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Session: 16.06.2021

Wie in der Südostschweiz Ausgabe vom 19.5.2021 zu lesen war, will der Kanton Tessin den Ernstfall erproben und die Ausübung des Heimfalles für die erste Etappe der Maggia-Werke Sambuco, Peccia, Cavergno und Verbano dem Kantonsparlament unterbreiten. Diese Kraftwerke werden von der Ofima (Officine Idroelettrichi della Maggia Sa) betrieben, deren Konzession 2035 ausläuft.

Die Ofima ist ein Partnerwerk, wie es auch die meisten im Kanton Graubünden sind, dessen Inhaber hauptsächlich die Mittellandkantone sind.

Den Ausführungen von Regierungspräsident Mario Cavigelli während der Februarsession 2021 in Davos war zu entnehmen, dass der Kanton Graubünden daran ist, eine neue Strategie zur Stärkung der Wasserkraft zu erarbeiten. Das Thema Heimfall soll ebenfalls Bestandteil dieser Arbeit sein.

Vor dem Hintergrund der eminenten und sehr langfristigen wirtschaftlichen Bedeutung dieser Thematik stellen wir Ihnen folgende Fragen:

  1. Wie beurteilt die Regierung den Ansatz des Kantons Tessin, den Heimfall der ersten Etappe der Maggia-Werke ausüben zu wollen?
  2. Welche Chancen und Risiken würde eine Übernahme von Wasserkraftwerkanlagen für den Kanton Graubünden und die Bündner Gemeinden mit sich bringen?
  3. Wie beurteilt die Regierung die Frage nach dem Unterhalt der Anlagen bis zur Ausübung des Heimfalls durch die heutigen Kraftwerkseigentümer?

Davos, 16. Juni 2021

Müller (Susch), Jochum, Gort, Alig, Berther, Bettinaglio, Bondolfi, Brandenburger, Brunold, Buchli-Mannhart, Caluori, Cantieni, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Clalüna, Claus, Crameri, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Deplazes (Rabius), Derungs, Dürler, Ellemunter, Epp, Felix, Florin-Caluori, Föhn, Gugelmann, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hefti, Hitz-Rusch, Hohl, Horrer, Kienz, Kohler, Lamprecht, Loepfe, Maissen, Märchy-Caduff, Michael (Donat), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Paterlini, Perl, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Salis, Sax, Schmid, Schneider, Schutz, Schwärzel, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Weber, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Zanetti (Landquart), Bürgi-Büchel, Patzen, Stieger

Antwort der Regierung

Die Wasserkraft ist für Graubünden aus energie-, volks- und regionalwirtschaftlicher Sicht von sehr grosser Bedeutung. In zehn bis fünfzehn Jahren stehen die Heimfälle verschiedener grösserer Wasserkraftwerke in Graubünden an, welche die Chance bieten, die Eigentumsverhältnisse neu zu regeln. Die Regierung ist entschlossen, ihre Verantwortung im Bereich der Wasserkraft wahrzunehmen und für kommende Generationen die Nutzung und damit auch die Ertragskraft für unser Gemeinwesen zu sichern. Der Kanton ist im Begriff, sich für die kommenden Jahrzehnte aufzustellen, und zwar sowohl strategisch als auch organisatorisch.

