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Aus unterschiedlichem Holz geschnitzt

Nicht nur die bunt gemischten Stühle im Churer Kulturpunkt stehen für Vielfalt. Auch die Menschen, die darauf kulinarische Weltreisen unternehmen, Konzerte hören oder gemeinsam Nähen.

Am Anfang stand die Vision einer Wohnbaugenossenschaft für generationsübergreifendes Wohnen. Vielleicht in Kombination mit Gewerberäumen und Gastronomie. «Und jetzt haben wir noch viel mehr», freut sich Cornelia Bischoff. Die Wahl-Churerin mit Basler Wurzeln engagierte sich zusammen mit mehreren Mitstreiterinnen und Mitstreitern über zehn Jahre lang für das Vorhaben, das es in Chur so noch nie gegeben hat. Hürden standen einige im Weg, «doch wir haben durchgehalten», ergänzt die Pensionärin. Mit Erfolg: Seit 2023 bietet die Genossenschaft Bainviver an der Planaterrastrasse in der Altstadt 16 Wohnungen für Jung, Alt und alle dazwischen.

Rahmenbedingungen schaffen

Dafür, dass im rund hundertjährigen, ehemaligen Labor- und Schulgebäude nicht «nur» gewohnt und gearbeitet wird, sorgte eine andere Gruppe hartnäckiger Engagierter. Rita Gianelli ist eine von ihnen. «Wir sahen aus unterschiedlichen Gründen Bedarf an einem professionell geführten Kultur- und Begegnungsort, in dem sich Menschen jeglicher Couleur ohne Konsumzwang willkommen fühlen und einbringen können», sagt die Verantwortliche für das Thema Migration in der evangelisch-reformierten Landeskirche Graubünden. Auch hier dauerten Schwangerschaft und Geburt dieser Stätte ihre Zeit. im März 2023 war es dann aber so weit. Der Kulturpunkt öffnete im Erdgeschosses der Genossenschaft mit einem rauschenden Fest seine Tore. «Zur Realität wurde unsere Vision u. a. dank einer Leistungsvereinbarung mit finanzieller Beteiligung der Fachstelle Integration», erklärt Gianelli, die bis heute im Vorstand des Trägervereins sitzt. «Wir glauben, dass in Graubünden viel interkulturelles Potenzial brachliegt, das neuzugezogene Menschen aus mittlerweile über 120 Nationen hierherbringen.» Das wolle man aktivieren, Einheimische und Zugezogene zusammenbringen, gegenseitige Ängste abbauen. «Der Kulturpunkt bietet Rahmenbedingungen, in denen die Verwirklichung von Ideen gelingen kann, und zwar mit fachkundiger Begleitung», erklärt sie und verweist auf die sozio-kulturelle Animatorin im Team. Sie ergänzt den Gastrobereich mit einem öffentlichem Bistro, in welchem jeden Wochentag ein leckeres, bezahlbares Mittagsmenu serviert wird. «Wir treffen regelmässig auf Menschen, die sich für ein besseres Zusammenleben engagieren möchten – gerade aus der Migrationsbevölkerung. Ihnen fehlt es aber oft am Wissen wie, an der passenden Infrastruktur oder am dafür notwendigen Netzwerk», so Gianelli. Hier setze die sozio-kulturelle Animatorin an.

Über die Kulinarik zusammenfinden

Wie das schon mit einfachen Mitteln gelingt, zeigt ein Besuch am Kultur-Brunch, der jeden zweiten Sonntag stattfindet. Nach und nach stossen Menschen dazu, die nicht nur einen leeren Magen mitbringen, sondern auch eine volle Tasche. Eine Frau aus Tibet ist genauso dabei wie eine Familie aus der Ukraine, ein Bierbrauer aus der Nachbarschaft genauso wie Cornelia Bischoff und weitere Genossenschafterinnen und Genossenschafter. Alle bringen sie etwas Kulinarisches nach Rezepten aus dem Herkunftsland mit und schaffen so das wohl abwechslungsreichste Brunch-Buffet der ganzen Stadt. Wer mit leeren Händen kommt, legt etwas in die Kasse damit die Produzentinnen und Produzenten ihre Kosten decken können. An einem zu schmalen Budget soll hier nichts scheitern. In der Mitte des Raumes reihen sich Kinder, Männer, Frauen an einer langen Tafel, die bald nicht mehr genug Platz bietet. Kaffeetassen wechseln sich ab mit türkischen Teegläschen, ruhigere Momente mit angeregten Gesprächen und viel Lachen. Cornelia Bischoff hat diesmal nichts beigesteuert, sie helfe dafür bald an einem anderen Anlass mit. Jeden Freitagabend ist im Kulturpunkt Barbetrieb mit Livemusik. «Eine Idee, die wir Genossenschafterinnen und Genossenschafter eingebracht haben und aktiv mittragen», so Bischoff. Je nach Musikrichtung würden hier wieder ganz andere Menschen zusammenfinden. «Es ist wie mit den Stühlen im Raum: Wir sind alle aus unterschiedlichem Holz geschnitzt und passen doch irgendwie zusammen.» Das merke man auch an den wöchentlichen Näh-Treffs, bei denen sich Frauen unterschiedlichster Herkunft beim Flicken, Sticken und Kreieren gegenseitig inspirieren. An fünf Nähmaschinen, die dank Beziehungen einer der Genossenschafterinnen zu einer bekannten Herstellerin kostenlos zur Verfügung stehen. All diese Fäden werden im Kulturpunkt auch in Zukunft zu Begegnungen gesponnen und durch weitere ergänzt – «wir freuen uns auf alle, die dabei mitmachen», sagt Rita Gianelli uns spricht wohl allen im Kulturpunkt aus dem Herzen.

Text: Philipp Grünenfelder