Die Weidesaison ist angelaufen und in Kürze werden die Bündner Alpen mit Nutztieren bestossen. Auf den Heimweiden zeigt sich die Wolfspräsenz schon jetzt deutlich. In diesem Jahr sind bis Ende Mai – auch in gut geschützten Herden – bereits 39 Nutztiere durch Wölfe gerissen worden und im Gebiet des Beverinrudels waren mehrere Angriffsversuche auf Jungvieh festzustellen. Auch in den Südtälern ist die Wolfspräsenz vermehrt spürbar und fordert die konsequente Umsetzung von Herdenschutzmassnahmen. Gefragt sind auch neue Rahmenbedingungen auf Bundesebene im Umgang mit dem Wolf, der sich als national und international geschützte Tierart bei uns etabliert hat, um eine Koexistenz zwischen Mensch und Wolf zu ermöglichen.
Bis Ende 2021 wurden schweizweit 148 Wölfe in 16 Rudeln festgestellt, davon sechs in Graubünden. Im Durchschnitt wächst der Wolfsbestand jährlich um circa 30 Prozent. Es ist davon auszugehen, dass parallel dazu auch die Schäden – trotz Herdenschutzmassnahmen – weiter ansteigen werden. Der im Kanton Graubünden mit grossem Aufwand betriebene Herdenschutz kommt an seine Grenzen. Mit dem aktuellen Bestand ist es für den Kanton Graubünden nicht mehr sachgerecht, den Wolf als gefährdete Tierart zu bezeichnen. In den Roten Listen «Gefährdete Arten der Schweiz» 2022 des Bundesamts für Umwelt (BAFU) wird der Wolf nunmehr als «verletzlich» geführt.
Wolfspräsenz mittlerweile in allen Kantonsteilen
Wie erwartet ist die Wolfspräsenz mittlerweile in allen Kantonsteilen Realität und der Wolfsbestand zunehmend. Mit dem Beginn der Weideperiode gab es wiederum manchenorts Nutztierrisse, mehrfach auch in fachgerecht geschützten Herden. So hat beispielsweise das Beverinrudel in zwei Angriffen bereits über zehn Tiere aus einer korrekt umzäunten Schafherde gerissen und dadurch die Schadenschwelle für Regulationsabschüsse erreicht. Zudem musste im selben Gebiet drei Mal beobachtet und eingegriffen werden, als ein Wolf in Rinderherden den Tieren nachjagte, auch tagsüber.
Notwendigkeit einer proaktiven Regulation des Wolfsbestands
Abschüsse sind nach aktueller Gesetzgebung des Bundes erst möglich, nachdem Schäden auftreten und gleichzeitig Nachwuchs im Rudel bestätigt werden kann. Um jedoch einen Lerneffekt zu erzielen, müssen Jungtiere in der Nähe von anderen Wölfen und in Situationen mit Nutztieren erlegt werden können. Jungtiere begleiten die Elterntiere jedoch erst ab einem Alter von circa drei Monaten auf deren Beutezügen und werden in der Regel erst spät in der Alpsaison entdeckt. Bis zum Spätsommer sind Abschüsse zwar möglich, aber hinsichtlich eines Lerneffekts gegenüber Nutztieren kaum wirksam. Um den ansteigenden Risszahlen entgegenzuwirken, ist deshalb neben konsequentem Herdenschutz zusätzlich auch die Möglichkeit zur proaktiven Regulation des Wolfsbestandes als weitere Schutzmassnahme unabdingbar. Dafür braucht es eine Anpassung der Jagdgesetzgebung auf Bundesebene, für deren Umsetzung sich die Bündner Behörden und Interessengruppen im Zusammenwirken mit den anderen Gebirgskantonen konsequent und aktiv einbringen.
Was hat sich für die diesjährige Weidesaison geändert?
Der Herdenschutz ist dank der ausgebauten Herdenschutzberatung des Plantahofs im Kanton Graubünden mittlerweile grossmehrheitlich etabliert. Mit dem vom Bund zur Verfügung gestellten Zusatzkredit von 5,7 Millionen Franken können beim Kanton ab sofort einmalige Beiträge für weiterführende Herdenschutzmassnahmen beantragt werden. Diese Mittel können auch im Falle von wolfsbedingt frühzeitigen Alpentladungen beansprucht werden. Die Regelungen für Abkalbungen auf Sömmerungsbetrieben haben sich im vergangenen Jahr bewährt und werden ebenfalls beibehalten. Zudem können durch das Amt für Jagd und Fischerei neu auch gewisse Arbeitsaufwände der Nutztierhalter im Zusammenhang mit verletzten Nutztieren entschädigt werden. Das Bundesamt für Landwirtschaft beabsichtigt zudem mit einer rückwirkenden Anpassung der Direktzahlungsverordnung, die ständige Hirtschaft bei den Schafen zu stärken und bei vorzeitiger Alpentladung unter bestimmten Voraussetzungen die Sömmerungsbeiträge vollständig auszubezahlen. Dabei bleibt darauf hinzuweisen, dass die notwendigen Beschlüsse zu diesen Anpassungen erst im Oktober vom Bundesrat gefällt werden.
Auskunftspersonen:
- Adrian Arquint, Leiter Amt für Jagd und Fischerei Graubünden, Tel. +41 81 257 38 92 (erreichbar bis 15.00 Uhr), E-Mail Adrian.Arquint@ajf.gr.ch
- Batist Spinatsch, Leiter Beratung und Weiterbildung, Plantahof, Tel. +41 81 257 60 61 (erreichbar von 13.30 bis 14.30 Uhr), E-Mail Batist.Spinatsch@plantahof.gr.ch
zuständig: Amt für Jagd und Fischerei