Die Repräsentation der Bevölkerung ist der wichtigste Massstab zur Verteilung von Sitzen in einem Parlament. Das Parlament soll gemäss der Lehre das Volk abbilden und nicht ein Abbild der Mehrheitsmeinung sein. Dabei gelten weniger territoriale Prinzipien, sondern die unterschiedlichen Interessen und Anschauungen. Dazu sind in Theorie und Praxis allgemein sieben Kriterien anerkannt: Region, Parteien, Konfession, Sprache, Beruf, Alter und Geschlecht. Der Bezug zu diesen Kriterien gewährleistet die Repräsentanz eines Parlamentes als Abbild der wählenden Bevölkerung und kann somit als Messgrösse der praktischen Umsetzung definiert werden. Die Bündner Regierung hat sich ebenfalls in der Botschaft zur Initiative „80 sind genug“ dazu bekannt. In diesem Zusammenhang hat sich die Lehre verschiedentlich kritisch zur Repräsentanz des bündnerischen Grossen Rates geäussert. So schrieb etwa der renommierte Staatsrechtsprofessor Alfred Kölz: „In einer auf dem Grundsatz der gleichen Würde jedes Menschen berührenden Demokratie muss zumindest für die Parlamentsarbeit die Erfolgswertgleichheit aller Stimmen ein ständig anzustrebendes Ziel von Politik, Gesetzgebung und Rechtsprechung sein; denn Parlamente erlassen Gesetze, die alle binden.“
Im Weiteren werden die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe durch die Verfassung geschützt. Diese werden bundesgerichtlich mit dem Gebot der Rechtsgleichheit verknüpft. Somit gilt das Gleichheitsgebot als ein Bestandteil der Stimm- und Wahlfreiheit und die Bedeutung für die politischen Rechte wird dadurch direkt ersichtlich.
Zusammengefasst ergeben sich drei zentrale Postulate der Wahlrechtsgleichheit: Die Zählwertgleichheit sichert die gleiche Berücksichtigung aller abgegebenen Stimmen, die Stimmkraftgleichheit sichert die Verwertung der Stimmen und die Erfolgswertgleichheit garantiert, dass alle Stimmen in gleicher Weise zum Wahlergebnis beitragen.
Die unterzeichneten Mitglieder der SP-Fraktion fragen deshalb die Regierung an:
1. Wie sieht sie die Repräsentanz der Bevölkerung im Grossen Rat abgebildet, aufgeschlüsselt auf die sieben genannten Kriterien und als Gesamtheit?
2. Ist im heutigen Wahlsystem die Wahlrechtsgleichheit garantiert, insbesondere wie bewertet die Regierung die Erfolgswertgleichheit und mit welcher Methode wird sie berechnet?
3. Wie hoch bewertet die Regierung die gewichtslosen Stimmen und wie können sie allenfalls minimiert werden?
4. Wie interpretiert die Regierung die Zweifel der herrschenden Lehre, welche die Repräsentanz der Bevölkerung im Grossen Rat kritisch bewerten?
5. Ist die Regierung gewillt, die Repräsentanz des Grossen Rates und die Wahlrechtsgleichheit der Bündner Bevölkerung wissenschaftlich untersuchen zu lassen?
Chur, 23. April 2008
Name: Bucher-Brini, Peyer, Locher Benguerel, Baselgia-Brunner, Gartmann-Albin, Jaag, Jäger, Menge, Pfenninger, Thöny, Trepp, Michel (Chur)
Session: 23.04.2008
Vorstoss: dt Anfrage