Der Kanton Graubünden tritt dem unkontrollierten Zweitwohnungsbau mit differenzierten Massnahmen entgegen. Die Bündner Regierung hat die Anpassung des kantonalen Richtplans mit der Thematik "Erst- und Zweitwohnungen sowie touristische Beherbergung" verabschiedet und für verbindlich erklärt. Bis Mitte 2013 sollen mindestens 35 Bündner Tourismusgemeinden über massgeschneiderte Lösungen verfügen, um die Zweitwohnungsentwicklung gezielt zu lenken.
Der Entwurf des Richtplans wurde in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Gemeinden und Regionen erarbeitet. Er lag in der Zeit vom 9. April bis 11. Mai 2009 öffentlich auf und stiess bei Bevölkerung und Verbänden mehrheitlich auf ein positives Echo.
Der nun von der Regierung beschlossene und für die Behörden für verbindlich erklärte Richtplan zielt insbesondere darauf, die Zunahme von unerwünschten unbewirtschafteten Zweitwohnungen im Kanton künftig einzudämmen. Gleichzeitig sollen die bestehenden Zweitwohnungen durch aktive Vermietung besser ausgelastet und damit die Kernwirtschaft des Tourismus gestärkt werden. Im Übrigen bezweckt der Richtplan, erschwinglichen Wohnraum für die einheimische Bevölkerung zu fördern.
Preisgünstiger Wohnraum für die einheimische Bevölkerung
In vielen Tourismuszentren sind Wohnungen für die ortsansässige Bevölkerung wegen der starken Nachfrage nach Zweitwohnungen kaum mehr erschwinglich. Die Regierung anerkennt den Handlungsbedarf in diesem Bereich. Deshalb wird im Richtplan der Förderung von preisgünstigem Wohnraum ein besonderes Augenmerk geschenkt. Die Gemeinden sind aufgefordert, im Bedarfsfall ein Massnahmenpaket zugunsten des Wohnungsbaus für die einheimische Bevölkerung zu erlassen. Dabei sollen die Gemeinden insbesondere dem zunehmenden Druck auf die Umnutzung bestehender Erstwohnungen in Zweitwohnungen entgegentreten.
Bei Zweitwohnungen ist eine differenzierte Betrachtung gefordert
Der Richtplan basiert auf dem Ansatz, dass Zweitwohnungen nicht grundsätzlich etwas Negatives sind. Unbestreitbar führt ein ungezügelter und spekulativer Zweitwohnungsbau zu Problemen für die Landschaft, das Image und die Attraktivität einer Destination. Zweitwohnungen sind jedoch auch von grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung. Der "Betrieb" von Zweitwohnungen generiert immerhin rund die Hälfte der rund 12 Millionen Logiernächte in Graubünden.
Wichtig für den Tourismus sind bewirtschaftete Zweitwohnungen, also Wohnungen, die vermietet werden und damit über längere Zeiträume belegt sind. In der ganzen Diskussion ist daher klar zwischen förderungswürdigen bewirtschafteten (warmen) und weniger förderungswürdigen unbewirtschafteten (kalten) Zweitwohnungen zu unterscheiden.
Vorgaben zur Lenkung unbewirtschafteter Zweitwohnungen
Kernstück des Richtplans ist die Vorgabe, das Entstehen neuer unbewirtschafteter Zweitwohnungen in Tourismusgemeinden zu begrenzen. Um auf die unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen Tourismusräumen angemessen Rücksicht nehmen zu können, macht der Richtplan flexible Zielvorgaben: Innerhalb bereits bestehender Bauzonen soll der Zweitwohnungsbau künftig auf 30 bis 50% der bisherigen Entwicklung begrenzt werden. Bei Neueinzonungen sollen maximal 30% des möglichen Nutzungsmasses für Zweitwohnungen zur Verfügung stehen. Bewirtschaftete Zweitwohnungen sind von diesen Lenkungszielen ausdrücklich ausgenommen.
