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Session: 12.02.2008
Die Stimmabstinenz hat im Kanton Graubünden Tradition, sie ist seit Jahren im Vergleich zu den übrigen Kantonen in der Regel die höchste. Betroffen sind dabei National- und Ständeratswahlen, speziell die Wahlen in unser kantonales Parlament, aber auch Abstimmungen über Sachfragen. Schon im November 1991 reichte Grossrat Martin Jäger ein Postulat in dieser Angelegenheit ein mit Vorschlägen zur Verbesserung der Stimmbeteiligung. Das erwähnte Postulat wurde vom Grossen Rat damals – allerdings nur mit Einschränkungen - mit 72 zu 0 Stimmen überwiesen. Einige der seinerzeit vorgeschlagenen Massnahmen wie die erleichterte briefliche Stimmabgabe wurden anschliessend umgesetzt.

Leider hat sich insgesamt die Höhe der politischen Beteiligung trotzdem nicht wirklich verbessert, Graubünden liegt diesbezüglich schweizweit in der Regel immer noch am Schluss der Kantone. Die Ursachen dafür sind vielfältig und können hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Hinweise liefert aber beispielsweise eine speziell diesem Thema gewidmete Lizenziatsarbeit, verfasst von Manuel Salvator (Referent Prof. Dr. Silvano Moekli von der Universität Zürich).

Stimmabstinenz heisst nicht unbedingt Zustimmung zu den jetzigen Verhältnissen. Sie kann auch Interesselosigkeit, Frustration, mangelnde Attraktivität oder mangelnder Gemeinsinn der Bürgerinnen und Bürger bedeuten. Langfristig ist Stimmabstinenz wohl einer der grössten Feinde der Demokratie. Schon 1981 mahnte der damalige Bundespräsident Fritz Honegger: „Auf die Dauer sind Desinteresse, Überforderung und mangelnder Gemeinsinn der Bürger gefährlich für die direkte Demokratie.“

Unsere Gesellschaft hat eine Verantwortung und auch ein ureigenes Interesse, dass junge und auch ältere Menschen an den politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen. Hier kann ein guter Staatskundeunterricht eine zentrale Rolle spielen. Dieser gehört ganz einfach zu den unverzichtbaren Grössen einer umfassenden Allgemeinbildung. Ein verbindlicher und strukturierter Unterricht im Bereich Staatskunde fehlt allerdings bisher in unserem Kanton auf den Sekundarstufen 1 und 2.

Eine kleine Geste der Wertschätzung gegenüber den aktiven Wählerinnen und Wählern wäre nur schon, wenn die Stimmcouverts zur schriftlichen Stimmabgabe - wie unter anderem auch in unserem Nachbarkanton St. Gallen schon lange selbstverständlich - nicht mehr frankiert werden müssten. Um die jüngere Generation besser zu erreichen, sollte auch die Umsetzung der Abstimmung per e-mail oder anderen elektronischen Kommunikationsmittel unverzüglich an die Hand genommen werden. Erste Versuche mit elektronischen Abstimmungsmöglichkeiten sind in anderen Kantonen bekanntlich erfolgreich durchgeführt worden.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner bitten die Regierung, dem Rate im Sinne der obigen Ausführungen Vorschläge zur Verbesserung der Stimmbeteiligung in unserem Kanton zu unterbreiten.

Chur, 12. Februar 2008

Name: Trepp, Rathgeb, Augustin, Arquint, Baselgia-Brunner, Bondolfi, Bucher-Brini, Candinas, Casparis-Nigg, Caviezel (Pitasch), Feltscher, Florin-Caluori, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Hartmann (Chur), Jaag, Jäger, Jenny, Kessler, Koch, Krättli-Lori, Kunz, Loepfe, Menge, Meyer-Grass (Klosters Dorf), Niederer, Peer, Perl, Pfäffli, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Pfister, Portner, Quinter, Ragettli, Tenchio, Thöny, Tuor, Wettstein, Degiacomi, Furrer-Cabalzar, Grendelmeier, Locher Benguerel, Monigatti, Wasescha

