„Sie wollen arbeiten, nicht Sozialhilfe“, lautet der Titel eines Berichtes über Flüchtlinge im Beobachter 25/2015. Gemäss einem Bericht der „Südostschweiz“ vom 23. Dezember 2015 sind jedoch nur gerade 28.6% der anerkannten und 40% der vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge in Graubünden beruflich integriert. Auch wenn Graubünden im schweizerischen Durchschnitt damit Spitzenreiter ist, dürften die Perspektiven beunruhigend sein: Gemäss dem Diskussionspapier „Arbeit statt Sozialhilfe“ der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS sind 55% der 2014 eingereisten Asylsuchenden jünger als 25 Jahre alt. Die SKOS rechnet vor, dass aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen die Sozialhilfeausgaben von Kantonen und Gemeinden jährlich alleine aufgrund dieser Entwicklung einem Kostenwachstum von 4% ausgesetzt sind.
Aufgrund des demografischen Wandels sieht sich die Wirtschaft gleichzeitig einem sich zunehmend verschärfenden Fachkräftemangel ausgesetzt. Auch in Graubünden bleiben je länger je mehr Lehrstellen unbesetzt (2014: 566; 2015: 583). Weil gemäss SKOS bereits heute die Erwerbsquote von Personen ohne Berufsausbildung tief ist, scheint es auch keine Perspektive zu sein, anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge dem Arbeitsmarkt generell als Hilfskräfte zuzuführen. Es ist ein Gebot der Zeit, die inländischen Potenziale für die Bündner Wirtschaft konsequent zu nutzen.
Aus volkswirtschaftlichen, aber auch sozialen und sicherheitspolitischen Überlegungen liegt es aus den dargelegten Gründen nahe, alles zu unternehmen, um anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge möglichst nachhaltig zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die SKOS fordert, dass im Asylbereich alles unternommen werden muss, dass vorhandene Ausbildungen von Flüchtlingen anerkannt und ihre Ressourcen damit genutzt werden können. Ausserdem müssen sie möglichst früh und gleichzeitig sowohl Arbeitserfahrungen machen als auch die Landessprachen lernen können. Es braucht in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft besondere Qualifikationsprogramme, welche neben den sprachlichen auch den interkulturellen Herausforderungen Rechnung tragen.
Damit die berufliche Integration gelingt, braucht es rasche Asylentscheide, eine professionelle Beratung und Berufseinsteigerkurse, Berufseinsteigerkurse mit integriertem Sprachkurs und integrierter Berufspraxis und eine möglichst baldige Aufnahme der Erwerbstätigkeit oder den Übertritt in die Berufsausbildung. Es müssen auch Verpflichtungen zur beruflichen Qualifizierung ausgesprochen werden können. Eine aktive Beteiligung der Wirtschaft, der Abbau von administrativen Hürden sowie eine optimale Koordination der Anstrengungen von Bund, Kanton und Gemeinden sind notwendig.
Die SP-Fraktion fordert die Regierung auf, in obigem Sinne engagiert und konsequent tätig zu werden und die erforderlichen Massnahmen in enger Zusammenarbeit mit dem Bund, den Gemeinden und der Wirtschaft aufzugleisen.
Chur, 15. Februar 2016
Perl, Atanes, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Caviezel (Chur), Deplazes, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Monigatti, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pult, Thöny
Antwort der Regierung
Anhaltend grosse Flüchtlingsströme stellen ganz Europa vor erhebliche Herausforderungen. Die Schliessung der sogenannten „Balkanroute“ über die Türkei Richtung Nordwesteuropa führt möglicherweise zu einer Verschiebung der Flüchtlingsbewegung auf die „Mittelmeerrouten“. Dies lässt eine Zunahme der Asylgesuche in der Schweiz erwarten. Damit ist auch für den Kanton Graubünden die Aufgabe verbunden, eine höhere Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Eine erfolgreiche Integration erfolgt nicht zuletzt auch über die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt.
Nebst den häufig schwierigen persönlichen Voraussetzungen (wie z.B. Gesundheit, psychosoziale Mehrbelastungen) und soziokulturellen Unterschieden erschweren unzureichende Sprachkenntnisse, geringe bzw. keine formale Berufsausbildung, wenig Berufserfahrung und die fehlende soziale Vernetzung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sowie vorläufig aufgenommene Personen nachhaltig. Zudem hängt eine erfolgreiche berufliche Integration nicht nur von den Merkmalen der stellensuchenden Personen, sondern ebenso von der Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft sowie den Merkmalen des Arbeitsmarktes ab. Dieser hat sich in der Schweiz in den vergangenen Jahren dahingehend verändert, als immer mehr einfache, repetitive Tätigkeiten wegfallen und ein wachsender Anteil an anspruchsvolleren Beschäftigungen mit entsprechenden Qualifikationsanforderungen zurückbleibt.