Der geforderten Beschränkung auf 30 bis 50% haben die Gemeinden bis spätestens Mitte 2013 Rechnung zu tragen; die Beschränkung bei Neueinzonungen gilt per sofort. Das Ermitteln und Festlegen der künftig noch möglichen Summe an Zweitwohnungen pro Gemeinde erfolgt bis spätestens 2011 durch die Region je Tourismusraum. Ziel sind letztendlich kommunale Kontingente nach dem Vorbild des regionalen Richtplans Oberengadin. Die Gemeinden können selbstverständlich bereits jetzt Kontingentierungsvorschriften erlassen, wobei sie diese dann später allenfalls an die regionale Vorgabe anpassen müssen.
35 Gemeinden in unmittelbarer Pflicht
Der Richtplan bezeichnet 35 Gemeinden, die sich aus Sicht des Kantons mit der Zweitwohnungsthematik zu beschäftigen haben. Diese Gemeinden müssen bis spätestens Mitte 2013 über richtplankonforme Vorschriften verfügen, um die Zweitwohnungsentwicklung zu lenken und die übrigen Ziele zu erfüllen. Betroffen sind ausschliesslich Gemeinden in Tourismusräumen. Es sind dies zum einen die Hauptzentren in den grossen Tourismusräumen (Oberengadin, Flims / Laax, Lenzerheide / Arosa, Klosters / Davos, Scuol / Samnaun) mit umliegenden Gemeinden, zum anderen die touristischen Zentrumsgemeinden der übrigen Tourismusräume (Tujetsch, Disentis/Mustér, Obersaxen, Breil/Brigels, Splügen, Savognin, Mesocco) und zwei Spezialfälle (Bregaglia und Zernez).
Neben diesen 35 Gemeinden können die Regionen in ihren regionalen Richtplänen weitere Gemeinden als handlungspflichtig erklären. Ausserdem ist es den Regionen erlaubt, bestimmte Gemeinden, in denen die Gefahr eines unerwünschten Überschwappens der Zweitwohnungsnachfrage noch nicht akut ist, in einen Beobachterstatus zu versetzen. Schliesslich können die Regionen im Rahmen der regionalen Richtplanung gestützt auf eine Überprüfung der Datenbasis allenfalls auch Gemeinden von der kantonalen Pflichtliste streichen, falls sich die Einschätzung des Kantons als unangemessen herausstellen sollte.
Werkzeugkasten für die Gemeinden
Ein zentrales Element für die Umsetzung des kantonalen Richtplans ist der Werkzeugkasten, der zeitgleich mit dem Richtplan verabschiedet worden ist. Darin sind Begriffe definiert, Vorgehensweisen skizziert sowie über ein Dutzend Einzelmassnahmen (wie z.B. Kontingentierungsmodelle, abgaberechtliche Massnahmen etc.) beschrieben und mit Mustervorschriften konkretisiert. Die Gemeinden können die Elemente des Werkzeugkastens je nach spezifischer Problemstellung und Zielsetzung in unterschiedlicher Kombination einsetzen.
Die nächsten Schritte
Der Richtplan muss nach der Verabschiedung durch die Regierung noch durch den Bundesrat genehmigt werden. Für die Gemeinden und Regionen im Kanton ist er dennoch ab sofort verbindlich. Sie haben nun umgehend die Umsetzung an die Hand zu nehmen. Als anspruchsvoll dürfte sich insbesondere die Entwicklung ausgewogener Massnahmenpakete in den einzelnen Tourismusräumen gestalten, welche alle Zielsetzungen im Interesse einer nachhaltigen volkswirtschaftlichen Entwicklung gleichermassen berücksichtigen. Bei dieser Aufgabe werden die Regionen vom Kanton flankierend unterstützt, so unter anderem durch entsprechende Pilotprojekte.
Weitere Informationen:
Die Dokumente "Richtplantext", "Auswertungsbericht" und "Werkzeugkasten" sind im Internet unter
www.are.gr.ch in der Rubrik Aktuelles einsehbar.
Auskunftsperson:
Regierungspräsident Hansjörg Trachsel, Vorsteher Departement für Volkswirtschaft und Soziales, Tel. 081 257 23 15
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden