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Session: 13.06.2019

Im Jahr 2016 wurden schweizweit 80 Mio. Stunden unbezahlte Arbeit für die Betreuung und Pflege von Personen geleistet. Rund 2/3 der Personen, die privat pflegen und betreuen, stehen voll im Erwerbsleben.

Die Anzahl der Personen, die Betreuungs- und Pflegeleistungen für Angehörige erbringen, ist in der Schweiz zwischen 2000 bis 2013 tendenziell gesunken. Dies führt dazu, dass Pflegebedürftige tendenziell früher als wirklich nötig auf Pflegeangebote (bspw. Spitex) angewiesen sind oder in Pflegeinstitutionen (bspw. Heime) eingewiesen werden. Die Kosten dafür trägt grösstenteils die öffentliche Hand. Mit einem Steuerabzug für unentgeltlich erbrachte private Pflegeleistungen kann diesem Trend entgegengewirkt werden. Private unentgeltliche Pflege soll vom Staat mehr Wertschätzung erfahren.

Von einem Steuerabzug sollen pflegende und betreuende Angehörige profitieren, die einen höheren Zeit- und Koordinationsaufwand nachweisen können, so zum Beispiel:

- Unterstützung bei Körperpflege, Mobilisation und Erhaltung der körperlichen Aktivität;

- Unterstützung bei Planung und Vollzug des Tagesablaufs (inkl. Begleitung zu externen Terminen);

- Regelmässige Vor- und Zubereitung von Mahlzeiten;

- Erledigung von Hausarbeiten wie Reinigung, Abfallbewirtschaftung, Wäscheservice etc.

Einfache Handreichungen (bspw. Einkaufengehen, Kommissionen erledigen, Briefkasten leeren etc.) sowie Betreuungsleistungen im Rahmen der elterlichen Pflichten berechtigen nicht zum Abzug.

Die Kriterien sind von der Regierung festzulegen. Denkbar ist auch eine minimale Stundengrenze für erbrachte Leistungen oder bspw. ein ärztlicher Nachweis der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit.

Steuerliche Sozialabzüge sind legitim und können von den Kantonen beschlossen werden. Bislang gibt es in Graubünden keine Abzugsmöglichkeit für private Pflege- und Betreuungsleistungen.

Die Unterzeichnenden beantragen der Regierung, dem Grossen Rat eine Teilrevision des Steuergesetzes des Kantons Graubünden zu unterbreiten, welche vorsieht, dass Personen, die freiwillig und unentgeltlich hilfsbedürftige Menschen pflegen und betreuen, jährlich 5000 Franken vom steuerbaren Einkommen abziehen können.

Pontresina, 13. Juni 2019

Caluori, Hitz-Rusch, Rettich, Berther, Bondolfi, Brandenburger, Brunold, Cantieni, Casutt-Derungs, Cavegn, Clalüna, Crameri, Deplazes (Rabius), Derungs, Dürler, Engler, Epp, Fasani, Florin-Caluori, Föhn, Gasser, Geisseler, Hartmann-Conrad, Hefti, Holzinger-Loretz, Jenny, Kappeler, Kasper, Kohler, Kunfermann, Loepfe, Maissen, Noi-Togni, Paterlini, Preisig, Ruckstuhl, Sax, Schmid, Schneider, Tanner, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Waidacher, Weber, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Landquart), Pajic

Antwort der Regierung

Die Regierung anerkennt den hohen Wert der Betreuungsarbeit durch Angehörige voll und ganz. Diese stellt in vielen Fällen die ideale Lösung für die pflegebedürftige Person oder eine sinnvolle Unterstützung für die Pflege durch professionelle Organisationen dar. Freiwilligenarbeit wird aber nicht nur in der Pflege und Betreuung geleistet, sie findet in zahlreichen Bereichen statt und ist auch dort von grosser Bedeutung.

Mit dem geforderten Steuerabzug für die unentgeltliche Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen Personen soll ein Anreiz geschaffen werden, die Freiwilligenarbeit in diesem Bereich zu steigern. Es handelt sich damit um eine Lenkungsmassnahme, mit welcher das Engagement der steuerpflichtigen Personen beeinflusst werden soll. Die Regierung hat Lenkungsmassnahmen im Steuerrecht immer abgelehnt und sieht keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzuweichen. Das Steuerrecht ist aufgrund der progressiven Tarife sowie des steuerfreien Existenzminimums nicht geeignet, um eine Lenkungswirkung zu erzielen. Die Kosten von Lenkungsmassnahmen im Steuerrecht würden nicht budgetiert, in der Staatsrechnung nicht ausgewiesen und nicht anderweitig ermittelt. Die Massnahme würde nie hinsichtlich der Wirksamkeit überprüft und in einem vom Grossen Rat beschlossenen Sparpaket wohl auch nie hinterfragt. Zudem bezweifelt die Regierung, dass der geforderte Abzug überhaupt eine beachtenswerte Lenkungswirkung erzielen würde; dazu wären die möglichen Einsparungen zu gering.

Der geforderte Abzug muss aber auch aufgrund des harmonisierten Bundessteuerrechts abgelehnt werden. Dieses regelt den Bereich der allgemeinen Abzüge abschliessend, indem Artikel 9 Absatz 2 Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14) die zulässigen allgemeinen Abzüge aufzählt und in Absatz 4 ausdrücklich festhält, dass andere Abzüge nicht zulässig sind. Die Kantone können damit keinen allgemeinen Abzug für die Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen Personen einführen; dieser würde sich als bundesrechtswidrig erweisen und dürfte von der mit dem Vollzug des Steuergesetzes betrauten Steuerverwaltung nicht angewendet werden.

Die Kantone sind nach Artikel 9 Absatz 4 StHG zwar frei, Sozialabzüge einzuführen. Ein Sozialabzug kann aber nur dort gewährt werden, wo eine Gruppe von Steuerpflichtigen aufgrund ihrer persönlichen Situation höhere Ausgaben hat, die einen Mehrbedarf an existenzsichernden Mitteln erforderlich macht. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn Steuerpflichtige den Unterhalt von Kindern bestreiten. Steuerpflichtige mit Betreuungsaufgaben sind aber nicht auf der Ausgabenseite betroffen, sondern allenfalls auf der Einnahmenseite, was keinen Sozialabzug zulässt. Auch kann kein Sozialabzug gewährt werden, um ausserfiskalische Zielsetzungen zu verfolgen. Das lässt das Harmonisierungsgesetz nicht zu, was zur Nichtanwendung einer abweichenden kantonalen Regelung führen würde.

Auch die praktische Umsetzung spricht deutlich gegen diesen Abzug. Auf der einen Seite wäre eine Definition der für den Abzug notwendigen Aufwendungen aufgrund der Vielfalt unterschiedlicher Konstellationen kaum zu finden und mit einem verhältnismässigen Aufwand jedenfalls nicht zu kontrollieren. Auf der anderen Seite gibt es verschiedene andere Tätigkeiten, die gesellschaftspolitisch in gleichem Masse unterstützt werden müssten.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen.

23. August 2019