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Session: 30.08.2008
In Graubünden können heute nur noch 50 Prozent der 1400 km untersuchten Bach- bzw. Flussläufe bezüglich ihrer Struktur als natürlich bzw. naturnah eingestuft werden. Dies zeigen die ökomorphologischen Untersuchungen des ANU aus den Jahren 1999-2001. Rund 700 km Fliessgewässer sind also nicht mehr natürlich. Insbesondere die Mittelläufe der Bäche und Flüsse in Graubünden sind häufig sehr stark verbaut.

Gewässerlebensräume zählen zu den vielfältigsten Biotopen in Graubünden. Sie bieten für den Menschen wichtige Erholungsräume. Das ist aber noch längst nicht alles. Natürliche Gewässer erneuern und reinigen unser Trinkwasser. In natürlichen Flussbetten kann sehr viel Oberflächen- und Regenwasser versickern. Beim Versickern wird es natürlicherweise gereinigt und bildet im Untergrund eine Wasserreserve, die ohne weitere Aufbereitung als Trinkwasser genutzt werden kann. Leider sind die Grundwasserspiegel in der Vergangenheit teilweise massiv abgesunken. Die mit der Begradigung von Flussläufen verbundene Verkleinerung des Flussbetts hat in den meisten Fällen dazu geführt, dass sich der Fluss tiefer eingegraben hat (Sohlenerosion). Parallel mit der Flusssohle ist auch der Grundwasserspiegel gesunken. Giessenbäche, Grundwasserteiche und Flachmoore sind in der Folge ausgetrocknet. Ausserdem wird im engeren Bachbett deutlich weniger Grundwasser neu gebildet.

In einigen Revitalisierungsprojekten konnten in Graubünden wertvolle Flussabschnitte wiederhergestellt und der Natur zurückgegeben werden. Die wichtigste Triebfeder für Gewässerrevitalisierungen war der Hochwasserschutz. Nachdem nun aber die Hochwasserschutzprojekte weitestgehend abgeschlossen sind, ist mit der Revitalisierung der Fliessgewässer fortzufahren.

In verschiedenen nationalen Gesetzen (Gewässerschutzgesetz, Wasserbaugesetz, Natur- und Heimatschutzgesetz) wird die Revitalisierung von naturfernen Fliessgewässern vorgeschrieben. Die Umsetzung kommt, wenn überhaupt, nur schleppend voran, weil griffige Instrumente für die kontinuierliche Finanzierung von Gewässeraufwertungsprojekten fehlen. Deshalb reichte Mitte 2007 der Walliser Ständerat Simon Epiney eine Motion ein, die einen Zuschlag auf die Übertragung der Hochspannungsnetze von 0,1 Rappen pro Kilowattstunde verlangt. Mit den Erträgen von rund Fr. 60 Mio. pro Jahr soll die Renaturierung von Flüssen und Bächen finanziert werden. Sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat haben die Motion Ende 2007 an den Bundesrat überwiesen.

Einige Kantone (Bern, Genf, Wallis) haben zur Mittelbeschaffung für Revitalisierungen Fondslösungen geschaffen. Am längsten, nämlich seit 1998, besteht der Renaturierungsfonds im Kanton Bern. Eine eindrückliche Liste von umgesetzten Projekten in den Vierjahresberichten zeigt, dass dieses Finanzierungsinstrument äusserst wirksam ist.

Die Vorteile von kantonalen Fondslösungen gegenüber einer Mittelbeschaffung über das ordentliche Staatsbudget sind:

- Es können damit Gelder aus verschiedensten Quellen gesammelt werden, ohne dass die Zweckbindung bei jeder Zuweisung neu definiert werden muss.
- Die Gelder im Fonds sind zweckgebunden. Resultieren aus einer Periode Überschüsse, verbleiben diese im Fonds.
- Der Fonds ermöglicht eine langfristige Planung und Finanzierung der Generationenaufgabe "Revitalisierung der Gewässer".
- Der Fonds ermöglicht Transparenz, Kostenwahrheit und das Benchmarking über die beauftragten Wasserbauunternehmungen und Planer.
- Der Fonds schafft die nötige Glaubwürdigkeit für die Akquisition von finanziellen Zuwendungen gemeinnütziger Stiftungen.

Nicht zuletzt ist die Erstellung eines Revitalisierungskonzepts mit gesicherter Finanzierung auch aus volkswirtschaftlicher Sicht von Bedeutung, da viele Projekte ausserhalb der Fischlaichzeit im Winterhalbjahr ausgeführt werden müssen. Gerade in jener Zeit, in der im Baugewerbe Kapazitäten frei sind, schaffen solche Projektausführungen ein sinnvolles Arbeitsvolumen.

Die Unterzeichnenden fordern die Regierung auf:

1. ein Revitalisierungskonzept für Bündner Fliessgewässer zu erstellen.
 
2. ein Finanzierungsmodell auf der Basis eines Fonds zu entwickeln.
Die Finanzierung sichert die Realisierung des Konzepts.

