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Session: 08.12.2021

Die Fachstelle Adebar schlug im Frühling 2021 Alarm, weil immer mehr Kinder und Jugendliche des Kantons Graubünden über die sozialen Medien sexualisierte Gewalt/Cybergrooming erleben.

«Das Phänomen Cybergrooming liegt vor, wenn Erwachsene in sozialen Netzwerken, Diskussionsforen oder auf Videospiel-Webseiten mit Jugendlichen oder Kindern in Verbindung treten, um einen späteren Missbrauch vorzubereiten. Das Ziel der Pädosexuellen (Groomer) liegt darin, das Kind oder den Jugendlichen/die Jugendliche dazu zu bringen, selber sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, um sie im Anschluss mit dem intimen Bildmaterial zu erpressen, zu nötigen oder gar zu einem reellen Treffen zu bewegen, um das Opfer sexuell zu missbrauchen.» (Definition nach SKP, Schweizerische Kriminalprävention)

Da ein diesbezüglicher Straftatbestand aktuell (noch) nicht existiert, macht sich ein Täter, der sich mit einem Kind via Chat austauscht, nur dann strafbar, wenn er dabei das Kind mit pornografischen Texten oder Abbildungen konfrontiert, das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an sich selber verleitet und dabei – etwa mittels einer Livecam – zuschaut, das Kind in eine sexuelle Handlung einbezieht, indem er sexuelle Handlungen vor dem Kind vornimmt beziehungsweise das Kind diese wahrnimmt, ohne dass es dabei zu einem körperlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer kommt, oder wenn dem Vorschlag für ein Treffen konkrete Handlungen folgen, etwa indem der Täter am vereinbarten Treffpunkt erscheint (Versuch zur Vornahme sexueller Handlungen mit Kindern oder zur Herstellung von Kinderpornografie).

Die Fachstelle Adebar weist weiter darauf hin, dass ein Kinder- und Jugendschutz, wie wir ihn aus der analogen Welt kennen, in der digitalen Welt in solcher Weise NICHT umgesetzt wird. Minderjährige sind dadurch einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Immer mehr Täter*innen nutzen die Anonymität im Netz aus, um sich Kindern auf sexuelle Weise zu nähern, mit dem Ziel der Anbahnung beziehungsweise der Vornahme einer sexuellen Handlung.

Schutz vor sexueller Gewalt muss sich stärker an der tatsächlichen Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen orientieren und darum die digitale Welt einschliessen. Dies ist wichtig, damit Kinder und Jugendliche die vielfältigen Möglichkeiten im Netz sicher nutzen, diese richtig einschätzen, sich der bestehenden Risiken bewusst werden und die Konsequenzen des eigenen Handelns im Netz beurteilen können. Bei Vorfällen ist es zudem wichtig, dass sie sich schnell und unkompliziert beraten lassen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Anlässlich der Podiumsveranstaltung vom 8. November 2021 «Wir reden darüber – Der Triebtäter von nebenan» hat sich gezeigt, dass Vorfälle im Zusammenhang mit Cybergrooming in den wenigstens Fällen zur Anzeige gebracht werden. So sind in den Jahren 2020 und 2021 in der diesbezüglichen Statistik der Kantonspolizei Graubünden lediglich zwei Fälle pro Jahr verzeichnet. Es ist folglich von einer sehr hohen Dunkelziffer in diesem Bereich auszugehen.

Erschwerend im Kampf gegen Cybergrooming kommt hinzu, dass das Aufspüren von, die Ermittlungen gegen und das Überführen von sogenannten «Groomern» sehr komplex und aufwändig ist. Um Erfolge generieren zu können, ist der Einsatz von polizeilichen Ermittlungsteams, bestehend aus Cybercrimespezialisten, Kriminalanalysten sowie ausgebildeten polizeilichen Spezialermittlern angezeigt sowie eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft notwendig.

Das Bündner Mädchenparlament ist dieses Jahr ebenfalls bereits aktiv geworden und hat eine entsprechende Petition bezüglich unerwünschter erotischer Bilder und Grooming bei der Regierung eingereicht.

