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Session: 19.04.2021

Gemäss Jahresbericht Wolf 2020 des Amtes für Jagd und Fischerei Graubünden (AJF) hat sich der Wolfsbestand im Kanton innerhalb eines Jahres verdoppelt. Der Wolfsbestand im Kanton Graubünden wird auf mindestens 50 Tiere geschätzt und konzentriert sich vor allem auf die Surselva und Mittelbünden. Gemäss den gemachten Erfahrungen ist mit weiteren Rudelbildungen und einer raschen Verbreitung des Wolfbestandes über den ganzen Kanton zu rechnen. Waren anfänglich vor allem die Land- und Alpwirtschaft mit grossen Problemen durch Wolfsattacken konfrontiert, haben die Konflikte eine immer breitere Dimension angenommen. Aufgrund gesperrter Wanderwege auf Allmenden und Alpen, gerissenem Wild auf Winterwanderwegen und Loipen sowie Wölfen auf Skipisten ist der Tourismus direkt von den Problemen aufgrund der zunehmenden Wolfspopulation betroffen. Die scheuverlierenden Wölfe sind immer öfters sogar tagsüber im Siedlungsgebiet anzutreffen, was für die betroffene Bevölkerung und Gäste verständlicherweise zu Ängsten und Unbehagen führt. In einem Dorf im Rheinwald beeinträchtigt die ständige Wolfpräsenz sogar die Arbeit der Spitex. Aufgrund einer Begegnung einer Spitex-Mitarbeiterin mit einem Wolf haben Mitarbeitende Angst, in diesem Dorf den Einsatz zu erfüllen. Gemeinsam mit der Gemeinde mussten Massnahmen getroffen werden, damit die Pflege und Betreuung der auf Hilfe und Unterstützung angewiesenen Personen durch die Spitex weiterhin gewährleistet werden kann.

Der Bundesrat hat am 31. März 2021 die Vernehmlassung zur Revision der Jagdverordnung eröffnet. Die Vernehmlassung dauert bis am 5. Mai 2021. Die Revision der Jagdverordnung basiert auf zwei Motionen des National- und Ständerates, welche im März 2021 von deren Umweltkommissionen ohne Gegenstimme eingereicht worden sind. Namentlich soll gemäss der Begründung der Motionen «die Entnahme von schadenstiftenden oder verhaltensauffälligen Tieren rascher erfolgen können. So sind die Schwellenwerte für die Regulierung von Wölfen herabzusetzen und neue Schwellenwerte für Risse an Equiden und Grossvieh zu bestimmen. Zudem soll der Bundesrat Massnahmen für die Verstärkung und Ausweitung des Herdenschutzes treffen, namentlich auf Alp-, Heim- und Vorweiden sowie für Equiden und Grossvieh. Die Ausführungsbestimmungen müssen auch so angepasst werden, dass eine Gewöhnung an oder Gefährdung von Menschen durch den Wolf oder Wolfsrudel zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen werden kann». Die zunehmenden Konflikte in verschiedenen Bereichen sind ernst zu nehmen. Sie gefährden die bisherigen Bemühungen, ein Zusammenleben mit dem Wolf zu ermöglichen. Die Ausgestaltung der Jagdverordnung ist unter diesen Aspekten für Graubünden von grosser Wichtigkeit. Daher möchten die Unterzeichnenden von der Regierung wissen:

  1. Teilt die Regierung die Auffassung, dass in der Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel der Handlungsspielraum für die Entnahme von schadenstiftenden und verhaltensauffälligen Tieren gemäss Gesetzgebung voll ausgeschöpft werden soll?
  2. Teilt die Regierung die Auffassung, dass gesamthaft gesehen mit dem Entwurf der Verordnung dem Auftrag des Eidg. Parlamentes, «ein Nebeneinander zwischen Menschen, Grossraubtieren und Nutztieren zu ermöglichen», nicht genügend Rechnung getragen wird?
  3. Teilt die Regierung die Auffassung, dass der Entwurf der Verordnung keine Regelung zur Entnahme von verhaltensauffälligen Tieren vorsieht?
  4. Teilt die Regierung die Auffassung, dass bei Tieren der Rinder- und Pferdegattung sowie bei Neuweltkameliden bereits ein erheblicher Schaden vorliegt, wenn bei einer betreuten Grossviehherde ein Angriff mit Absturzfolgen oder eine Tötung durch Wölfe vorliegt?
  5. Teilt die Regierung die Auffassung, dass die vorgesehene Regulierung eines Rudels zu restriktiv formuliert ist?
  6. Sieht die Regierung Möglichkeiten, das Verfahren des Vollzuges eines Eingriffs zu beschleunigen und dies in der Vernehmlassung aufzunehmen?
  7. Wird sich die Regierung zum Entwurf zur Jagdverordnung kritisch gemäss den oben erwähnten Fragen vernehmen lassen?

Aufgrund der grossen Tragweite der Änderung der Jagdverordnung für die Bevölkerung des Kantons Graubünden beantragen die Unterzeichnenden der Präsidentenkonferenz, dem Grossen Rat den Antrag auf Dringlichkeit der vorliegenden Anfrage zu unterbreiten (Art. 11 Abs. 4 lit. N GGO) und dem Grossen Rat, diese Anfrage für dringlich zu erklären (Art. 66 GGO).

