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Session: 20.04.2016

Im unserem Kanton werden zwei Gruppen von renitenten oder verhaltensauffälligen Jugendlichen völlig unterschiedlich behandelt.

 
Die erste Gruppe sind Jugendliche, die im Jugendstrafverfahren verurteilt werden. Hier gilt das Gesetz über den Justizvollzug im Kanton Graubünden (JVG). In Art. 7 ist die Kostentragung geregelt. Diese lässt einen minimalen Spielraum offen für eine Beteiligung der Betroffenen. In Art. 8 ist die Kostenbeteiligung der verurteilten Jugendlichen detailliert geregelt. Zusammengefasst heisst es: „angemessen oder soweit zumutbar“ beteiligen. Es wird aber nie ein Jugendlicher aus dem Strafvollzug entlassen, der aufgrund seiner Strafverbüssung eine grosse finanzielle Schuld tragen müsste.

 
Die zweite Gruppe sind Jugendliche, die von der KESB aufgrund von Massnahmen in einer Institution untergebracht werden. Hier sind auch Jugendliche im noch schulpflichtigen Alter betroffen. Das neue Schulgesetz, das der Grosse Rat im März 2012 beraten hat, sagt in Art. 78 Abs. 1: „Der Kanton trägt die Kosten für das sonderpädagogische Angebot im hochschwelligen Bereich.“ Die heutige Praxis zeigt, dass Jugendliche im hochschwelligen Bereich, die in den dafür vorgesehenen Institutionen des EKUD im Kanton Graubünden nicht therapiert werden können, wieder an die Gemeinden zurückgehen. Hier schaltet sich bei einer möglichen Gefährdung die KESB ein, die die Unterbringung in einer geeigneten Institution (auch ausserkantonal) anordnen kann. Dies hat Kosten zur Folge, die bei Ansätzen von über 600 Franken/Tag bald grosse Summen auslösen. Die Rechnung geht an die Gemeinde, die auf die Familie zurückgreifen kann. Hier werden riesige Schulden der Familien gegenüber der Gemeinde aufgehäuft, wenn sich ein solcher Aufenthalt in einer Institution bis zu einem Jahr hinzieht. Im einzelnen Extremfall bis mehrere Jahre. Aber auch für eine betroffene Gemeinde sind solche Kosten für einen einzelnen Schüler in der Höhe von über 200 000 Franken/Jahr kein Pappenstiel.

 
In anderen Kantonen (Luzern, Bern) gibt es hier Regelungen, die die Kosten solcher Massnahmen auf Familie, Gemeinde und Kanton verteilen. Dabei soll die Familie mit einem Taggeld von ca. 30 Franken/Tag durchaus in die Pflicht genommen werden. Ebenfalls kann sich bei einem schulpflichtigen Jugendlichen die Gemeinde im Rahmen der Schulkosten beteiligen. Der Löwenanteil fällt auf den Kanton, als Folge der durch die KESB angeordneten Massnahmen und der Betreuung.

 
Gerne bitten die Unterzeichnenden um die Beantwortung folgender Fragen:

 
1. Wie viele Bündner Kinder im schulpflichtigen Alter sind im vergangenen Jahr durch die KESB in ein Jugenddorf wie Knutwil oder ähnliche Institutionen eingewiesen worden?

 
2. Ist die Regierung auch der Meinung, dass die Kostenfolge von erzieherischen Massnahmen für Kinder im schulpflichtigen Alter, gemäss Art. 78 Abs. 1 des Schulgesetzes des Kantons Graubünden, durch den Kanton getragen werden müssen?

 
3. Welche Möglichkeiten sieht die Regierung in der Unterstützung von Betroffenen von erzieherischen Massnahmen nach der Entlassung aus einer Institution, bis zum Abschluss einer Berufslehre?

 
4. Wie ist der Kanton auf die steigende Zahl von verhaltensauffälligen Jugendlichen mit Sonderschulverfügung, die nicht in klassischen Sonderschulinstitutionen platziert werden können, vorbereitet?

 
5. Was passiert mit Jugendlichen, die aufgrund ihres Verhaltens aus einer Sonderschulinstitution ausgeschlossen werden und für die kein geeigneter Platz gefunden werden kann?

 
Chur, 20. April 2016

 
Niggli-Mathis (Grüsch), Geisseler, Bucher-Brini, Albertin, Atanes, Baselgia-Brunner, Berther, Bleiker, Buchli-Mannhart, Caduff, Cahenzli-Philipp, Casanova (Ilanz), Casty, Casutt-Derungs, Clavadetscher, Danuser, Darms-Landolt, Deplazes, Dosch, Florin-Caluori, Gartmann-Albin, Gunzinger, Hardegger, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jaag, Jenny, Koch (Tamins), Kollegger, Komminoth-Elmer, Kunfermann, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Lorez-Meuli, Mani-Heldstab, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Donat), Niederer, Noi-Togni, Papa, Pedrini, Perl, Peyer, Pfenninger, Sax, Stiffler (Davos Platz), Thöny, Troncana-Sauer, Vetsch (Klosters Dorf), Widmer-Spreiter, Wieland, Degiacomi, Tuor

Antwort der Regierung

Zur Präzisierung ist festzuhalten, dass bei Jugendlichen aus verschiedenen Gründen behördliche Massnahmen notwendig werden können:

a) wenn sie delinquieren und somit jugendstrafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen, oder
b) wenn sie in der Regelschule ein besonders auffälliges Verhalten zeigen, so dass eine Sonderschulverfügung erlassen werden muss, oder
c) wenn sie sich selbst oder andere gefährden und die Erziehungsberechtigten nicht in der Lage sind, erzieherisch adäquat einzuwirken, so dass eine Kindesschutzmassnahme verfügt werden muss.

