In den letzten Wochen ist die Unzufriedenheit der Fahrenden über die fehlenden Stand- und Durchgangsplätze wie auch die Diskussion betreffend verstärktes Engagement gegen Antiziganismus erneut schweizweit aufgeflammt.
In Graubünden wurde gemäss Mitteilung der Regierung vom 5. September 2013 betreffend Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten am Status quo nichts geändert.
Es bestehen nach wie vor nur die beiden Standplätze Chur und Cazis sowie die Durchgangsplätze in Andeer, Bonaduz, Felsberg, Rodels und Tavanasa. Zusätzlich besteht ein Transitplatz für ausländische Fahrende in Domat/Ems.
Zu meinen Fragen:
1. Wie sieht die Situation betreffend genügend Stand- und Durchgangsplätze in Graubünden heute aus und wie beurteilt die Regierung das heutige Angebot betreffend Transitplätze für ausländische Fahrende? Besteht allenfalls Handlungsbedarf?
2. Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert ein verstärktes Engagement gegen Antiziganismus in der Schweiz. Wie beurteilt die Regierung die Situation betreffend Antiziganismus im Kanton Graubünden? Sieht die Regierung auch einen verstärkten Handlungsbedarf? Wenn ja, in welcher Form?
3. Aus welchen Gründen kam die gemäss Mitteilung der Regierung vom 5. September 2013 vorgesehene Aussprache mit Vertretern der Stand- und Durchgangsplätze nicht zustande?
4. Welche Themen gedenkt die Regierung bei der geplanten Aussprache im 2014 zu diskutieren und welche Zielsetzungen sind geplant?
Chur, 12. Juni 2014
Bucher-Brini, Baselgia-Brunner, Deplazes, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Müller (Davos Platz), Noi-Togni, Pfenninger, Pult, Thöny, Trepp, Hensel, Monigatti
Antwort der Regierung
In seinem dritten Bericht vom Januar 2012 zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (Rahmenübereinkommen) stellte der Bund fest, dass sich die gesamtschweizerische Situation hinsichtlich Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende in den vergangenen zehn Jahren nicht verbessert habe.
In Graubünden stehen von den Standortgemeinden bewirtschaftete und von Fahrenden benützte Durchgangsplätze in den Gemeinden Bonaduz, Felsberg, Rodels und Zillis zur Verfügung. Faktisch in Anspruch genommen werden jedoch nur noch die Plätze in Bonaduz (stark), Felsberg (kaum) und Zillis (stark; Campingplatz). In der Gemeinde Cazis (10 Stellplätze) und in der Stadt Chur (7 Stellplätze) besteht je ein Standplatz. Während jener in Chur von der Stadt bewirtschaftet wird, steht der Standplatz in Cazis unter der Aufsicht des Kantons als Vermieter des Platzes.
Der personelle und finanzielle Aufwand für die Aufrechterhaltung geordneter Verhältnisse auf dem Transitplatz für ausländische Fahrende in Domat/Ems wurde in den letzten Jahren für die Standortgemeinde zunehmend zu einer Belastung. Deshalb und aufgrund des Umstandes, dass die Bereitstellung eines solchen Durchgangsplatzes keine spezifisch kommunale Aufgabe darstellt, wurde im Jahre 2012 der kantonale Beitrag an den Unterhalt des Durchgangsplatzes von jährlich 3000 Franken auf 10 000 Franken erhöht.
Zu den gestellten Fragen:
1. Sowohl mit Blick auf die gesamtschweizerische Anzahl an Stand- und Durchgangsplätzen als auch nach Beurteilung der Radgenossenschaft der Landstrasse kann die Situation in unserem Kanton als durchaus vorbildlich beurteilt werden. Die Radgenossenschaft attestiert dem Kanton, dass er seine Hausaufgaben in diesem Bereich gemacht habe und im gesamtschweizerischen Vergleich sehr gut positioniert sei. Der Durchgangsplatz in Bonaduz kann u.a. infrastrukturmässig als vorbildlich bezeichnet werden. Mit dem Transitplatz in Domat/Ems verfügt der Kanton im Übrigen über den einzigen offiziellen Platz dieser Art in der Schweiz. Zum Bedarf an Stand- und Durchgangsplätzen ist generell festzuhalten, dass solche aus verschiedenen Gründen bevorzugt in urbanen Gebieten nachgefragt werden.
Der Regierung ist jedoch bewusst, dass jeder Kanton ganz grundsätzlich und ungeachtet der absoluten Anzahl bestehender Plätze in der Pflicht steht, für zusätzliche Platzangebote zu sorgen. Dies gilt umso mehr, als die Kantone die Hauptverantwortung für die Raumplanung und damit für die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Fahrenden in der Planung tragen. Wie Beispiele aus anderen Kantonen zeigen, ist jedoch die Unterstützung der Gemeinden für die Bedürfnisse der Fahrenden letztlich ausschlaggebend dafür, ob die Planung für den Bau eines Platzes umgesetzt werden kann oder nicht. Gerade das positive Beispiel der Gemeinde Bonaduz beweist, dass die Realisierung massgeblich vom Goodwill der politisch Verantwortlichen vor Ort für die Anliegen der Fahrenden abhängt.
Aufgrund der heutigen Situation sieht die Regierung keinen aktuellen Handlungsbedarf für die Erstellung weiterer Stand- und Durchgangsplätze weder für inländische noch für ausländische Fahrende.
2. Die Regierung verurteilt den Antiziganismus als Form einer „unheilvollen Kombination von struktureller Diskriminierung und kultureller Stigmatisierung von Jenischen, Sinti und Roma“ (Gesellschaft für bedrohte Völker). Sie sieht jedoch keine Anzeichen dafür, dass diese Form von Rassismus in Graubünden ein Mass angenommen hat, welches es rechtfertigen liesse, dagegen verstärkte Massnahmen zu ergreifen. Im Übrigen ist die Regierung der Auffassung, dass das geltende Recht die Rechte der Minderheiten ausreichend zu schützen vermag, sofern es konsequent umgesetzt wird (u.a. Rassismusstrafnorm).
3. Der Kanton als Vermieter des Standplatzes in Cazis steht mit der Standortgemeinde ebenso in regelmässigem Kontakt wie mit den Mietern selber. Bedürfnisse und Anliegen der Fahrenden werden in der Regel vor Ort diskutiert und ihnen wenn möglich pragmatisch entsprochen. Die übrigen Plätze werden vollständig von den jeweiligen Standortgemeinden betreut und bewirtschaftet. Eine Umfrage bei diesen hatte gezeigt, dass kaum Themen bestanden, bei welchen der Kanton eine unterstützende Funktion hätte einnehmen können. Das Bedürfnis für eine Aussprache wurde von den Gemeinden durchgehend verneint. Aus diesem Grund hat der Kanton von der geplanten Aussprache abgesehen.
4. Eine aktuelle Umfrage bei den fraglichen Standortgemeinden zeigt ein ähnliches Bild wie früher. In keiner Gemeinde bestehen im Zusammenhang mit den Fahrenden Schwierigkeiten, welche den Beizug des Kantons zwingend erfordern. Eine Aussprache zwischen dem Kanton und den Gemeinden drängt sich demzufolge nach wie vor nicht auf. Sollte sich an dieser Beurteilung wider Erwarten etwas ändern, so ist die Regierung bereit, darauf kurzfristig zu reagieren und mit den Gemeinden das Gespräch zu suchen. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn eine heutige Standortgemeinde beabsichtigen würde, den Platz für Fahrende ohne Not und trotz bestehender Nachfrage aufzuheben.
15. August 2014