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Session: 12.02.2020

Das Gesetz über die Mittelschulen im Kanton Graubünden (Mittelschulgesetz; BR 425.000) regelt das Ausbildungsangebot der Bündner Mittelschulen. Gestützt auf Art. 7 Abs. 2 Mittelschulgesetz hat die Regierung das Aufnahmeverfahren an den Mittelschulen zu regeln. Gemäss Art. 3 der Verordnung über das Aufnahmeverfahren an den Mittelschulen haben sowohl Bündner als auch ausserkantonale Schülerinnen und Schüler für den Eintritt in die erste oder dritte Gymnasialklasse sowie in die erste Klasse der Handels- oder Fachmittelschule eine kantonale Aufnahmeprüfung zu bestehen.

Grundsätzlich ist es Aufgabe der Volksschule, die Voraussetzungen für den Besuch der sich ihr anschliessenden Schulstufen zu schaffen. Folglich hat sie die Schülerinnen und Schüler auf eine Mittelschule vorzubereiten. Selbstverständlich haben Schülerinnen und Schüler mit ihrem Einsatz dazu beizutragen. Rund um die Aufnahmeprüfungen an die Bündner Mittelschulen haben sich diverse Vorbereitungskurse (Lernforen etc.) und Geschäftsmodelle, teils bereits ab der fünften Primarklasse, entfaltet. Diese haben ein Ausmass angenommen, dass deren Besuch für einen Prüfungserfolg unumgänglich scheint. Abgesehen davon, dass diese Entwicklung dem Grundsatz widerstrebt, dass es Aufgabe der Volksschule ist, Schülerinnen und Schüler auch auf den Besuch von Mittelschulen vorzubereiten, und zwar unabhängig von deren finanziellen Möglichkeiten, schafft diese Entwicklung auch regionale Ungleichheiten.

Der Übertritt in eine Mittelschule dient nicht dazu, Geschäftsmodelle zu fördern. Es scheint fraglich, ob mit den heutigen Auswüchsen auch die geeigneten Schülerinnen und Schüler in die Mittelschulen aufgenommen werden. In vielen anderen Kantonen (u.a. Luzern, Zug, Uri, Bern, Basel-Land) wird das Übertrittsverfahren ohne Aufnahmeprüfungen oder in einem Empfehlungsverfahren mit Prüfung nur bei Uneinigkeit vorgenommen. Dabei nehmen beispielsweise alle Lernenden ab der 5. Primarklasse automatisch am Übertrittsverfahren von der Primarstufe in die Sekundarstufe I teil. Die Klassenlehrpersonen orientieren im ersten Semester der 5. Primarklasse über das Verfahren. Die Mittelschulen führen ebenfalls Orientierungen durch. Die Klassenlehrpersonen entscheiden dabei über die Aufnahme bzw. definitive Anmeldung.

Aufgrund der Entwicklungen im Kanton Graubünden, aber auch aufgrund des bewährten prüfungsfreien Übertrittsverfahrens in anderen Kantonen, scheint es angezeigt, im Kanton Graubünden ebenfalls den Wechsel in ein Modell mit prüfungsfreiem Übertritt in die Mittelschulen vorzunehmen. Es geht dabei nicht darum, die Quote der Mittelschüler zu erhöhen oder die Leistungsanforderungen zu senken. Vielmehr soll ein besseres und chancengleicheres System gefunden werden, was sicherlich auch für unsere privaten Mittelschulen in den Regionen von Vorteil ist. Dass private Mittelschulen unzweifelhaft auch die Regionen und deren Wirtschaft stärken, dürfte bekannt sein.

Die Unterzeichnenden beauftragen daher die Regierung, die Grundlagen für eine prüfungsfreie Aufnahme in die Bündner Mittelschulen zu schaffen.

Chur, 12. Februar 2020

Cavegn, Felix, Widmer (Felsberg), Berther, Bondolfi, Caluori, Cantieni, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Crameri, Della Cà, Deplazes (Rabius), Derungs, Ellemunter, Epp, Fasani, Florin-Caluori, Flütsch (Splügen), Gasser, Giacomelli, Hofmann, Jochum, Kienz, Kohler, Kunfermann, Müller (Felsberg), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Paterlini, Perl, Preisig, Rutishauser, Sax, Schmid, Schutz, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), von Ballmoos, Waidacher, Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Zanetti (Sent), Gaupp, Spadarotto

