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Session: 22.04.2009
In einem am Sonntag, 15. März 2009, in der NZZ erschienenen Artikel mit dem Titel "Rückzug aus Randregionen. Graubünden erwägt, nicht mehr in aussterbende Gemeinde zu investieren" wurde eine Liste von 22 Bündner Gemeinden veröffentlicht, welche in einem Bericht des Kantons als "aussterbende Gemeinden" bezeichnet werden.

Der Stellvertreter des Vorstehers des Amtes für Wirtschaft und Tourismus (AWT) hat in diesem Artikel wörtlich gesagt:

a) "...es geht um koordinierten Rückzug, indem zum Beispiel, bewusst keine Investitionen des Kantons in die Aufrechterhaltung der dezentralen Besiedelung in der heutigen Form mehr getätigt werden";

b) "wenn Talschaften ungünstige Entwicklungschancen haben, sind koordinierter Rückzug und Sterbenlassen theoretisch eine Option";

c) "das Thema bringt natürlich politischen Zündstoff, trotzdem müssen wir uns damit auseinandersetzen".

Ich habe keine Richtigstellung dieses Artikels gesehen. Ich gehe davon aus, dass die wiedergegebenen Behauptungen der Wahrheit entsprechen. Mit vorliegender Anfrage frage ich deshalb die Regierung:

1. Wurde der Auftrag an das AWT, eine Liste von Gemeinden zu erstellen, für welche die theoretische Option des koordinierten Rückzugs und des Sterbenlassens angewandt werden soll, durch die Regierung erteilt?

2. Welches ist die gesetzliche Grundlage für eine solche Beurteilung, angesichts der Tatsache, dass ein hoher Beamter behauptet, sein Amt müsse sich um diese Thematik kümmern?

3. Welches sind die Kriterien (ich verlange eine detaillierte Auflistung), welche für die Bestimmung dieser 22 Gemeinden angewandt wurden?

4. Welches sind die direkt vom Kanton lancierten Projekte zur Verbesserung der Situation in diesen 22 Gemeinden?

Chur, 22. April 2009

Keller, Righetti, Pedrini, Augustin, Berther (Disentis), Blumenthal, Bondolfi, Bundi, Cahannes Renggli, Candinas, Castelberg-Fleischhauer, Cavigelli, Darms-Landolt, Dudli, Fallet, Fasani, Federspiel, Giovanoli, Kleis-Kümin, Kollegger, Mani-Heldstab, Parolini, Pfister, Plozza, Portner, Rizzi, Sax, Stiffler, Stoffel, Tenchio, Thurner-Steier, Toschini, Tuor, Zanetti, Casutt-Derungs (Falera)

Session: 22.04.2009
Vorstoss: dt Anfrage


Antwort der Regierung

Potenzialarme Räume sind geografisch-topografisch abgrenzbare Räume, in denen es Gemeinden gibt, deren mittel- bis längerfristige Lebensfähigkeit gefährdet ist. Verschiedene Prozesse kumulieren sich zu einer Abwärtsspirale, welche dazu führt, dass anhaltende Abwanderung und die Gefährdung der eigenständigen wirtschaftlichen Lebensfähigkeit erwartet werden müssen.

Die Begriffe "Rückzug aus Randregionen" und "aussterbende Gemeinden" sind im Bericht "Strategien zum Umgang mit potenzialarmen Räumen" nicht zu finden. Diese entsprechen der journalistischen Interpretation der Berichtsinhalte. Somit trifft auch die Aussage nicht zu, "Graubünden erwägt, nicht mehr in aussterbende Gemeinden zu investieren".

1. Die erste Projektphase, welche im Herbst 2006 abgeschlossen sowie publiziert wurde und deren Ergebnisse öffentlich zugänglich sind, hatte zum Ziel, zwei Fragestellungen zu klären. "Was sind potenzialarme Räume?" und "Wo sind potenzialarme Räume?". Es wurden Begriffe sowie massgebliche Indikatoren geklärt und somit mittels eines pragmatischen, nachvollziehbaren Vorgehens entsprechende Regionen identifiziert. Die Regierung hat die entsprechenden Aufträge erteilt und Projektbudgets freigegeben. Das Amt für Wirtschaft und Tourismus wurde von einer breit abgestützten Projektgruppe, bestehend aus Vertretern verschiedener Bundesämter und kantonalen Amtsstellen, begleitet.

2. Im Zusammenhang mit der Neuen Regionalpolitik hat der Bund den zukünftigen Umgang mit "peripheren, schlecht erreichbaren Gebieten" thematisiert und vorgeschlagen, dass die Kantone Strategien zum Umgang mit potenzialarmen Räumen festlegen. Dies, weil davon ausgegangen wird, dass die Grundprinzipien der Neuen Regionalpolitik (Stärkung von Innovation, Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit) nicht in allen Regionen eine gleich hohe Wirkung zeigen werden. Es ist vorgesehen, dass Kantone mit dem Bund Programmvereinbarungen zur Strategieumsetzung abschliessen können. Die Regierung hat sowohl den Bericht zur Phase 1 (Herbst 2006) als auch den Bericht zur Phase 2 (Frühling 2009) zur Kenntnis genommen. Im Regierungsprogramm 2009-2012 sind Entwicklungsschwerpunkte (ES 23-12 Neue Regionalpolitik, ES 24-21 Sondernutzungsräume) aufgeführt, welche sich ebenfalls direkt oder indirekt mit dieser Thematik befassen.

3. Zur Bestimmung von "kritischen" und "eher kritischen" Gemeinden wurden statistische Auswertungen von mehreren Indikatoren vorgenommen. Die Ist-Analyse zeigt die heutige Situation in den Gemeinden auf und ist auch das Ergebnis der Entwicklung in der Vergangenheit. Berücksichtigt wurde der Zeitraum 1990 bis 2000. Zusätzlich wurde ein Trend-Szenario erarbeitet, welches der Fortsetzung der jüngsten Entwicklung unter Berücksichtigung der zurzeit absehbaren Umfeldveränderungen entspricht. Jedem Indikator wurde auch ein Schwellenwert zugeordnet. Folgende Indikatoren wurden beurteilt: Erschliessung (Fahrzeit zum nächsten regionalen Zentrum), Finanzen (Finanzkraft, Steuerertrag der natürlichen Personen pro Kopf), Versorgung (Versorgungsleistungen im Bereich Banken, Grundschule, medizinische Grundversorgung, Lebensmittelgeschäfte und Restaurants), Bevölkerung (Bevölkerung total, Belastungsindex), Beschäftigung und Wertschöpfung vor Ort sowie Beschäftigung in Pendlerdistanz (Auspendler). Alle Details wurden im Anhang zum Bericht Phase 1 publiziert und sind öffentlich zugänglich.

4. Der Kanton hat keine eigenen konkreten Projekte zum Umgang mit potenzialarmen Räumen. Im Umsetzungsprogramm Graubünden 2008-2011 zur Neuen Regionalpolitik sind jedoch finanzielle Mittel für Pilotprojekte und konkrete Umsetzungen vorgesehen. Nach Vorliegen von fundierten Grundlagen sind die regionalen Akteure in den Talschaften aufgerufen, sich aktiv mit der Inwertsetzung von Potenzialen auseinander zu setzen. Patentrezepte gibt es ebenso keine wie rasche Lösungen. Es handelt sich um Entwicklungsfragen, welche einen Zeithorizont von fünf und mehr Jahren aufweisen.

Datum: 16. Juni 2009