Die politischen Gemeinden sind im Lichte der total revidierten Kantonsverfassung vom 1.1.2004 nebst dem Kanton die wichtigste politische Staatsstufen-Ebene geblieben. Die Kreise, Bezirke und Regionalverbände erhalten grundsätzlich (nur) die ihnen von den Gemeinden und dem Kanton zugewiesenen Aufgaben. Die Unterzeichneten halten dies unverändert für richtig. Im Lichte des Subsidiaritätsprinzips ist die Erfüllung von Aufgaben, die von tieferen Staatsebenen gleich gut oder gar besser wahrgenommen werden kann, diesen tieferen Staatsebenen zu übertragen bzw. zu belassen.
Dessen ungeachtet ist die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Staatsebenen gelegentlich zu überprüfen. Es können verschiedene Entwicklungen und Erkenntnisse, die sich in und um die Staatsebenen herum ergeben oder mit denen die Staatsebenen unbeeinflussbar konfrontiert werden, dazu Anlass geben. Zu beachten sind dabei bspw.:
a. statistische Kennzahlen wie: die demographische Entwicklung, die Entwicklung der Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort oder in Pendlerdistanz, die Bedürfnisse der Grundversorgung (Schulen, medizinische Versorgung, Lebensmittelge-schäfte, Restaurants, Service-public-Leistungen, Banken), die Bedürfnisse der Erschliessung (Reisezeit und -möglichkeit zu regionalen Zentren) und die Entwicklung der öffentlichen Finanzen.
b. Daten zur Lebensqualität wie: die Qualität der sozialen Beziehungen (Integration Fremder, individuelle unternehmerische Initiativen), die Qualität und Vielfalt des kulturellen Angebots sowie des Angebots an Freizeitbeschäftigungsaktivitäten (Standortattraktivität als Wohn- und Lebensraum), die Lebensraumqualität (Landschaft) und das institutionelle und unternehmerische Klima (Problemlösungsfähigkeit bei Gemeindebehörden und bei Privaten).
Ganz entscheidende politische, exogen bedingte Weichenstellungen erfordert für unseren Kanton und seine Gemeinden zudem die eidgenössische NFA (Neugestaltung der Aufgabenteilung und des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen) sowie die eidgenössische NRP (Neue Regionalpolitik des Bundes). Beide eidgenössischen Polit-Grossprojekte wirbeln die in unserem Kanton normierten und gelebten Staatsstruktur-Ebenen von Grund auf neu auf. Den Unterzeichneten ist bekannt, dass in den Regierungs- und Amtsstuben einschlägig Überlegungen angestellt sowie Strategien und Massnahmen zur Umsetzung vorbereitet werden, darunter die Projekte:
a. FAG II: Der Startschuss für ein umfassendes Strukturreformprojekt zur „Neugestaltung des innerkantonalen Finanzausgleichs und der innerkantonalen Aufgabenteilung“ ist anfangs Jahr 2007 gefallen (Regierungsprogramm: ES 23). Zu den Instrumenten sollen gehören: ein neuer Finanzausgleich, eine Reorganisation der Aufgabenteilung sowie eine Ge-meindereform. Gemäss einer Medienmitteilung des DFG (Departement für Finanzen und Gemeinden) vom 28.2.2007 verfügt der Kanton „wegen seiner heterogenen Gemeindestrukturen über relativ ungünstige Voraussetzungen, um die Aufga-benteilung zwischen Kanton und Gemeinden sowie den innerkantonalen Finanzausgleich effizient auszugestalten“ (S. 2).
b. Studie „Potenzialarme Räume Graubünden“ des AWT (Amt für Wirtschaft und Tourismus) vom 11.9.2006: Das AWT hat 24 potenzialarme Räume im Kanton identifiziert sowie 95 Gemeinden als „eher kritisch“ und 23 als „kritisch“ qualifiziert. Dabei wird unter anderem festgestellt, dass „insbesondere das Kooperationspotenzial ... gewichtig zu sein (scheint). Gemeindefusionen beispielsweise lassen vor allem personelle Kapazitäten, aber auch finanzielle Mittel, frei werden. Daneben können Gemeindefusionen ... ermöglichen, dass das bestehende Güter- und Dienstleistungsangebot, wenn auch räumlich konzentrierter, in der Region erhalten bleibt“.
Die Regierung strebt also ganz offensichtlich - und zwar aus verschiedener, analytisch unterlegter Betrachtung - eine Reduktion der Anzahl Gemeinden an. Es ergeben sich für die Unterzeichneten daher folgende Fragen:
1. Welches Strategieziel verfolgt die Regierung konkret und welche Massnahmen setzt sie zu dessen Umsetzung konkret ein, wenn sie Gemeindefusionen (aktiv) veranlassen oder (passiv) unterstützen will? Wie sieht das diesbezügliche regierungsrätliche Konzept konkret aus?
2. Hat die Regierung einen Typ „Modellgemeinde“ vor Augen, bspw. hinsichtlich Einwohnerzahl, Eigenausstattung, Aufgabenminimum oder anderer oben angesprochener statistischer Aspekte oder weicher Faktoren? Wenn ja, wie sieht dieser Typ „Modellgemeinde“ aus?
3. Möchte die Regierung inskünftig proaktiv auf die Reform der Gemeindestrukturen einwirken? Wenn ja, unter Einsatz welcher Massnahmen und Mittel und mit welchen zeitlichen Vorgaben?
4. Hat die Regierung die Wirkungen von bisher realisierten Gemeindefusionen systematisch erfasst und ausgewertet? Wenn ja, welche Schlüsselerkenntnisse hat sie daraus gewonnen und wie können diese Erkenntnisse bei künftigen Fusionsprojekten einfliessen?
5. Insbesondere: Welche Strategieziele verfolgt die Regierung mit Blick auf die Infrastrukturanlagen von fusionierten Gemeinden, deren Erstellung bisher in Teilen bekanntlich aufwändig kantonal mit subventioniert worden war (bspw. Schulhausbauten, andere öffentliche Gebäude wie Gemeindehäuser, Wasser-/Abwasserwerke und Meliorationswerke)?
Chur, 12. Juni 2007
Name: Cavigelli, Augustin, Berni, Berther (Disentis), Berther (Sedrun), Blumenthal, Bondolfi, Bundi, Caduff, Cahannes Renggli, Candinas, Darms-Landolt, Dermont, Fallet, Farrér, Florin-Caluori, Geisseler, Keller, Kleis-Kümin, Kollegger, Loepfe, Niederer, Parpan, Pfister, Plozza, Portner, Quinter, Righetti, Sax, Tenchio, Thurner-Steier, Tuor, Zanetti, Joos
Session: 12.06.2007
Vorstoss: dt Anfrage