Die Förderung besonderer Begabungen im Volksschulalter kann unter anderem durch den Aufbau und Betrieb spezieller Talentschulen erfolgen. Die geltenden Bestimmungen des Schulgesetzes, der Vollziehungsverordnung und des Lehrplans enthalten Hindernisse und Hemmnisse für die intensive Schulung und die Förderung besonderer Begabungen in den Bereichen Sport, Musik, bildende Künste u. Ä. Namentlich die Bestimmungen über die jährliche Schulzeit (Schulgesetz Art. 15) und über die wöchentlichen Pflichtlektionen (Art. 20) schränken die angemessene, gleichzeitige Verfolgung der schulischen Ziele und der schon im Primarschulalter anzusetzenden Förderung besonderer Begabungen ein. Ernsthafte und erfolgversprechende Talentförderung setzt voraus, dass schon zum Beispiel ab der 5. Primarschulklasse während der Schultage und Schulwochen regelmässig und systematisch Zeit ins Training bzw. ins Üben und in andere Tätigkeiten zugunsten der besonderen Begabung investiert wird. Kommt diese Belastung zum normalen Unterrichtsumfang der Volksschule hinzu, so wird die zeitliche Belastung zu gross.
Beides, die schulischen Ziele und die gezielte Förderung der besonderen Begabung, kann gleichzeitig mit Erfolg angestrebt werden, wenn das Gleichgewicht im Jahresverlauf in anderer Weise hergestellt wird. Hierfür ist es nötig, in spezialisierten Talentschulen die Anzahl wöchentlich erteilter Lektionen reduzieren zu können. Zum Ausgleich sollen bei Bedarf in solchen Talentschulen gleichzeitig die jährlichen Schulwochen erhöht werden können.
Zudem sollen die Lehrpläne (vgl. Verordnung) der Talentschulen zugunsten der Förderung besonderer Begabungen angepasst werden können. Verschiedene Kernfächer, die für den Übergang an weiterführende Schulen zentral sind, sollen im vollen, normalen Lektionenumfang angeboten werden. Andere Fächer sollen hingegen bei Bedarf etwas gekürzt werden können. Dies rechtfertigt sich durch zweierlei, einmal durch die vielen ebenfalls lehrreichen Trainings- bzw. Übungseinheiten im Bereich der besonderen Begabung sowie durch die erhöhte Leistungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler von Talentschulen, den Stoff in kürzerer Zeit zu bewältigen. Diese Bereitschaft ist Voraussetzung für den Besuch einer solchen Talentschule.
Die Unterzeichnenden möchten, dass aber auch Talentschulen die persönlichen Interessen der Kinder und Jugendlichen für ihren späteren Lebensweg wahren. Trotz der Talentförderung muss Jahr für Jahr sichergestellt werden, dass sie eine breite und ausgewogene Bildung erhalten, die ihnen eine hohe Lebensqualität und den Anschluss an die entsprechenden Berufsbildungswege gewährt. Die zu erreichenden Bildungsziele sollen denjenigen der normalen Volksschule ebenbürtig sein.
Die Unterzeichnenden beauftragen die Regierung, die entsprechenden rechtlichen Bestimmungen zu schaffen bzw. die Rahmenbedingungen vor Ende 2011 zu präzisieren, damit spätestens ab Sommer 2012 spezielle Schulen mit privater oder öffentlicher Trägerschaft zur Förderung besonderer Begabungen dauerhaft ihren Betrieb aufnehmen können. Diese sollen ab den höheren Primarschulklassen bis zur Vollendung der obligatorischen Schulzeit reichen können und im Rahmen eines pädagogischen Konzepts die Möglichkeit haben, mit reduzierter wöchentlicher Stundenzahl, erhöhter jährlicher Anzahl Schulwochen und einer Teilentlastung der Wochenpflichtlektionen in einzelnen Fächern zu arbeiten.
