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Session: 13.06.2007
Einer Bewohnerin und einem Bewohner eines Pflegeheims oder einer Pflegegruppe fallen im Wesentlichen einerseits Pen-sions- und Betreuungskosten und anderseits, bei Pflegebedürftigkeit, Pflegekosten an. Die Pflegekosten sollten nach der Konzeption des eidgenössischen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) an sich wie in Fällen von Pflegebedürftigkeit von Patientinnen und Patienten in Spitälern durch die Krankenversicherung getragen werden. Dies zumindest geht aus der damaligen Botschaft zum KVG hervor. Der Bundesrat hat die KVG-Pflegeleistungen in der Folge allerdings anders definiert und damit eingeschränkt (Art. 7 Krankenleistungsverordnung, KLV) und zudem bestimmt, dass die sog. Rahmentarife solange nicht überschritten werden dürfen, bis sich die Alters- und Pflegeheime und die Krankenversicherungen auf eine gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlage einigen würden (Art. 9a Abs. 2 KLV). Die Erarbeitung einer solche Kostenberechnungsgrundlage scheiterte in der Folge an der mangelnden Bereitschaft der Versicherungen zur Mitwirkung, weshalb der Bundesrat per 1. Januar 2003 die seit Inkrafttreten des KVG fehlenden Präzisierungen bezüglich der Kostenberechnungsgrundlage hoheitlich vorgegeben hat (Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler und Pflegeheime in der Krankenversicherung, VKL). Diese Vorgaben führen seither zu einer einheitlichen Kostenermittlung im Spital- und Heimbereich und letztlich auch dazu, dass die Alters- und Pflegeheime die Rahmentarife werden überschreiten dürfen.

Auf eidgenössischer Ebene hat sich die Lage politisch zwischenzeitlich allerdings bereits wieder verändert. Im Rahmen einer KVG-Revision wird derzeit diskutiert, dass ungeachtet allfällig bestehender Kostentransparenz in den Rechnungen der Institutionen lediglich ein fixer Pauschalbeitrag an die KVG-Pflegekosten der Bewohnerin und des Bewohners vorgesehen werden solle. Solange diese Revision nicht in Kraft tritt, dürfte das Einfrieren der aktuellen Rahmentarife weiter Bestand haben. Aus diesem Grunde sind auch die Versuche, auf dem Weg eines Tarifverfahrens Vollkosten-Tarife für KVG-Pflegeleistungen zu erreichen, trotz bestehender Kostentransparenz aussichtslos. Konsequenz ist, dass sich die Beiträge der Krankenversicherungen bis auf weiteres nach den maximalen Rahmentarifen richten und dass die Krankenversicherungen an die bei Pflegebedürftigkeit entstehenden KVG-Pflegekosten einer Bewohnerin und eines Bewohners in einem Pflegeheim oder einer Pflegegruppe bis auf weiteres bloss einen Pflegekosten-Beitrag zu bezahlen haben werden. Dieser Beitrag beläuft sich, abgestuft nach der Pflegebedürftigkeit, zur Zeit auf maximal CHF 80 pro Tag (Tarifvertrag Graubünden 2007/2008). Der gesamte Rest, der bei den Bewohnerinnen und Bewohnern anfallenden KVG-Pflegekosten fällt, nebst den Pensions- und Betreuungskosten, bei diesen selber an.

Die Regierung erlässt gestützt auf das kantonale Krankenpflegegesetz (Art. 21b Abs. 1 KPG) abgestuft nach der Pflege-bedürftigkeit sog. Maximaltarife; in der höchsten Pflegestufe (BESA 4c) beträgt der Maximaltarif derzeit CHF 190 pro Tag. Im Rahmen dieser Maximaltarife dürfen die Heime und Pflegegruppen von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern Heimtaxen für die erbrachten Pensions- und Betreuungsleistungen einerseits und für die zu erbringenden Pflegeleistungen nach Abzug des von den Krankenversicherungen zu bezahlenden Pflegekosten-Beitrags von maximal CHF 80 je Pflegetag anderseits einverlangen. Preislichen Übertreibungen durch die Institutionen kann dadurch hoheitlich Einhalt geboten werden.

