Im Mai 2010 hat das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden eine Vernehmlassung zum Entwurf für eine Teilrevision des Gesetzes über das Gesundheitswesen des Kantons Graubünden gestartet. Diese Revision hat die Aufhebung der Beschränkung des Selbstdispensationsrechtes der Ärzte zum Ziel gehabt, womit sich das Departement eine Attraktivitätssteigerung für den Beruf des Hausarztes in Graubünden erhofft hat. Aufgrund des klar negativen Vernehmlassungsresultates ist das Departement zum Schluss gelangt, dass der Zeitpunkt für eine Aufhebung der Beschränkung des Selbstdispensationsrechtes der Ärzte nicht günstig ist und hat die kantonale Gesetzesrevision aufgrund der anstehenden Revision des Bundesgesetzes vorläufig sistiert.
Die Hausärzte werden in der Bevölkerung als wesentlicher und sehr bedeutender Bestandteil der Grundversorgung und in der Regel als erste Anlaufstelle für Krankheiten und Unfälle wahrgenommen. Die Hausärzte haben im Hinblick auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen eine katalysatorische bzw. steuerungsrelevante Wirkung, weil durch eine kompetente Betreuung oftmals teure weitergehende Massnahmen verhindert werden können. Deshalb sollte alles unternommen werden, um die Hausarztmedizin zu stärken und zu erhalten, insbesondere auch im Hinblick auf den stark zersiedelten Kanton Graubünden. Und dies alles unter dem Aspekt einer qualitativen und nachhaltigen medizinischen Versorgung.
Die Unterzeichneten machen sich ernsthafte Sorgen über die flächendeckende Versorgung des Kantons mit Hausärzten. Der Hausärztemangel macht sich nämlich bereits bemerkbar. So wurden in den Orten Chur, Landquart, Klosters, St. Moritz, im Schanfigg und in Zernez Praxen geschlossen, weil keine Nachfolger gefunden werden konnten. In Arosa hat ein Allgemeinpraktiker seine Praxisaufgabe auf April 2011 angekündigt. Eine Nachfolge ist nicht in Sicht, was gleichbedeutend ist mit der Tatsache, dass Arosa bzw. das Schanfigg nur noch durch eine Arztpraxis abgedeckt wird. Offenbar ist der Kanton Graubünden unattraktiv für angehende Hausärzte. Gründe dafür sind anscheinend hohe Präsenzzeiten in den Talschaften, starke zeitliche Belastung durch den Notfalldienst ohne Entschädigung, ungünstige geographische Verhältnisse mit langen Anfahrtswegen, ein tiefer Taxwertpunkt und eine eingeschränkte Medikamentenabgabe für gut 80 % der frei praktizierenden Ärzte.
In diesem Zusammenhang stellen die Unterzeichneten der Regierung folgende Fragen:
1. Welchen Stellenwert haben die Hausärzte im Hinblick auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen?
2. Wie beurteilt die Regierung die aktuelle, die mittel- und die langfristige Versorgungsicherheit des Kantons Graubünden durch die Hausärzte?
3. Gibt es strukturelle Massnahmen, welche die Versorgungssicherheit verbessern können? Könnten z.B. regionale Gesundheitszentren oder Ärztegemeinschaften die Problematik mindestens entschärfen?
4. Können Hausärzte mit weiteren Aufgaben beauftragt werden, welche dem Hausärztemangel entgegen wirken und den Beruf attraktiver machen?
5. Kann im Rahmen der Anpassung des Arztvertrages TARMED ein Ausgleich zugunsten der Hausärzte und zulasten der Fachspezialisten geschaffen werden? Dies ohne Kostenausweitung aber zur Stärkung der Grundversorger?
6. Könnte sich die Regierung eine Zusatzpauschale für Hausbesuche für Hausärzte vorstellen?
7. Die anstehende Managed-Care-Vorlage auf Bundesebene setzt eine funktionierende Grundversorgung voraus. Wie stellt sich die Regierung die Umsetzung dieser nutzbringenden Vorlage vor, wenn dabei allenfalls nicht auf genügend Hausärzte zurückgegriffen werden kann?
