Im Kanton Graubünden existieren 3 Normalarbeitsverträge (NAV): NAV für das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis, NAV für das landwirtschaftliche Arbeitsverhältnis und der NAV für das Alp- und Hirtschaftspersonal. Die schweizerische Gesetzgebung passt sich immer wieder den aktuellen Gegebenheiten an. So wurde auf nationaler Ebene beispielsweise der Versicherungsschutz für Arbeitnehmer im Bereich der Nichtberufsunfälle ab einer durchschnittlichen Beschäftigung von mindestens 8 Stunden pro Woche erweitert. Hier sehen die kantonalen NAV's noch immer eine Deckung ab 12 Stunden (Hauswirtschaft) oder sogar keine Regelung (landwirtschaftliches Arbeitsverhältnis und Alppersonal) vor. Der Versicherungsschutz sollte jedoch gleichwertig für alle Arbeitnehmenden gelten. Auch bei der Lohnfortzahlung bei Arbeitsverhinderung bestehen zwischen den 3 NAV's Unterschiede. So sieht der NAV für das Alp- und Hirtschaftspersonal eine Lohnfortzahlung von 3 Wochen (im ersten und zweiten Alp- oder Hirtschaftssommer) vor und erst danach eine solche von 4 Wochen, wie bei den anderen beiden NAV's. Ebenso sind die Arbeitszeiten unterschiedlich festgelegt (Hauswirtschaft: 44 Std.; Landwirtschaft 55 Std.; Alpwirtschaft 66 Std.). Dasselbe gilt für die wöchentlichen Freitage (Hauswirtschaft: 1.5 Tage; Landwirtschaft 1.5 Tage; Alpwirtschaft 1 Tag).Während im NAV für das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis eine Regelung des Ferienlohnes enthalten ist, fehlt eine solche Bestimmung in den beiden anderen NAV's. Ausserdem fehlt beim NAV für das Alp- und Hirtschaftspersonal eine Bestimmung über den Ferienanspruch. Diese unterschiedlichen Regelungen sind weder nachvollziehbar noch gerechtfertigt, weshalb sich eine einheitliche Reglung bzw. Koordination zwischen den 3 NAV's aufdrängt.
Mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU und deren Mitgliedsstaaten kommt dem Normalarbeitsvertrag (NAV) neben der minimalen arbeitsrechtlichen Absicherung eine zusätzliche Bedeutung zu. Als eine der flankierenden Massnahmen ist er einerseits für die Einführung von Mindestlöhnen in jenen Branchen oder Berufen vorgesehen, in denen die orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne wiederholt missbräuchlich unterboten werden; andererseits definiert er so eine Grundbasis, welche der Personalrekrutierung im benachbarten Ausland einzig mit dem Hintergrund des Lohndumpings einen Riegel schiebt. Es rechtfertigt sich deshalb, in den 3 NAV's einen Mindestlohn von Fr. 3'500.– festzusetzen, wobei ein allfälliger Naturallohn in Form von Kost und Logis in Abzug gebracht werden kann.
Die Regierung wird beauftragt:
1. Die bestehenden kantonalen Normalarbeitsverträge im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu überarbeiten, einander anzugleichen und wo notwendig zu ergänzen.
2. Mindestlöhne auf Basis von CHF 3'500.– brutto pro Monat festzulegen.
Chur, 20. April 2010
Menge, Arquint, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Jäger, Peyer, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Thöny, Trepp, Locher Benguerel
Antwort der Regierung
1. Angleichung/Ergänzung der drei NAV
Die Regierung des Kantons Graubünden hat gestützt auf Art. 359 f. OR drei Normalarbeitsverträge (NAV) erlassen, nämlich für das landwirtschaftliche Arbeitsverhältnis (Stand Jahr 1998, Revision 2009), über das Alp- und Hirtschaftspersonal (Stand Jahr 1998) und für das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis (Stand Jahr 1987). Aufgrund der verschiedenen Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse in diesen Berufszweigen und der daraus folgenden unterschiedlichen Bedürfnissen bestehen nachvollziehbare Gründe für differenzierte Regeln in den NAV. Dies betrifft vor allem die Arbeitszeiten, Freitage und Ferien, aber auch die Lohnfortzahlung. Eine identische Regelung für alle drei Branchen ist unzweckmässig, da das Alppersonal nur befristet während der Sömmerungsperiode angestellt wird und das Landwirtschaftspersonal im Gegensatz zum Hauswirtschaftspersonal grossen saisonalen Arbeitszeitschwankungen unterliegt. Daneben ist festzuhalten, dass die zwingenden und relativ zwingenden Regeln im Bundesrecht (z.B. bezüglich Unfallversicherung gemäss UVG; Lohnfortzahlungspflicht, Ferienlohn und Ferienanspruch gemäss OR), von den Bestimmungen im NAV nicht beeinflussbar sind und uneingeschränkt Gültigkeit haben.