Dieses System ist ungeachtet seiner unbestreitbaren Vorteile heute insoweit ungenügend geworden, als es de lege lata fast die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner in den Bündner Alters- und Pflegeheimen und Pflegegruppen in die wenig würdevolle Situation treibt, Ergänzungsleisten aus der Alters- und Hinterbliebenenversicherung anbegehren zu müssen. Aufgrund der mit Botschaft Heft Nr. 22/2006-2007, S. 2291ff., von der Regierung beantragten Teilrevision des kantonalen Krankenpflegegesetzes (Investitionsbeiträge an Alters- und Pflegheime) werden die Maximaltarife voraussichtlich zudem um weitere CHF 8 pro Tag angehoben werden müssen und erhöht sich demgemäss auch der Anteil jener Bewohnerinnen und Bewohner, der auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein wird. Diese Erhöhung der Maximaltarife um CHF 8 pro Tag führt gemäss Botschaft dazu (S. 2347), dass 20 Prozent der bisher nicht EL-bezugsberechtigten Bewohnerinnen und Bewohner neu zusätzlich auch auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein werden. Der Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner in Heimen und Pflegegruppen, die eine Ergänzungsleistung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung beanspruchen, dürfte sich dann bald einmal bei ca. zwei Dritteln bewegen.

Die neue kantonale Investitionsfinanzierung der Heime und Pflegegruppen akzentuiert die Problemsituation, wonach ein Eintritt einer betagten Person in ein Heim oder eine Pflegegruppe mit deren kontinuierlichen, aber unabwendbaren, raschen und endgültigen Verarmung gleich zu setzen ist. Besonders bedauerlich ist dabei, dass diese Verarmung im Alter nebst den finanziell weniger begüterten betagten Menschen mittlerweilen schon längst auch den gesamten Mittelstand mit erfasst. Dies ist nach der Auffassung der Unterzeichneten politisch unerträglich und auf Dauer nicht hinzunehmen.

Das Problem wäre angemessenerweise, wie einleitend dargetan, an sich über eine Revision des eidgenössischen Kranken-versicherungsgesetzes (KVG) zu lösen. Über die Art der Lösungsansätze streitet sich Bundesbern mittlerweilen allerdings bereits seit Jahren. Ein Ende ist nicht abzusehen. Auch eine. „Pflegeversicherung“ o.dgl. werden somit noch Jahre auf sich warten lassen.

Angesichts dieser Ausgangslage und Entwicklung ergeben sich für die Unterzeichneten folgende Fragen:

1. Kennt die Regierung den Anteil von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern, der auf den Bezug einer vollen oder einer teilweisen Ergänzungsleistung durch die Alters- und Hinterbliebenenversicherung angewiesen ist? Treffen die Schätzungen des Bündner Spital- und Heimverbandes (BSH) zu, wonach es sich dabei de lege lata um eine Quote von knapp der Hälfte und de lege ferenda (Botschaft Heft Nr. 22/2006-2007) um eine Quote von fast einmal zwei Dritteln handelt?

2. Hat die Regierung eine Vorstellung darüber, wie sich diese Quoten in der näheren Zukunft verändern u.a. angesichts des eingangs umschriebenen normativen Trends, angesichts des Umstandes, dass vermehrt nur mehr hoch pflegebedürftige Personen in Alters- und Pflegeheime eintreten (BESA-Stufe 3 und 4) und angesichts des Umstandes, dass demnächst im Gegensatz zu den heutigen über 80-Jährigen vermehrt Personen mit Pensionskassenrenten in die Heime eintreten?

3. Beabsichtigt die Regierung der Entwicklung, wonach ein Eintritt einer betagten Person in ein Heim oder eine Pflegegruppe mit deren kontinuierlichen, aber unabwendbaren, raschen und endgültigen Verarmung gleich zu setzen ist, entgegenzuwirken?
Wenn ja: Welche Strategieziele verfolgt die Regierung dabei konkret?
Wenn ja: Welche Massnahmen hat sie zur Umsetzung der Strategieziele konkret bereits ergriffen und welche Erkenntnisse hat sie daraus gewonnen? Hat sie weitere Massnahmen in Prüfung? Wenn ja: welchen Inhalts und mit welchem zeitlichen Horizont?

4. Insbesondere: Hat die Regierung die Einführung einer Art Pflegeversicherung für die Bündner Heimbewohnerinnen und Heimbewohner schon einmal näher geprüft? Wenn ja: welche Schlüsse hinsichtlich Ausgestaltung, Wirksamkeit und Realisierbarkeit einer Art Pflegeversicherung hat sie aus dieser Überprüfung gezogen?

Chur, 13. Juni 2007

Name: Cavigelli, Nick, Märchy, Bachmann, Berther (Sedrun), Bischoff, Blumenthal, Brandenburger, Brüesch, Bundi, Caduff, Castelberg-Fleischhauer, Casty, Christoffel-Casty, Dermont, Dudli, Fallet, Feltscher, Geisseler, Giovanoli, Hardegger, Keller, Kessler, Kleis-Kümin, Mani-Heldstab, Meyer-Grass (Klosters) Parolini, Parpan, Pedrini (Roveredo), Pfister, Plozza, Ragettli, Righetti, Sax, Stiffler, Thomann, Thurner-Steier, Tuor, Wettstein, Zanetti, Joos

Session: 13.06.2007
Vorstoss: dt Anfrage

Antwort der Regierung

Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV und IV werden ausgerichtet, wenn die Renten mit dem sonstigen Einkommen und Vermögen der versicherten Person die minimalen Lebenskosten nicht decken. EL sind keine Fürsorgeleistungen oder Sozialhilfe. Auf EL besteht ein Rechtsanspruch. Es besteht auch keine Rückerstattungspflicht. Die EL gehören somit zum sozialen Fundament unseres Staates. Entsprechend ist die Regierung auch nicht der Meinung, das EL-Bezügerinnen und -Bezüger in einer „wenig würdevollen Position“ sind.