Chur, 6. Dezember 2010
Hardegger, Aebli, Buchli-Mannhart, Campell, Casty, Clalüna, Conrad, Dudli, Felix, Grass, Jeker, Koch (Tamins), Kollegger (Chur), Komminoth-Elmer, Lorez-Meuli, Mani-Heldstab, Michael (Donat), Montalta, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Parolini, Pedrini, Stiffler (Davos Platz), Tscholl, Vetsch (Klosters Dorf), Loi, Müller (Haldenstein)
Antwort der Regierung
Für die Tatsache, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte als Grundversorger tätig sind, gibt es mehrere Gründe. So absolvieren in der Schweiz aufgrund der Einführung des Numerus clausus im Jahre 1998 weniger Personen ein Medizinstudium. Auch verbleiben Ärztinnen und Ärzte immer häufiger über die vorgeschriebene Weiterbildungstätigkeit hinaus in den Spitälern. Der Facharzttitel "Allgemeinmedizin" wird immer weniger erworben. Die Ärztinnen und Ärzte ziehen es vor, einen spezialisierten Facharzttitel zu erwerben. Schliesslich übernehmen vor allem Frauen häufig lediglich ein Teilzeitpensum.
Beantwortung der Fragen
1. Der Stellenwert der Hausärzte im Hinblick auf die Kostenentwicklung hängt zum grossen Teil davon ab, welche Rolle die eidgenössische Politik den Hausärzten zukommen lässt. Je nachdem wie die geplante Managed Care Vorlage ausgestaltet wird, können die Hausärzte eine wichtige Rolle bei der Kostenentwicklung spielen.
2. Aktuell ist die Versorgung durch die Hausärzte sichergestellt. In den bevölkerungsreichen Regionen des Kantons ist die ärztliche Grundversorgung wie auch der ärztliche Notfalldienst auch längerfristig sichergestellt. Anders sieht die Situation längerfristig in den Randregionen aus, insbesondere in Regionen, in denen nur ein Arzt die Versorgung der ganzen Talschaft wahrnimmt.
Interessenten geben für den Verzicht auf die Übernahme einer Talarztpraxis insbesondere die hohe Präsenzzeit in der Praxis, die Pikettverpflichtung, den "geringen" Verdienst, die fehlenden Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die langen Distanzen in die Zentren wie Zürich oder St. Gallen, das fehlende Kulturangebot, die fehlende Bereitschaft der Lebenspartnerin beziehungsweise des Lebenspartners, in den Bergen zu wohnen, und den hohen Übernahmepreis der bestehenden Arztpraxen an.
3. Die Regierung sieht insbesondere in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den in der Grundversorgung tätigen Ärzten und den Regionalspitälern eine Möglichkeit, die Versorgungssicherheit zu erhöhen. In vielen abgelegenen Spitalregionen ist dies heute schon der Fall. In den Spitalregionen Val Müstair, Poschiavo, Bergell und Oberhalbstein wird die Grund- wie auch die Notfallversorgung heute weitestgehend durch die am Spital tätigen Ärzte sichergestellt.
4. Die Übertragung weiterer Aufgaben an Hausärzte trägt nicht dazu bei, dem Hausärztemangel entgegenzuwirken und den Beruf attraktiver zu machen, da dadurch die in Ziffer 2 aufgelisteten Gründe gegen die Übernahme einer Arztpraxis nicht behoben würden.
5. Die Anpassung des Tarmed in anvisiertem Sinne ist in den dafür zuständigen Gremien seit längerem ein Thema. Allerdings weigern sich die Fachspezialisten, ihren Anteil am Kuchen zu Gunsten der Grundversorgung zu verkleinern. Leider haben die Kantone auf diesen Prozess keinerlei Einfluss.
6. Ärztinnen und Ärzte erhalten von den Krankenversicherern bei Hausbesuchen neben der Konsultationstaxe eine Besuchsinkonvenienzpauschale. Mit den aktuell zur Anwendung gelangten Abgeltungen werden Hausbesuche finanziell der Konsultation in der Praxis gleichgestellt. Zur Förderung der Hausbesuche wäre nach Ansicht der Regierung statt der Einführung einer zusätzlichen Pauschale eine Erhöhung der Besuchsinkonvenienzpauschale im Tarmed anzustreben.
7. Managed Care Modelle haben im Wesentlichen zum Ziel, dank verbesserter Organisation sowie optimierter Strukturen und Prozesse die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen positiv zu beeinflussen und die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern. Die mögliche Wirkung der anstehenden Managed Care Vorlage wird sich auf die bevölkerungsreichen Regionen des Kantons beschränken, weil nur in diesen Regionen das Angebot an Gesundheitsversorgungsleistungen so gross ist, dass eine Koordination einen spürbaren Effekt auf die Kosten hat.
26. Januar 2011