Im Regierungsprogramm 2017–2020 wird der aktuellen Migrationssituation Rechnung getragen und im Rahmen des Handlungsfeldes 6 die strategische Absicht formuliert: „…sowie die Möglichkeit der Integration inländischer Stellensuchender und qualifizierter Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsprozess stärken und fördern.“ „…Die Migrantinnen und Migranten sind zu verpflichten, einen aktiven und sichtbaren Beweis zu ihrer Integration zu leisten“.
Das Asylverfahren ist auf Bundesebene geregelt, entsprechend liegt es nicht im Einflussbereich der Regierung, wie rasch die Asylentscheide des Bundes vorliegen. Die im Zuständigkeitsbereich des Kantons bzw. der Gemeinden liegenden Integrationsbestrebungen erfolgen gemäss dem von der Regierung am 19. Mai 2009 verabschiedeten Konzept für die Integrationsförderung von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen.
Der Fachstelle Integration im Amt für Migration und Zivilrecht wurde die Verantwortung sowohl für die Steuerung und Koordination der Integrationsangebote als auch die operative Fallführung vom Spracherwerb bis zur beruflichen Integration sowie die Koordination und das Sicherstellen des Informationsflusses unter den beteiligten Stellen übertragen. Der Integrationsprozess für anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sowie vorläufig aufgenommene Personen erfolgt entlang eines definierten Prozesses und basiert auf individuell vereinbarten Massnahmenplänen, die dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“ verpflichtet sind. Das auf die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen ausgerichtete Sprachkursangebot hat zum Ziel, die Sprachkompetenzen im Hinblick auf eine rasche berufliche Integrationsförderung deutlich zu verbessern. Mittels Unterstützung ausgebildeter Jobcoachs werden geeignete und arbeitsfähige Personen aktiv in drei- bis sechsmonatige Praktika in den verschiedensten Branchen vermittelt, wo sie Arbeitsmarkterfahrungen sammeln und mit Blick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einen Laufbahnentscheid treffen können. Die Schnittstellen zwischen der Fachstelle Integration und der Arbeitsvermittlung wurden im April 2016 erneut überprüft, um vorhandenes Optimierungspotenzial zu identifizieren. Sogenannte Vorlehren sollen vermehrt zum Tragen kommen und es sind entsprechende Standards in Ausarbeitung, beispielsweise betreffend Voraussetzungen seitens der zu vermittelnden Person, erforderliche Leistungen des Arbeitgebers, notwendige Begleitung und Mindestlöhne. Gerade Letzteres ist hinsichtlich allfälliger Arbeitseinsätze generell wichtig: die ortsübliche Entlöhnung ist auch im Falle dieser Personengruppe zu gewährleisten.
Nebst dem prozessorientierten Vorgehen und einer guten Zusammenarbeit und Vernetzung mit der Wirtschaft sind insbesondere die liberale Arbeitsmarktpolitik im Kanton, ein effizientes Bewilligungsverfahren sowie eine grosszügige Handhabung von Praktika wichtige Kernelemente für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration dieser Personengruppe.
Im Kanton liegt die Erwerbsquote von Flüchtlingen und vorläufig aufgenommen Personen deutlich über dem Schweizer Durchschnitt. Die Regierung führt dies auch auf den mit dem Integrationskonzept gewählten Ansatz zurück. Sie wird an diesem festhalten, wo möglich weitere Massnahmen und Vereinfachungen prüfen und die Anliegen, soweit sie nicht im direkten Einflussbereich des Kantons liegen (z.B. hinsichtlich bestehender administrativer Hürden, der Anerkennung ausländischer Diplome und der Validierung von Bildungsleistungen u.ä.), auch bei den zuständigen Bundesstellen anbringen. Hinzu kommen die im Rahmen der Entwicklungsschwerpunkte 11/23 und 12/24 skizzierten Massnahmen, soweit sie Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen betreffen. In diesem Gesamtrahmen sollen z.B. auch weitere Beschäftigungsmöglichkeiten oder ein einfacher Zugang zu Schnupperlehren geprüft werden.
Die Regierung ist bereit, die bisherigen Bestrebungen fortzusetzen und den vorliegenden Fraktionsauftrag in diesem Sinne anzunehmen.
04. Mai 2016