Die Regierung beantwortet die gestellten Fragen wie folgt:

1. Der Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen und Pflegegruppen, welche Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV bezogen, bewegte sich in den vergangenen Jahren zwischen 45 und 48 Prozent. Dies entspricht knapp 1000 Personen. Aufgrund der in einigen Pflegeheimen per 1. Januar 2007 notwendigen Taxerhöhung dürfte die Anzahl der EL-berechtigten Heimbewohnerinnen und -bewohner um 200 250 Personen zunehmen. Der Anteil der EL-Bezüger in Pflegeheimen und Pflegegruppen wird somit ab Inkrafttreten der Neukonzeption der in der Junisession beschlossenen Pflegeheimfinanzierung auf etwa 60 Prozent ansteigen. Die Schätzungen des Bündner Spital- und Heimverbandes treffen demnach in etwa zu.

2. Inwieweit sich die EL-Bezugsquote mittelfristig verändern wird, ist insbesondere vom Ausgang der Neuregelung der Pflegefinanzierung auf Bundesebene abhängig. Eine weitere Erhöhung des Anteils der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, welche Anspruch auf EL haben, scheint indes unwahrscheinlich. Nebst den AHV-Renten werden zukünftig vermehrt auch die Pensionskassenrenten zum Tragen kommen. Auswertungen des Steuerkommissariats Graubünden zeigen zudem, dass die Hälfte der betagten Bevölkerung (65-Jährige und Ältere) über ein steuerbares Vermögen von 200'000 Franken und mehr verfügt.

3. Aus Sicht der Regierung kann ein Eintritt in ein Alters- und Pflegeheim oder in eine Pflegegruppe nicht mit einer raschen und endgültigen Verarmung gleichgesetzt werden. Gemäss Kenndaten 2005 der Alters- und Pflegeheime und Pflegegruppen im Kanton Graubünden haben sich rund 63 Prozent der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner weniger als ein Jahr im Alters- und Pflegeheim oder in der Pflegegruppe aufgehalten, 18 Prozent zwischen einem und drei Jahren und lediglich 19 Prozent länger als drei Jahre. Ein Problem im Sinne der der Frage zu Grunde liegenden Annahme kann sich nur für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner stellen, die sich längere Zeit in einem Alters- und Pflegeheim oder in einer Pflegegruppe aufhalten. Für diese Personenkategorie hat der Grosse Rat in der diesjährigen Junisession auf Antrag der Regierung im Sinne einer mittelstandsfreundlichen Umsetzung der Neukonzeption der Pflegeheimfinanzierung den jährlichen Vermögensverzehr ab dem zweiten EL-Bezugsjahr von 20 Prozent auf zehn Prozent des anrechenbaren Vermögens reduziert. Die Regierung ist der Meinung, dass der kantonale Gesetzgeber mit dieser Massnahme angemessene Vorkehrungen gegen die „drohende Verarmung“ unternommen hat, und plant entsprechend zurzeit keine weiteren Massnahmen.
Zu beachten gilt in diesem Zusammenhang die derzeit auf Bundesebene anhängige Neuordnung der Pflegefinanzierung. Gemäss dem Beschluss des Nationalrates vom 21. Juni 2007 sollen, um eine übermässige Belastung der Patientinnen und Patienten zu verhindern, u. a. die von den Pflegebedürftigen zu tragenden Pflegekosten auf maximal 20 Prozent der von den Krankenversicherern nicht gedeckten Kosten limitiert werden. Weiter sollen die Vermögensgrenzen bei den EL deutlich angehoben werden. Für den Fall, dass ein Ehegatte im Heim und der andere zu Hause wohnt, hat der Nationalrat für selbst bewohntes Wohneigentum einen Freibetrag von 300'000 Franken beschlossen.

4. Die Regierung hat aufgrund der zahlreichen offenen Parameter in Bezug auf die definitive Ausgestaltung der Pflegefinanzierung auf Bundesebene eine vertiefte und detaillierte Prüfung einer kantonalen Pflegeversicherung bisher nicht vorgenommen.

Datum: 03.09.2009