Dafür sind jeweils unterschiedliche Behörden zuständig und unterschiedliche Kostenträger betroffen.

Zur Beantwortung der Fragen:

1. Im Jahr 2015 wurden 13 schulpflichtige Kinder/Jugendliche von den fünf Bündner KESB behördlich untergebracht; davon zehn in einer Institution und drei in einer Pflegefamilie. Ende 2015 waren insgesamt 62 Kinder/Jugendliche behördlich untergebracht, davon 37 Schulpflichtige. Von den 37 Schulpflichtigen befanden sich 21 in einer Pflegefamilie und 16 in einer Institution.

2. Im Jugendstrafrecht gehen die Vollzugskosten von Freiheitsstrafen vollumfänglich zu Lasten des Kantons. Die Vollzugskosten von Massnahmen (z.B. Unterbringung in einer Erziehungseinrichtung) ebenfalls, soweit sich nicht die Verurteilten und/oder deren Eltern angemessen an den Kosten beteiligen müssen (Art. 45 JStPO [SR 312.1]). Im Sonderschulbereich gehen die Kosten zu Lasten des Kantons (Art. 78 Abs. 1 Schulgesetz [BR 421.000]), wobei die Schulträgerschaften und Eltern/Erziehungsberechtigten einen Beitrag zu leisten haben (Art. 68 Schulverordnung [BR 421.010]). Die Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen obliegt primär den Eltern, denn sie haben gestützt auf Bundesrecht für den Unterhalt des Kindes, inbegriffen Kindesschutzmassnahmen, aufzukommen (Art. 276 Abs.1 ZGB [SR 210]); subsidiär dem Gemeinwesen, welches für die öffentlich-rechtliche Unterstützung zuständig ist (Art. 293 ZGB und Art. 63a EGzZGB [BR 210.100]).

Die Zuständigkeiten und die Finanzierung sind für alle Bereiche klar geregelt. Die Regierung ist jedoch bereit zu prüfen, inwiefern allfällige finanzielle Härtefälle für Eltern vermieden werden können, die aufgrund von durch die KESB angeordneten Kindesschutzmassnahmen entstehen können.

3. Haben Jugendliche eine Freiheitsstrafe verbüsst oder Massnahme abgeschlossen kann die Jugendanwaltschaft ab 1. Juli 2016 bis zum 25. Altersjahr eine mildere Massnahme (z.B. eine persönliche Betreuung) anordnen, um die Jugendlichen beim Wiedereinstieg ausserhalb der Institution zu unterstützen. Sollte der Jugendliche nach Beendigung sämtlicher Schutzmassnahmen weitere Unterstützung benötigen, die jugendstrafrechtlich nicht mehr erbracht werden können (Altersgrenze oder Wirkungslosigkeit), erfolgt eine Gefährdungsmeldung an die KESB. Liegt eine Kindswohlgefährdung vor, werden Jugendliche durch die KESB abgeklärt und falls nötig wird zu deren Schutz eine Massnahme angeordnet. Die KESB arbeiten in der Betreuung und Begleitung der Jugendlichen mit zahlreichen Behörden zusammen (z.B. Berufsbeistandschaften, Sozialdiensten, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Dienstleistern von Brückenangeboten). Im Sonderschulbereich wird der Erfolg der Sonderschulung regelmässig von den beteiligten Fachpersonen überprüft. Schulpflichtige Jugendliche einer Sonderschule werden nur dann in die Regelschule reintegriert, wenn sie dem Regelschulunterricht folgen können. Das Amt für Berufsbildung unterstützt in Fragen beruflicher Grundbildung, Berufsberatung, Lehraufsicht, Coaching und Case Management. Aufgrund dieses Angebots sieht die Regierung keinen weiteren Unterstützungsbedarf für Betroffene einer erzieherischen Massnahme nach der Entlassung aus einer Institution.

4. Die Schulgesetzgebung unterscheidet nicht zwischen klassischen und nichtklassischen Sonderschulen. Es gibt jedoch Erziehungs- oder Behandlungseinrichtungen, die straffällig gewordene oder verhaltensauffällige Jugendliche betreuen und sich in der Ausrichtung von den Institutionen der Sonderschulung unterscheiden. Bisher konnte für alle Jugendlichen, auch für verhaltensauffällige, für die im Sinne der Schulgesetzgebung ein Bedarf auf Sonderschulung festgestellt wurde, eine Lösung gefunden werden, die sich auch hinsichtlich Finanzierung und Zuständigkeiten auf die Schulgesetzgebung abstützt.

5. Jugendliche mit einer Sonderschulverfügung bleiben in der Verantwortung der Institution. Bei Bedarf wird das Setting der Sonderschulung angepasst oder ein Wechsel der Institution veranlasst. Davon zu unterscheiden sind Jugendliche, die im Rahmen der Sonderschulung straffällig werden oder bei denen die KESB eine Kindswohlgefährdung festgestellt hat, so dass Massnahmen durch die Jugendanwaltschaft oder die KESB notwendig werden.

30. Juni 2016