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Session: 20.10.2021

Im Juli 2021 wurde ein Dokumentarfilm des SRF mit dem Titel «Endstation Nothilfe – Abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz» ausgestrahlt. Unter anderem thematisiert der Film die Nothilfe im Bündner Asylsystem. Fragen wirft die Information auf, dass im Ausreisezentrum Flüeli in Valzeina im Rahmen der Nothilfe keine Geldleistungen an die Betroffenen ausbezahlt, sondern lediglich Naturalleistungen erbracht werden. Die Unterzeichnenden möchten deshalb wissen:

  1. Ist die Darstellung in der SRF Reportage korrekt? Erhalten die Betroffenen tatsächlich keine Nothilfe in Form von Geld?
  2. Wie sieht die Praxis diesbezüglich in anderen Kantonen aus?
  3. Ist die Regierung bereit diese Praxis zu überdenken?   

    Im Ausreisezentrum sind gem. Art. 35 Abs. 4 der entsprechenden Verordnung (RVzEGzAAG) Personen im Asylbereich untergebracht, die ihren Ausreisepflichten nicht nachkommen und nicht ausgeschafft werden können. Manche Personen leben allerdings seit Jahren im Ausreisezentrum. Angesichts der starken persönlichen Einschränkungen ein problematischer Zustand. Hier stellen sich folgende Fragen:
  4. Welches sind die längsten Aufenthaltsdauern zurzeit?
  5. Gibt es für Personen mit mehrjährigem Aufenthalt im Ausreisezentrum eine andere Perspektive als die Langzeitnothilfe?

Chur, 20. Oktober 2021

Müller (Felsberg), Perl, Horrer, Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Cantieni, Caviezel (Chur), Degiacomi, Gartmann-Albin, Hofmann, Noi-Togni, Preisig, Rettich, Rutishauser, von Ballmoos, Wilhelm, Pajic, Stieger, Tomaschett (Chur)

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Für die Ausrichtung von Nothilfe gilt nach Art. 82 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG; SR 142.31) kantonales Recht. Gemäss Art. 82 Abs. 4 AsylG ist die Nothilfe nach Möglichkeit an den von den Kantonen bezeichneten Orten grundsätzlich in Form von Sachleistungen auszurichten. Nach Art. 2 Abs. 7 des kantonalen Unterstützungsgesetzes (BR 546.250) ist gegenüber Ausländerinnen und Ausländer, die über kein Aufenthaltsrecht verfügen oder sich aufgrund eines bewilligungsfreien Aufenthaltes in der Schweiz befinden, ausschliesslich Nothilfe zu gewähren. Gemäss Strategie der Regierung werden mittellosen Personen, die um Nothilfe ersuchen und ihrer Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachkommen, i.d.R. im Ausreisezentrum Flüeli in Valzeina (Gemeinde Grüsch) untergebracht. Dort wird nur noch eine ausreisebezogene Unterstützung in Form von materieller Nothilfe gewährt. Als zusätzliche Dienstleistung steht den betroffenen Personen die Rückkehrberatung des Amts für Migration und Zivilrecht zur Verfügung.

Zu Frage 2: Nach den geltenden Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) sollen die Leistungen nach Art. 12 BV (SR 101) in der Regel unter jenen für Asylsuchende im ordentlichen Verfahren liegen. Der Übergang von Sozialhilfe zur Nothilfe soll sicht- und spürbar sein. Die Nothilfe umfasst Hilfe und Betreuung sowie die Mittel, welche für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Die Art und der Umfang der Nothilfe sollen auf das absolut Notwendige beschränkt sein und keinen Anreiz zum weiteren Verbleib in der Schweiz schaffen. Im Jahre 2019 wurden durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei den Kantonen die Daten zur Praxis erhoben. Das Ergebnis zu den erhobenen Daten wurde bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht. Da in einzelnen Kantonen die Gemeinden für die Ausrichtung der Nothilfe zuständig sind, gelangen unterschiedliche Konzepte zur Anwendung. Überwiegend werden in der Nothilfe der übrigen Kantone minimale Geldleistungen ausgerichtet.

Zu Frage 3: Die Regierung hat mehrfach gesagt, dass sie am Prinzip der verfahrensabhängigen Unterbringung festhalten will. Den verschiedenen Bedürfnissen werden mit unterschiedlichen Arten von Kollektivunterkünften gebührend Rechnung getragen. Die bisherige Praxis hat sich insofern bewährt, als dass durch die Abgabe von Sachleistungen eine genügende Versorgung der betroffenen Personen mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln gewährleistet werden kann. Das Risiko, dass bspw. suchtgefährdete Personen die ausgerichteten Geldmittel nicht für die Beschaffung der unerlässlichen Mittel verwenden, kann so erheblich reduziert werden. Die Regierung ist bereit, nach Vorliegen der Ergebnisse der in der Antwort 2 erwähnten Datenerhebung, die geltende Praxis kritisch zu überprüfen. Eine Ausrichtung von geldwerten Leistungen hätte dann aber wohl auch die Überprüfung des Standortes des Ausreisezentrums zur Folge.

Zu Frage 4: Zwei Einzelpersonen befinden sich insgesamt während 14 ½ bzw. 13 ½ Jahren in der Nothilfe. Die durchschnittliche Bezugsdauer der Personen, welche derzeit (Stand 15.11.2021) insgesamt Nothilfe beziehen, beträgt 461 Tage.

Zu Frage 5: Personen, die Nothilfe beziehen, befinden sich ohne gültige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Sie können die Schweiz jederzeit verlassen, wenn sie mit den zuständigen Behörden bei der Ausreisevorbereitung entsprechend kooperieren. Ein zwangsweiser Vollzug ist aus verschiedenen Gründen nicht immer möglich. Ein Gesuch um Erteilung einer Härtefallbewilligung gemäss Art. 14 Abs. 2 AsylG kann frühestens nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren in der Schweiz eingereicht werden. Dabei müssen verschiedene Bedingungen wie etwa gültige Reisedokumente vorliegen. Über eine Härtefallregelung entscheidet schliesslich das SEM im konkreten Einzelfall, gestützt auf einen begründeten Antrag des Kantons. Der Regierung ist jedoch bewusst, dass sich langjährige Nothilfebezüger und –bezügerinnen kaum mehr zu einer Ausreise aus der Schweiz bewegen lassen. Sie setzt sich deshalb beim Bund dafür ein, dass die geltende Praxis überdacht wird.

12. Januar 2022