Session: 12.02.2008
Vorstoss: dt Auftrag

Antwort der Regierung

Graubünden gehört seit Beginn der Achzigerjahre zu den Kantonen mit der höchsten Stimmabstinenz sowohl bei Wahlen als auch in Sachabstimmungen. Die Abweichung beträgt meist mehrere Prozentpunkte vom schweizerischen Mittel. Regierung und Grosser Rat haben sich mit diesem Phänomen bereits im Zusammenhang mit dem Postulat Jäger betreffend Bericht zur sinkenden Stimm- und Wahlbeteiligung (Text Vorstoss, GRP November 1991, S. 638) befasst. Die Regierung ist damals zum Schluss gekommen, dass ein Sonderfall Graubünden in der Frage der Stimmabstinenz nicht existiere, sondern die Entwicklung der Partizipation im Kanton Graubünden in etwa gleich wie die gesamtschweizerische verlaufe, wenn auch auf etwas tieferem Niveau (vgl. Antwort, GRP 1991/92, S. 905 ff.). In einer jüngeren Diplomarbeit zum Thema der Stimmabstinenz im Kanton Graubünden werden neben den allgemeinen Ursachen zwei spezifische Umstände, die die Stimmbeteiligung im Kanton Graubünden negativ beeinflussen, aufgeführt. Einmal die Tourismusregionen, die ein unterdurchschnittliches Beteiligungsniveau aufweisen. Weiter der Wegfall von früheren konfessionellen und parteipolitischen Konfliktlinien.

Schon in der Antwort auf das Postulat Jäger hat die Regierung davor gewarnt, in der Frage der Stimmabstinenz zu dramatisieren. Die in der Partizipationsforschung früher vertretene These, wonach die Stimmbeteiligung im Laufe der Zeit immer mehr absinke, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Hingegen sind heute relativ grosse Schwankungen in der Beteiligung zu registrieren, je nach Sachvorlage. In einer Demokratie, der die Vorstellung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zugrunde liegt, gilt es aber grundsätzlich auch zu akzeptieren, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger selektiv oder gar nicht an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen.

Damit spricht sich die Regierung jedoch nicht gegen sinnvolle und wirksame Massnahmen zur Verbesserung der Stimmbeteiligung aus. Zu dem im Auftrag erwähnten Staatskundeunterricht hat sich die Regierung bereits bei der Beantwortung der Anfrage Rathgeb betreffend der politischen Bildung an Bündner Schulen im Dezember 2007 geäussert (vgl. GRP 3/2007-2008, S. 370 ff.). Die dort gemachten Ausführungen sind für die Regierung weiterhin verbindlich. Insofern besteht in diesem Bereich kein zusätzlicher Handlungsbedarf.

Keine wesentliche Verbesserung der Beteiligung ist durch die vorgeschlagene Übernahme der Portokosten bei der brieflichen Stimmabgabe zu erwarten. Heute machen ca. 75 bis 80 Prozent der Stimmenden von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dabei stimmen viele nicht brieflich per Post ab, sondern durch Einwurf in einen Briefkasten der Gemeindeverwaltung. Die Übernahme der Portokosten würde wohl nur zu einer Verlagerung innerhalb der Gruppe der ohnehin schon Stimmenden führen. Bei Portokosten von Fr. 1.10 pro Sendung, durchschnittlich 30'000 brieflich Stimmenden und vier Urnengängen pro Jahr könnten zudem nicht unerhebliche Kosten anfallen. Bessere Aussichten auf eine Erhöhung der Partizipation verspricht die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe (Vote électronique). Die Liberalisierung der Stimmabgabe muss als Gebot einer modernen und mobilen Gesellschaft aufgefasst werden. Die Regierung möchte diese Herausforderung daher aktiv angehen, allerdings ohne übertriebene Erwartungen zu wecken. Seit 2005 ist der Kanton Graubünden durch die Standeskanzlei in der Arbeitsgruppe "Vote électronique" des Bundes vertreten. Gemäss dem Bericht des Bundesrats zum Vote électronique soll die Einführung in Etappen erfolgen (BBI 2006, S. 5459 ff.). In einem ersten Schritt sollen dabei die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer einbezogen werden können. Die Regierung beabsichtigt, dem Grossen Rat voraussichtlich anfangs 2009 einen Bericht zu Vote électronique im Kanton Graubünden vorzulegen. Das Ergebnis der politischen Diskussion, die vom Bund gesetzten Rahmenbedingungen sowie die technischen und finanziellen Möglichkeiten werden dann das weitere Vorgehen bestimmen.
Nach diesen Ausführungen ist die Regierung bereit, den Auftrag bezüglich der elektronischen Stimmabgabe im Sinne der Erwägungen entgegenzunehmen. In den übrigen Punkten (Staatskundeunterricht, Übernahme Frankatur) lehnt sie ihn ab.

Datum: 7. Mai 2008