Chur, 19. Oktober 2010
Bezzola (Samedan), Cavegn, Aebli, Albertin, Berther (Disentis/Mustér), Blumenthal, Bondolfi, Brandenburger, Buchli-Mannhart, Caduff, Caluori, Candinas, Casty, Casutt, Casutt-Derungs, Clalüna, Darms-Landolt, Della Vedova, Dermont, Dosch, Engler, Florin-Caluori, Geisseler, Hartmann (Champfèr), Hitz-Rusch, Jeker, Joos, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Mani-Heldstab, Märchy-Caduff, Michael (Castasegna), Montalta, Niederer, Niggli (Samedan), Perl, Pfäffli, Righetti, Rosa, Sax, Tenchio, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Troncana-Sauer, Waidacher, Candrian
Antwort der Regierung
Der vorliegende Auftrag möchte bis Ende 2011 rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen schaffen, die es privaten oder öffentlichen Trägerschaften ermöglichen, ab Sommer 2012 für Volksschülerinnen und Volksschüler mit besonderen Begabungen von der 5. Primarklasse bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit spezielle Talentschulen bzw. Talentklassen zu führen. Die Erwartungen sind hoch: Gemäss Auftragstext sollen diese speziellen Schulen die Schülerinnen und Schüler in ihrer jeweiligen Spezialbegabung maximal fördern und gleichzeitig Jahr für Jahr sicherstellen, dass die Kinder und Jugendlichen im Sinne der Volksschule eine breite und ausgewogene Bildung erhalten, die ihnen eine hohe Lebensqualität und den Anschluss an die entsprechenden Berufsbildungswege gewährt. Von den Talentschulen bzw. Talentklassen im Sinne des Auftrags angesprochen sind Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen in den Bereichen Sport, Musik, bildende Künste und Ähnlichem.
Ein grosser Teil des sehr breiten Spektrums von Begabungen, deren Förderung gemäss Auftrag den Talentschulen bzw. Talentklassen übertragen werden soll, zählt zu den Aufgaben, welche bereits heute von den Regelklassen gelöst werden. Wie die Regierung in ihren Antworten auf den Auftrag Candinas (Rabius) betreffend Realisierung von Sportförderklassen auf Sekundarstufe I (7. – 9. Klasse) im Februar 2008 sowie auf die Anfrage Perl betreffend Förderung von Talentklassen (Sport, Musik, Kunst) im Dezember 2008 aufgezeigt hat, besteht in der Bündner Volksschule heute schon die Möglichkeit, spezielle Begabungen der Schülerinnen und Schüler durch individuelle Unterrichtsgestaltungen und durch eine auf die konkrete Situation zugeschnittene Urlaubsregelung zu unterstützen. Selbst Spezialstundentafeln und Spezialstundenpläne für einzelne besonders begabte Kinder oder für eine ganze Klasse (wie zum Beispiel die Talentklasse in Ilanz) sind schon heute möglich, sofern die Abweichungen mit den Lehrplanzielen sowie mit den übrigen gesetzlichen Bedingungen vereinbar sind. Mit solchen massgeschneiderten Lösungen im Rahmen der geltenden Gesetzgebung werden seit Jahren gute Erfahrungen gemacht.
Die Regierung ist bereit, im Rahmen der anstehenden Totalrevision des Schulgesetzes eine spezielle Regelung von Talentschulen zu prüfen. Fragen im Hinblick auf die Umsetzung des vorliegenden Auftrags stellen sich dabei weniger bei der Anpassung des Schulgesetzes als bei der Festlegung von konkreten Detailbestimmungen. Dabei geht es primär um die Festlegung von klaren Kriterien für die Aufnahme in eine Talentschule bzw. Talentklasse: Wer definiert nach welchen Massstäben für die verschiedenen Bereiche (Sport, Musik, bildende Künste u.Ä.) die Grenzen zwischen den „hohen“ Begabungen, welche zurzeit in den Regelklassen gefördert werden, und den „besonderen, in Talentklassen bzw. Talentschulen zu fördernden Begabungen“? Im Weiteren wird die Regelung der Finanzierung Fragen aufwerfen. Gemäss Auftrag sind die Talentschulen bzw. Talentklassen als Zusatzangebot der Bündner Volksschule gedacht, welches allen besonders begabten Schülerinnen und Schülern zur Verfügung steht. Dies würde bedeuten, dass die Finanzierung der Talentschulen bzw. Talentklassen zum Aufgabenbereich der Schulträger gehört, welche Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen an eine öffentliche oder private Talentschule bzw. Talentklasse abgeben. Vor allem für Schulen ohne eigene Talentklasse wird es von grosser finanzieller Tragweite sein, wie die Fragen der Aufnahmekriterien beantwortet werden.
Die Regierung beabsichtigt, diesen Auftrag im Rahmen der Totalrevision des Schulgesetzes zu behandeln. Die Behandlung dieses Geschäftes ist für die Oktobersession 2011 geplant. Ob die im Auftrag genannten Fristen somit eingehalten werden können, hängt vom weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ab. Eine spezielle vorgängige Teilrevision des Schulgesetzes einzig für dieses Anliegen hält die Regierung nicht für opportun. In diesem Sinne ist die Regierung bereit, den Auftrag zu übernehmen.
12. Januar 2011