungs- und Pflegedienstleistungen in angemessener Form (finanzielle Abgeltung; finanzielle Entlastungen; andere geltwerte Gegenleistung) vergüten lassen können; und
b) dass diese Form der Betreuung und Pflege zu Gunsten von pflegebedürftigen Menschen nebst der Selbstversorgung, den Spitex-Dienstleistungen und den Dienstleistungen der stationären Einrichtungen in angemessener Form gesetzlich anerkannt wird.

Chur, 18. Oktober 2006

Name: Cavigelli, Nick, Koch, Bachmann, Berther (Disentis), Berther (Sedrun), Bleiker, Blumenthal, Bondolfi, Brüesch, Bundi, Cahannes, Casparis-Nigg, Castelberg-Fleischhauer, Casty, Caviezel (Pitasch), Clavadetscher, Darms-Landolt, Dermont, Fal-let, Feltscher, Florin-Caluori, Geisseler, Hardegger, Hartmann (Chur), Kessler, Kleis-Kümin, Kollegger, Kunz, Loepfe, Mani-Heldstab, Märchy-Michel (Malans), Meyer-Grass (Klosters), Michel, Niederer, Parolini, Parpan, Peer, Perl, Pfäffli, Pfister, Plozza, Portner, Sax, Tenchio, Tscholl, Märchy-Caduff (Domat/Ems)

Session: 18.10.2006
Vorstoss: dt Auftrag

Antwort der Regierung

Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil der zu Hause lebenden, pflegebedürftigen Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren ca. 60 Prozent beträgt. Die restlichen ca. 40 Prozent leben in Heimen. Die zu Hause lebenden pflegebedürftigen Personen werden dabei meist von Angehörigen wie auch von der Spitex gepflegt und betreut. Aus den Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung geht hervor, dass Leistungen der Spitex häufig in Kombination mit der Angehörigenhilfe erbracht werden. Angehörigenhilfe und professionelle Pflege ergänzen sich also.

Die Regierung ist der Ansicht, dass es grundsätzlich Sache der pflegebedürftigen Personen ist, die pflegende respektive betreuende Person zu entschädigen. Kann eine pflegebedürftige Person die zu ihren Gunsten erbrachten Pflegedienstleistungen aufgrund einer finanziellen Notlage nicht abgelten, soll diese Person jedoch vom Staat Unterstützung erfahren.

Gleichzeitig liegt es auch im öffentlichen Interesse, dass eine pflegebedürftige Person entsprechend dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ möglichst lange zu Hause verbleibt. In diesem Sinne haben der Bund und der Kanton Instrumente entwickelt, welche die Pflege und Betreuung von pflegebedürftigen Personen durch ihre Angehörigen zu Hause abgelten oder pflegebedürftigen Personen finanzielle Unterstützung zur Abgeltung der Angehörigenhilfe gewähren.

Auf Bundesebene sehen die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und die Invalidenversicherung (IV) Betreuungsgutschriften für Personen vor, die pflegebedürftige Verwandte im gleichen Haushalt betreuen. Die Betreuungsgutschriften stellen keine direkten Geldleistungen dar. Sie werden bei der Rentenberechnung der pflegenden Angehörigen angerechnet. Sie bilden somit Zuschläge zum rentenbildenden Erwerbseinkommen und ermöglichen den pflegenden Angehörigen, im Rentenalter eine höhere Rente zu erreichen.

Menschen mit einer Behinderung, die zu Hause wohnen, erhalten bei schwerer Hilflosigkeit die doppelte Hilflosenentschädigung ausgerichtet. Auf diese Weise wird ihnen die Wahlfreiheit zwischen dem Aufenthalt zu Hause und dem Aufenthalt im Heim ermöglicht. Mit der doppelten Hilflosenentschädigung werden sie in die Lage versetzt, die Hilfe, die sie bei ihren täglichen Verrichtungen benötigen, zu finanzieren.

Im Rahmen der Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV und IV werden Personen mit einem Anspruch auf EL bis zu einem vom Bund festgelegten Maximalbetrag die Kosten für die Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause vergütet. Als entsprechender Aufwand wird auch die Entschädigung an Familienangehörige für die Pflege und Betreuung anerkannt. Voraussetzung ist, dass die Familienangehörigen durch die Pflege und Betreuung eine länger dauernde, wesentliche Erwerbseinbusse erleiden.

Auf kantonaler Ebene besteht im Kanton Graubünden gemäss dem von der Regierung erlassenen Reglement zur Entlastung und Anstellung von pflegenden Angehörigen (BR 506.110) die Möglichkeit, pflegende Angehörige unter gewissen Bedingungen durch die Spitex-Organisation anzustellen und im Rahmen des im kantonalen Rahmenleistungsauftrag festgelegten Zeitbudgets zu entlöhnen.

Auf Grund der NFA ist ab 1. Januar 2008 der Kanton für die Ausrichtung der EL und damit auch für die Regelung der Vergütung der Kosten für die Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause einschliesslich der Entschädigung an pflegende Familienangehörige zuständig.

In Würdigung des Aspektes, dass pflegebedürftige Menschen in finanziell schwierigen Verhältnissen Unterstützung erfahren sollen, und aufgrund des öffentlichen Interesses am Verbleib von pflegebedürftigen Personen zu Hause, erklärt sich die Regierung bereit,
- das im kantonalen Rahmenleistungsauftrag festgelegte Zeitbudget für die Anstellung von pflegenden Angehörigen durch die Spitex-Organisationen zu überprüfen;
- dem Grossen Rat im Nachgang zum Gesetz über die Umsetzung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (Mantelerlass) im Rahmen einer Teilrevision des kantonalen Ergänzungsleistungsgesetzes eine über den Mantelerlass hinausgehende Regelung der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten für zu Hause lebende Personen zu unterbreiten.

Die Regierung beantragt, den Auftrag im Sinne der Erwägungen zu überweisen.

Datum: 19. Dezember 2006