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Session: 14.06.2019

Gemäss dem Polizeibericht 2018 wurden in Graubünden 19 Widerhandlungen gegen Art. 187 StGB (Sexuelle Handlungen mit Kindern) und 78 Pornographiedelikte (Widerhandlungen im Sinne von Art. 197 StGB) bearbeitet. Im letzteren Fall handelt es sich hauptsächlich um Kinderpornographie. Die registrierten Fälle haben im mittelfristigen Vergleich zugenommen (von 2015-2018 beinahe eine Verdoppelung). Auch die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie vermeldet eine deutlich Zunahme (+10%) von registrierten Fällen von Kindsmisshandlungen. Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren gehen davon aus, dass zum Beispiel in Deutschland jede/r Siebte bis Achte sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von rund 18 Millionen Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind.

Davon ausgehen dürfte die Dunkelziffer auch in Graubünden sehr viel höher sein, als die registrierten Widerhandlungen. Einschlägig verurteilte Pädosexuelle weisen mit 50-80% eine sehr hohe Rückfallquote aus und machen 40-50% der Sexualstraftäter aus.

Der Austausch mit KRIPO GR, mit der Beratungsstelle für gewaltausübende Personen, Staatsanwaltschaft GR, der Opferhilfe, FORIO und den Bündner Schulleitungen hat ergeben, dass zwar ein präventiver Handlungsbedarf anerkannt wird, sich jedoch niemand dafür zuständig fühlt.

So verfügt z.B. der Kanton Graubünden bis heute über keine eigene Beratungsstelle für Sexualdelinquenten und Menschen mit pädophilen Störungen, dies obwohl gemäss Fachpersonen eine flächendeckende Bereitstellung von spezialisierten Fachstellen präventiv wirksam wäre. Im Wissen, dass Pädosexuelle Wiederholungstäter sind, wäre es gerade aus Präventionsgründen und zum Schutz der Kinder enorm wichtig, diese Störungen zu therapieren. Aktuell nehmen 70 Betroffene Behandlungen der Beratungsstelle FORIO in Anspruch, seit dem Jahr 2006 wurden bereits 140 Behandlungen abgeschlossen.

Der Bund hat in seiner Antwort vom 11.5.2016 zum Postulat Natalie Rickli Pädophilie, Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ für die Schweiz darauf verwiesen, dass er entsprechende Angebote finanziell unterstützt.

Basierend auf diesen Informationen fragen die Unterzeichnenden die Regierung an:

1.     Ist die Regierung bereit, Vorgaben zu erarbeiten und für Bündner Schulen zu erlassen, welche ein standardisiertes Vorgehen bei der Personalrekrutierung vorsehen (z.B. Verlangen eines Strafregisterauszugs und Sonderprivatauszugs), wie bei Grenzverletzungen im schulischen Kontext, vorzugeben?

2.     Ist die Bündner Regierung bereit, in allen Bündner Volksschulen eine entsprechende Präventionskampagne zwecks Stärkung des Kindes-Ichs und sexueller Aufklärung für verbindlich zu erklären und zu finanzieren?

3.     Ist die Regierung bereit einen Auftrag zwecks Erarbeitung und Einführung eines vereinfachten Bündner Standards für (Sport- und Musik-)Vereine zu erteilen, basierend auf den bereits vorhandenen Materialen und Konzepten von Swiss Olympic?

4.     Ist die Regierung bereit, einen entsprechenden Leistungsauftrag für eine spezialisierte Beratungsstelle für Sexualdelinquenten, Pädophile und Betroffene in Graubünden zu überprüfen bzw. ein solcher zu erteilen?

5.     Ist die Regierung bereit, die Lancierung von Sensibilisierungs-Kampagnen wie „Hinsehen, nicht wegschauen„ oder „Kein Täter werden“, eventuell auch in Koordination mit den anderen Beratungsstellen und Kantonen, zu überprüfen (z.B. SKPPS Schweizerische Kriminalprävention)?

6.     Unterstützt die Bündner Regierung im Austausch mit den Bündner Ständeräten und Nationalräten im Rahmen der aktuell stattfindenden Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch eine Verschärfung der Strafen für Delikte gegen die sexuelle Integrität (Einführung von Mindeststrafen)?