Chur, 30. August 2008

Thöny, Kleis-Kümin, Meyer-Grass (Klosters Dorf), Arquint, Baselgia-Brunner, Berni, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Jäger, Koch, Menge, Meyer Persili (Chur), Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Righetti, Trepp, Troncana-Sauer, Fischer, Locher Benguerel

Session: 30.08.2008
Vorstoss: dt Auftrag

Antwort der Regierung

Im Kanton Graubünden befinden sich rund 12'000 km Fliessgewässer. Davon hat das ANU in den Jahren 1999 - 2001 etwa 1'500 km mittlere und grosse Gewässer nach ökomorphologischen Kriterien untersucht und 50 Prozent davon noch als natürlich bzw. naturnah eingestuft. Die ökologischen Defizite sind demnach als bekannt vorauszusetzen. Sie bestehen namentlich in Verbauungen und Anlagen, welche die Längsdurchgängigkeit unterbrechen, wie Schwellen und andere künstliche Fischhindernisse.

Bei grossen und mittleren Gewässern erfolgen Revitalisierungen zu einem überwiegenden Teil im Rahmen von neuen und zur Erneuerung bestehender Hochwasserschutz-Projekten, welche das kantonale Tiefbauamt (Abteilung Wasserbau) realisiert. So wurden in den vergangen Jahren grosse Anstrengungen zur Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern unternommen. Das Projekt "Flazverlegung und Renaturierung Inn" im Jahre 2005 bei Samedan beinhaltete z.B. eine Revitalisierung des Gewässerlaufs am alten und neuen Standort. Dieses Projekt bildete eine ausgewogene Balance zwischen schutzbaulichen sowie natur- und gewässerschützerischen Massnahmen und wurde bekanntlich sogar mit dem "Gewässerpreis Schweiz" ausgezeichnet. Weitere grössere Revitalisierungsprojekte am Inn wurden im Jahre 1998 in Tschlin und 2006 in Zuoz realisiert. Umfangreiche ökologische Aufwertungsmassnahmen wurden ferner an der Moesa in Lostallo (1995 - 1996) und in Grono (1999 - 2000) umgesetzt. Hinzu kamen Gerinneaufweitungen am Rom in Müstair (1995 - 3003) und am Alpenrhein in Felsberg (1994 - 1996). Zurzeit steht ein integrales Revitalisierungsprojekt an der Landquart in der Realisierung. In anderem Zusammenhang (Ersatzmassnahmen nach Art. 18ter NHG für Eingriffe in schutzwürdige Lebensräume sowie bei der Sanierung von Gewässern nach Art. 80 ff. GSchG) hat auch das ANU verschiedene konzeptionelle Revitalisierungsprojekte entwickelt, die zum Teil bereits realisiert sind (z.B. Rom, Poschiavino, Inn bei Bever) und zum Teil noch realisiert werden müssen (z.B. Albula beim Zusammenfluss mit dem Hinterrhein bei Thusis, Vorderrhein oberhalb Ilanz bei Tavanasa, Landquart im vorderen Prättigau). Welche dieser Abschnitte zuerst revitalisiert werden können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Massnahmen auch von der betreffenden Standortgemeinde und allenfalls von betroffenen Grundeigentümern begrüsst und gefördert werden.

Die Regierung vertritt die Auffassung, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein zusätzliches, systematisches und flächendeckendes Revitalisierungskonzept mit einem detaillierten Zeitplan über den ganzen Kanton nicht zweckmässig ist. So ist im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) der Revitalisierungsbereich bereits konzeptionell aufgearbeitet worden. Im Rahmen der Programmvereinbarung für die Zeitperiode von 2008 bis 2011 hat sich der Kanton verpflichtet, die entsprechenden Programmziele im Bereich Renaturierungen zu erfüllen.

Von der Schaffung eines Finanzierungsmodells auf der Basis eines Fonds, ist nach dem heutigen Stand der Dinge vorderhand abzusehen. Zum einen ist die Finanzierung des erwähnten Renaturierungsprogramms 2008 - 2011 nämlich durch Bund, Kanton und Gemeinden bereits weitgehend geregelt. Zum andern sollte zweckmässigerweise zudem das Ergebnis der hängigen eidgenössischen Volksinitiative "Lebendiges Wasser (Renaturierungsinitiative)" bzw. eines allfälligen indirekten Gegenvorschlags abgewartet werden.

Schliesslich ist der behauptete volkswirtschaftliche Nutzen der geforderten Revitalisierungen zu relativieren. Wohl trifft es zu, dass das Baugewerbe im Winterhalbjahr über freie Baukapazitäten verfügt, doch ist anderseits zu bedenken, dass gerade unsere häufigste und weit verbreiteste Fischart, die Bachforelle, im Spätherbst laicht und ihre Embryonalentwicklung im Winter durchläuft. Daher sind Gewässereingriffe im Winterhalbjahr nur unter speziellen Voraussetzungen und Schutzmassnahmen möglich.

Aus den dargelegten Gründen beantragt die Regierung, den Auftrag abzulehnen.

Datum: 31. Oktober 2008