Davos, 19. April 2021

Michael (Donat), Crameri, Flütsch (Splügen), Alig, Berweger, Bettinaglio, Brandenburger, Brunold, Buchli-Mannhart, Caluori, Casutt-Derungs, Clalüna, Deplazes (Rabius), Derungs, Ellemunter, Epp, Favre Accola, Föhn, Giacomelli, Gort, Grass, Gugelmann, Hardegger, Hefti, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Kienz, Koch, Kunz (Fläsch), Loepfe, Loi, Märchy-Caduff, Maissen, Mittner, Müller (Susch), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Rüegg, Salis, Sax, Schneider, Schutz, Stiffler, Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Ulber, Valär, Waidacher, Weber, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Maurizio, Renkel

Antwort der Regierung

Die Konflikte zwischen dem Wolf und der landwirtschaftlichen Nutzung im Berggebiet, aber auch mit dem Sicherheitsbedürfnis der Bergbevölkerung und des Tourismus, haben ein kritisches Ausmass erreicht. Der zunehmende Wolfsdruck im Jahr 2020 und die zunehmenden Konflikte in verschiedenen Bereichen sind ernst zu nehmen. Sie setzen die bisherigen Bemühungen aufs Spiel, die Akzeptanz für ein Zusammenleben mit dem Wolf zu ermöglichen. Es bedarf dringend Lösungen, da bereits im Mai 2021 die nächste Alpsaison beginnt. Diese Position hat die Regierung gegenüber dem Bund wiederholt vertreten.

Zu Frage 1: Mit Schreiben vom 26. Januar 2021 an Frau Bundesrätin Sommaruga hat die Regierung den Bundesrat und das in der Sache zuständige UVEK mit Nachdruckaufgefordert, den gesetzlichen Spielraum im Rahmen einer Anpassung der Jagdverordnung mutig und maximal auszunutzen. Entsprechend teilt die Regierung die in Frage 1 formulierte Auffassung vollumfänglich.

Zu Frage 2: Die Regierung teilt diese Auffassung. Die Anpassung der Jagdverordnung bietet dem Bundesrat jedoch die Möglichkeit, den trotzdem bestehenden Spielraum innerhalb des geltenden Gesetzes auszunutzen. Mit Ablehnung der UREK‑S für eine Neuauflage der Revision des Jagdgesetzes wurde allerdings die Chance vertan, effiziente Instrumente zur nachhaltigen und wirksamen Entschärfung der Wolfsthematik zu schaffen. Bei der Beurteilung der vorliegenden Vorlage muss deshalb zwischen dem Wünschbaren und dem Möglichen unterschieden werden.

Zu Frage 3: Die Regierung teilt diese Auffassung. Im Rahmen der letzten Gesetzesrevision hatte das Bundesparlament den geltenden Art. 12 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere (Jagdgesetz, JSG; SR 922.0) mit dem Tatbestand der "Verhaltensauffälligkeit" ergänzt und den Begriff im Verordnungsentwurf näher definiert (Art. 9b Abs. 4 E‑JSV). Danach sollten Einzelmassnahmen gegen verhaltensauffällige Wildtiere möglich sein. Mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf ist die Entnahme von verhaltensauffälligen Tieren aber nicht vorgesehen.

Zu Frage 4: Die Regierung teilt diese Auffassung. Die Schadensschwelle muss sehr tief festgelegt sein. Es ist entscheidend, dass bei Angriffen auf Tiere der Rinder- und Pferdegattung sowie Lamas und Alpakas (Neuweltkameliden) rasch interveniert wird, da mit allen Mitteln verhindert werden muss, dass sich Wölfe zu stark an diese Tierarten heranwagen. Einzig mit einer Senkung der Schadensschwelle wird ein befriedigendes Wolfsmanagement mittelfristig jedoch nicht zu erreichen sein.

Zu Frage 5: Wie bereits bei den Fragen 1 und 2 erwähnt, vertritt die Regierung die Auffassung, dass der vom Gesetz vorgegebene Handlungsspielraum ausgenutzt werden muss. Die vorliegende Revisionsvorlage erreicht dies noch in ungenügender Weise. Die JSV muss so angepasst werden, dass in Regionen mit sehr hohen Wolfsbeständen (wie im Kanton Graubünden) eine grössere Entnahme möglich ist, insbesondere bei Wolfsrudeln mit problematischem Verhalten.

Zu Frage 6: Mit der Herabsetzung der Schadensschwellen bei der Regulierung von Wolfsbeständen und dem Abschuss von Einzelwölfen wird die Reaktionszeit zwischen Schaden und Intervention deutlich verkürzt. Die Regierung wird sich beim Bund auch für ein rasches Bewilligungsverfahren einsetzen.

Zu Frage 7: Das Vernehmlassungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Konkrete Aussagen zur Stellungnahme der Regierung und zu einzelnen Fragen sind deshalb noch verfrüht. Zweifelsohne wird die Regierung sich für eine grosszügigere Anpassung (Regulierung und Einzelmassnahmen) einsetzen. Zu beachten gilt es aber, dass der Bundesrat den Kantonen im Hinblick auf die kommende Alpsaison rasch geeignete Instrumente zur Verfügung stellen will und dass die Anpassung der Verordnung daher nur ein Zwischenschritt sein kann. Eine Gesetzesrevision, wie sie im Jahr 2020 vorgeschlagen wurde (u.a. mit Bestandesregulation) und die den Wolfsbestandauch zur Stärkung des Herdenschutzes gezielt steuern lässt, sowohl (a) in der Anzahl Wölfe wie auch (b) im Verhalten der Wölfe, bleibt mittelfristig ein sehr wichtiges Anliegen.

21. April 2021