Pontresina, 14. Juni 2019

Favre Accola, Kasper, Gugelmann, Atanes, Berther, Berweger, Bettinaglio, Bigliel, Brandenburger, Buchli-Mannhart, Cantieni, Cavegn, Caviezel (Davos Clavadel), Danuser, Della Cà, Deplazes (Rabius), Dürler, Ellemunter, Flütsch, Föhn, Gasser, Gort, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hofmann, Hohl, Hug, Jochum, Kappeler, Kienz, Koch, Lamprecht, Locher Benguerel, Loepfe, Maissen, Märchy-Caduff, Müller (Susch), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Perl, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Rüegg, Rutishauser, Salis, Sax, Schwärzel, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Ulber, Valär, von Ballmoos, Weber, Wellig, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart), Renkel

Antwort der Regierung

Aus Sicht der Regierung ist dem Schutz und dem Wohl von Kindern und Jugendlichen in ihrem natürlichen Entwicklungsprozess in hohem Masse Rechnung zu tragen. Insbesondere ist ein stützendes Umfeld im familiär-privaten Raum und in der Schule für die persönliche Entwicklung und Entfaltung unserer Kinder und Jugendlichen von unschätzbarem Wert.

Zu Frage 1:   Kantonale gesetzliche Bestimmungen übertragen die Anstellungskompetenz von Lehrpersonen den Schulträgerschaften im Rahmen derer Regelungsgrundlagen. Fehlen solche, können subsidiär die personalrechtlichen Bestimmungen des Kantons angewandt werden. Die kantonale Schulaufsicht empfiehlt im Rahmen ihrer Tätigkeiten situativ den Schulträgerschaften, einen Strafregisterauszug und einen Sonderprivatauszug im Wahlprozess einzufordern.

Zu Frage 2:   Der Kanton hat mit dem Verein Adebar, Beratungsstelle für Familienplanung, Sexualität, Schwangerschaft und Partnerschaft Graubünden, einen Leistungsauftrag. Die Vereinbarung beinhaltet das Angebot "Sexualpädagogik in den Schulen des Kantons Graubünden". Ein Ziel des Angebots ist, dass alle Kinder im Kanton Graubünden altersgerecht aufgeklärt sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der nachhaltigen Prävention gegen sexuellen Missbrauch. Über die Nutzung des Angebots entscheiden Schulen und Gemeinden. Die Nachfrage ist steigend. Der Kanton hat deshalb die finanzielle Unterstützung für das Angebot im Leistungsauftrag 2019-2022 erhöht.

Zu Frage 3:   Die bereits bestehenden Materialen und Konzepte von Swiss Olympic sind ein gutes Instrument für mehr Schutz für Kinder und Jugendliche gegen sexuelle Übergriffe und Missbrauch. Zudem basieren diese auf schweizweiten Erfahrungen und werden mit Hilfe von Partnerorganisationen laufend weiterentwickelt. Der Kanton Graubünden thematisiert vorbeugende Massnahmen über den kantonalen «cool and clean»-Botschafter und die durch den Kanton organisierten J+S Aus- und Weiterbildungskurse für Leiterinnen und Leiter. Die Regierung erachtet die Multiplikation nationaler Programme sowie die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen als effizienter und effektiver als die Erarbeitung eigener kantonaler Standards.

Zu Frage 4:   Pädophile oder deren Angehörige können sich an die Psychiatrischen Dienste Graubünden oder private Psychiaterinnen und Psychiater wenden. Sodann bietet das unabhängige Institut forio Beratung und Therapien für Männer mit pädophilen Neigungen an. Früherkennung von Kindsmisshandlungen und sexuelle Gewalt sind die Haupttätigkeitsfelder der Stiftung Kinderschutz Schweiz. Der Verein Lilli bietet anonyme Online-Beratung und Information mit dem Ziel der Prävention von Gewalt und der Förderung sexueller Gesundheit. Die kantonalen Opferhilfeberatungsstellen beraten und unterstützen Opfer von sexuellem Missbrauch. Aufgrund der bereits bestehenden Angebote sieht die Regierung derzeit keinen unmittelbaren Anlass, einen entsprechenden Leistungsauftrag für eine spezialisierte Beratungsstelle im Kanton Graubünden zu überprüfen bzw. zu erteilen.

Zu Frage 5:   Die Polizei beschränkt sich in der Kinderschutzthematik auf ihre Kernaufgabe der Ermittlung in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und der Opferhilfe. Eine wesentliche Aufgabe bei der Prävention kommt auch der Schule zu. Im neuen Lehrplan 21 GR wird diesem Aspekt ab Kindergartenstufe die gebührende Bedeutung beigemessen.

Zu Frage 6:   Die Regierung unterstützt das Hauptanliegen der geplanten Revision des Strafgesetzbuches. Täter und Täterinnen, die Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche begehen, handeln besonders verwerflich. Dies ist entsprechend zu sanktionieren. Jedoch erachtet die Regierung statt eines Festlegens von Mindeststrafen die Anhebung der Höchststrafe als geeigneteres Instrument.

29. August 2019