Zu Frage 1: Die Strategie jedes Kantons muss im Lichte der kantonalen Verhältnisse betrachtet werden. Gemäss Art. 17 Abs. 1 der Legge sull'utilizzazione delle acque des Kantons Tessin (LUA; RL 721.100) übt der Kanton den Heimfall bei Konzessionsablauf grundsätzlich aus. Der Kanton kann auf die Ausübung zur Eigennutzung verzichten, wenn dem Verzicht keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen (Art. 17 Abs. 2 LUA). Die Gewässerhoheit liegt im Tessin beim Kanton. Mit der Azienda Elettrica Ticinese (AET) ist im Tessin eine Gesellschaft über die gesamte Wertschöpfungskette des Stroms tätig (Produktion, Übertragung, Handel und Verteilung). Letztlich hängt die Ausübung des Heimfalls im Kanton Tessin, wie vorstehend erwähnt, von den öffentlichen Interessen ab. Die Regierung des Kantons Graubünden hat im Rahmen der bevorstehenden Konzessionsabläufe einzelfallweise die Ausübung des Heimfalls als eine von mehreren Handlungsoptionen ebenso zu prüfen (Art. 42 f. des Wasserrechtsgesetzes des Kantons Graubünden [BWRG; BR 810.100]). Dies geschieht in Kooperation mit den Konzessionsgemeinden, bei welchen in Graubünden die Gewässerhoheit liegt (Art. 76 Abs. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101], Art. 83 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Graubünden [KV; BR 110.100] und Art. 119 des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [EGzZGB; BR 210.100).

Zu Frage 2: Bei einer Übernahme der Kraftwerksanlagen als Folge des Heimfalls bieten sich für die Konzessionsgemeinden und den Kanton Chancen, aber auch Risiken. Bei dieser Betrachtung gilt es besonders dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Konzessionsgemeinden und der Kanton die wasserführenden Anlageteile (rund 80 Prozent des Anlagenwertes) unentgeltlich übernehmen können. Bei einer Heimfallausübung fallen für die Konzessionsgemeinden und den Kanton demnach tiefere Produktionskosten an, was sich risikomindernd auswirkt. Bei einer Übernahme einer Kraftwerksanlage bietet sich die Gelegenheit, zur langfristig gesicherten Gewährleistung der Stromversorgung beizutragen und die Wertschöpfung aus der Wasserkraft im Kanton zu steigern. Dem stehen als Risiken der volatile Strompreis, die Stromverwertung und allenfalls das technische Risiko als Anlagebetreiber gegenüber. Mittels der kantonalen Wasserkraftstrategie wird die Regierung dem Grossen Rat unter Einbezug der Chancen und Risiken ihre beabsichtigte Vorgehensweise bei Heimfällen aufzeigen.

Zu Frage 3: Gemäss Art. 29 BWRG haben die Eigentümer von Kraftwerksanlagen diese jederzeit in einem guten und betriebsfähigen Zustand zu erhalten. Die Regierung ist im Einvernehmen mit den Konzessionsgemeinden und nach Anhören des Konzessionärs während der Konzessionsdauer jederzeit befugt, eine Überprüfung der Anlagen im vorgenannten Sinne anzuordnen und die zur Herstellung und Erhaltung des vorgeschriebenen Zustandes erforderlichen Massnahmen und allenfalls auch Ersatzvornahmen auf Kosten des Konzessionärs anzuordnen. Überdies hat der Bund in Bezug auf Kraftwerksanlagen, die seiner Aufsicht unterliegen, die Pflicht, anlässlich einer Fünfjahreskontrolle die sicherheitsrelevanten Aspekte zu überprüfen (Art. 8 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Stauanlagen [Stauanlagengesetz, StAG; SR 721.101] i.V.m. Art. 18 Abs. 1 und Art. 23  der Stauanlagenverordnung [StAV; SR 721.101.1]). Seitens des Kantons nimmt ein Vertreter der zuständigen Fachstelle (AEV) an dieser Überprüfung teil. Soweit dem Kanton bekannt, kommen die Kraftwerksbetreiber ihrer gesetzlichen Pflicht überwiegend nach. Im Hinblick auf den Heimfall wird der Anlagenzustand durch Fachexperten einer Gesamtbeurteilung unterzogen. Zusammen mit dem Kanton Wallis erarbeitet der Kanton hierzu vertiefte Beurteilungsgrundlagen. Die Sicherstellung des guten und betriebsfähigen Zustandes ist prioritär zu behandeln.

6. September 2021