Antwort der Regierung

Im Kanton Graubünden erfolgt der Eintritt in eine Mittelschule nach den Bestimmungen der Verordnung über das Aufnahmeverfahren an den Mittelschulen (AufnahmeV; BR 425.060). Das Aufnahmeverfahren besteht aus einer kantonal einheitlichen Prüfung (keP), wobei in der Regel die Vorleistungen im Rahmen einer Übertrittsnote berücksichtigt werden. Die Übertrittsnote wird für Schülerinnen und Schüler (SuS) der sechsten Primarschulklasse sowie der zweiten Sekundarschulklasse aus bestimmten Noten des jeweils letzten Semesters vor der keP berechnet. Mit Ausnahme des Fürstentums Liechtenstein setzen neben Graubünden alle Mitglieder der EDK-Ost (Erziehungsdirektorenkonferenz der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein) auf eine Prüfung als hauptsächliches Selektionsinstrument.

Die Regierung hat sich bereits mehrfach mit der Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens auseinandergesetzt und aufgezeigt, dass aufgrund der speziellen Mittelschulsituation im Kanton Graubünden (acht private Mittelschulen, eine kantonale Mittelschule) an einer keP festzuhalten sei, insbesondere, weil ein Verzicht den Druck auf die zuweisenden Lehrpersonen stark erhöhen würde (vgl. GRP 4 | 2008/2009, S. 640). Aus dem Bildungsbericht Schweiz 2018 der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung geht hervor, dass Aufnahmeverfahren mit einer Prüfung zur Selektion leistungsfähiger und -williger SuS bessere Resultate erzielen als Aufnahmeverfahren ohne Prüfung. Auch konnte aufgezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, trotz ungenügender Kompetenzen ins Gymnasium aufgenommen zu werden, in Kantonen ohne Aufnahmeprüfung deutlich höher ist als in solchen, in denen eine Prüfung das hauptsächliche Selektionsinstrument darstellt. Mit Blick auf einen chancengleichen Zugang zu einer Mittelschulausbildung ist das Aufnahmeverfahren mit keP gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen die bessere Lösung. Zudem stellt die keP für die Regierung ein wichtiges strategisches Instrument dar, um die Jugendlichen der Sekundarstufe II im Rahmen der bisherigen Anteile auf die duale Bildung und die Mittelschulen zu verteilen (vgl. Botschaft der Regierung an den Grossen Rat, Heft Nr. 11/2011–2012, S. 1296).

Die Regierung vertritt nach wie vor die Meinung, dass es zum Grundauftrag des regulären Unterrichts gehört, die SuS auf die keP vorzubereiten, und steht daher den externen Prüfungsvorbereitungskursen kritisch gegenüber. Wie der Bildungsbericht 2018 bestätigt, sind solche Kurse für einen nachhaltigen schulischen Erfolg allerdings nicht entscheidend. Es ist indes anzunehmen, dass Angebote für Nachhilfeunterricht bei einem Aufnahmeverfahren ohne keP zunehmen und diese erfahrungsgemäss von SuS aus sozial besser gestellten Schichten in Anspruch genommen würden. Damit wäre die Chancengleichheit noch deutlicher in Frage gestellt als bei den Prüfungsvorbereitungskursen.

Die Resultate der keP seit 2010 widerlegen die im Auftrag geäusserte Vermutung, der Zugang zu den privaten Mittelschulen in den Regionen würde durch das gegenwärtige System eingeschränkt. Ein Vergleich der Erfolgsquoten der SuS am Prüfungsstandort Bündner Kantonsschule und an den privaten Mittelschulen zeigt, dass in sechs von zehn Prüfungsjahren die Erfolgsquote über beide Prüfungen eines Prüfungsjahres betrachtet (Untergymnasium sowie Einheitsprüfung für Gymnasium, Handels- und Fachmittelschule) an den privaten Mittelschulen insgesamt höher war als an der Bündner Kantonsschule.

Der Verzicht auf eine keP würde einen grundlegenden Systemwechsel darstellen und müsste aus Sicht der Regierung faktenbasiert erfolgen. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Regierung gemäss Art. 7 des Gesetzes über die Mittelschulen im Kanton Graubünden (Mittelschulgesetz, MSG; BR 425.000) für die Qualitätssicherung zuständig ist. Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern:

Die Unterzeichnenden beauftragen die Regierung, zwecks Schaffung der Entscheidungsgrundlage für die Anpassung des Aufnahmeverfahrens an den Mittelschulen, die Vor- und Nachteile von Aufnahmeverfahren mit und ohne Aufnahmeprüfung mittels eines externen Gutachtens darzulegen.

23. April 2020