Was die Unfallversicherung anbelangt, so enthält lediglich der NAV Hauswirtschaft noch Bestimmungen (Art. 15). Diese Norm ist aber aufgrund des Bundesrechts, welches zwingende Regeln enthält und Vorrang hat, nicht mehr anwendbar. Die anderen NAV führen (richtigerweise) aufgrund der Regelungen im Bundesrecht keine Normen bezüglich der Unfallversicherung. Eine Anpassung drängt sich folglich nicht auf.
Die Lohnfortzahlungspflicht ist in allen drei NAV geregelt. Die NAV Hauswirtschaft und Landwirtschaft enthalten dieselben Regeln, der NAV Alpwirtschaft weicht ab. Dies ist aber begründet, da das Alp- und Hirtschaftspersonal in Graubünden jeweils nur für ein Drittel des Jahres (Sömmerungsperiode) angestellt ist. Folglich besteht auch in diesem Bereich kein Handlungsbedarf.
Die Unterschiede in den NAV bezüglich Arbeitszeit und Ferientage sind begründet. Eine Angleichung würde den verschiedenen Bedürfnissen in diesen Branchen nicht gerecht werden. Zudem wurde der NAV Landwirtschaft per 1.7.2009 in diesem Bereich angepasst, unter anderem auch ans Arbeitsgesetz (Altersgrenze Jugendliche 18 Jahre). Eine Anpassung der anderen NAV hätte zur Folge, dass sie ungünstiger würden für die Jugendlichen. Folglich muss keine Anpassung erfolgen.
Betreffend Ferienlohn ist festzuhalten, dass hier das Obligationenrecht zwingende Bestimmungen aufstellt und deshalb Art. 13 NAV Hauswirtschaft keine Wirkung entfaltet. Die anderen NAV haben keine Regelung in diesem Bereich, das OR gilt. Der Ferienanspruch ist in den NAV Hauswirtschaft und Landwirtschaft geregelt, im NAV für das Alp- und Hirtschaftspersonal nicht. Folge davon ist, dass dieses Personal keine fünfte Ferienwoche im Alter von über 50 Jahren erhält. Dieser Unterschied ist branchenbedingt und vermag eine Angleichung nicht zu begründen.
Der Bündner Bauernverband als Vertreter der drei Branchen ist ebenfalls der Auffassung, dass keine Anpassungen in den NAV notwendig sind.
2. Mindestlöhne
Die Festlegung eines Mindestlohnes im NAV wäre weder gerechtfertigt noch bindend. Dies gilt insbesondere für das Alp- und Landwirtschaftspersonal. Einerseits werden die Lohnrichtlinien in der Landwirtschaft nämlich sozialpartnerschaftlich zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände der landwirtschaftlichen Angestellten (ABLA), dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) und dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) vereinbart. Sie bilden auch die Grundlage für die Kontrolle der tripartiten Kommission in Sachen Lohnunterschreitung. Die Lohnrichtlinien werden jährlich neu verhandelt. Andrerseits können im Normalfall im NAV keine zwingenden Mindestlöhne vorgeschrieben werden. Es wäre rechtlich zwar zulässig, einen Mindestlohn im NAV festzulegen, aber aus der Handels- und Gewerbefreiheit ergibt sich, dass von einer solchen Bestimmung abgewichen werden darf. Der Mindestlohn in einem NAV würde folglich nur dispositives Recht darstellen.
Eine Ausnahme dazu ergibt sich allerdings aus Art. 360a OR. Gemäss dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde zur Bekämpfung oder Verhinderung von Missbräuchen auf Antrag der Tripartiten Kommission einen befristeten Normalarbeitsvertrag erlassen und in diesem Vertrag verbindliche Mindestlöhne festlegen. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass innerhalb einer Branche oder einem Beruf die orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten wurden und kein Gesamtarbeitsvertrag mit Bestimmungen über Mindestlöhne vorliegt. Art. 360a und 360b OR wurden im Zusammenhang mit der Einführung des freien Personenverkehrs eingeführt. Das KIGA hat im Rahmen des Vollzuges der flankierenden Massnahmen bis jetzt nicht feststellen können, dass in den Regelungsbereichen der bündnerischen NAV die orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten wurden. Zwar werden hin und wieder zu tiefe Löhne festgestellt. In solchen Fällen ist es dem KIGA bis jetzt immer gelungen, im Rahmen des Verständigungsverfahrens die notwendigen Anpassungen zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass gestützt auf Art. 360a OR auf Bundesebene verbindliche Mindestlöhne für das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis festgelegt werden sollen. Zurzeit ist das Vernehmlassungsverfahren im Gange. Der Bund sieht vor, differenzierte Mindestlöhne für ungelernte, gelernte sowie Arbeitskräfte mit Berufserfahrung einzuführen. Die Festlegung eines verbindlichen Mindestlohnes von CHF 3'500.-- für das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis auf kantonaler Ebene würde somit ohnehin entfallen.
Im Lichte dieser Ausführungen beantragt die Regierung die Ablehnung des Fraktionsauftrags.
21. Juni 2010