  1. Ist die Regierung bereit, eine niederschwellige Meldestelle einzurichten, wo auch anonym Vorfälle online erfasst werden können, sei es von den Betroffenen, den Schulen, den Schulsozialdiensten, den Beratungsdiensten wie Adebar, der Jugendarbeit oder Ähnliche?
  2. Die Sensibilisierungsarbeit ist enorm wichtig, dennoch verfügen nicht alle Schulgemeinden über eine eigene Schulsozialarbeit oder beauftragen (alternativ/zusätzlich) die Beratungsstelle Adebar mit dieser Arbeit. Ist die Regierung bereit, alle Schulgemeinden für diese wichtige Arbeit zu sensibilisieren und diese auch zu beauftragen, innerhalb der Schulgemeinde eine entsprechende niederschwellige Anlaufstelle (z. B. Schulsozialarbeit etc.) zu definieren und auch in der Schülerschaft bekannt zu machen, damit Kinder und Jugendliche sich bei konkreten Vorfällen beraten lassen können?
  3. Interkantonale Kooperationen scheinen gerade aufgrund der limitierten Personalressourcen in diesem hochkomplexen Umfeld der Cyberkriminalität notwendig. Welche aktuellen Kooperationen gibt es und ist die Regierung bereit, zusätzliche Kooperationen und die Aufstockung mit externem Know-how sowie Ressourcen zu prüfen?
  4. Ist die Regierung bereit, die Aufstockung der personellen Ressourcen bei der Kantonspolizei zu prüfen, sofern sich aufgrund der Anzahl bei der Meldestelle eingehenden (anonymen) Meldungen zu Cybergrooming etc. zeigen sollte, dass der Bedarf für ein verstärktes Vorgehen in der Bekämpfung der sexualisierten Gewalt im Cyberraum gegen Jugendliche und Kinder notwendig ist?

Chur, 8. Dezember 2021

Favre Accola, Gugelmann, Rettich, Berther, Brandenburger, Cahenzli-Philipp, Casutt-Derungs, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Dürler, Ellemunter, Gartmann-Albin, Gort, Grass, Hartmann-Conrad, Hefti, Hofmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Koch, Loepfe, Märchy-Caduff, Müller (Felsberg), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Preisig, Salis, Schmid, Schwärzel, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Widmer (Felsberg), Conrad-Roner, Costa, Fasani-Horath, Pajic, Renkel, Stocker, Tomaschett (Chur)

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Eine Meldestelle, die auch anonym angegangen werden kann, mag vor allem hilfreich sein, um sich ein ungefähres Bild über Häufigkeit und Ausgestaltung von "Cybergrooming" machen zu können. Allerdings sind anonym gemeldete Vorfälle strafprozessual schwierig weiterzuverfolgen. Soweit z.B. Antragsdelikte zur Diskussion stehen, genügt ein anonym gestellter Strafantrag oder der Hinweis an eine Meldestelle in der Regel nicht, um Ermittlungen anstossen zu können. Dort, wo die mutmassliche Täterschaft identifiziert werden kann, diese aber bestreitet, ist es für eine gerichtsverwertbare Beweisführung meist erforderlich, dass das Opfer bekannt wird. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörde scheint daher eine Meldestelle nicht zielführend, falls damit auch der Zweck verfolgt werden sollte, eine bessere strafrechtliche Schlagkraft gegen "Cybergrooming" zu schaffen. Eine Meldestelle existiert bereits. Das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) bietet bereits die Möglichkeit, einen Cyber-Vorfall zunächst einfach und ohne Preisgabe von weiteren Daten zu melden. Auf der Homepage (www.ncsc.admin.ch/ncsc/de/home.html) finden sich zudem Informationen und Links speziell zur Thematik Aufklärung im Bereich Cybergrooming für Jugendliche und Kinder. Unter anderem findet man dort den Hinweis auf "Pro Juventute Beratung + Hilfe 147", die als Anlaufstelle fungiert, bei welcher Kinder und Jugendliche rund um die Uhr vertraulich und kostenlos anrufen können.

Zu Frage 2: Die Regierung ist bereit, die Schulträgerschaften für das Thema zu sensibilisieren sowie über vorhandene Unterstützungsangebote zu informieren. Ob Schulträgerschaften dafür eigens Schulsozialarbeit als Anlaufstelle installieren wollen, liegt gemäss Schulgesetz alleine in ihrer Kompetenz (Art. 40 Schulgesetz; BR 421.000). Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler hat Zugang zu Schulsozialarbeit. Stellen wie Adebar, der Schulpsychologische Dienst, die Kinder- und Jugendpsychiatrie oder die Schulsozialarbeit bieten für Kinder und Jugendliche im Einzelfall als Anlaufstelle konkrete Unterstützung an. Diese Stellen sind auch den Lehrpersonen bekannt. Des Weiteren werden Kinder und Jugendliche über die Gefahren der Sozialen Medien gemäss Lehrplan 21 GR altersentsprechend über die verschiedenen Zyklen hinweg sensibilisiert. Der Kanton unterstützt zudem das Präventionsagebot gegen sexuelle Grenzüberschreitungen, welches Adebar, wenn Schulen es wünschen, erbringt.

Zu Frage 3: Aktuell bestehen in der Schweiz im Bereich der Bekämpfung von Cyberkriminalität das Netzwerk Ermittlungsunterstützung digitaler Kriminalitätsbekämpfung (NEDIK; vergleiche auch die Antwort zur Anfrage Gartmann-Albin betreffend Pädophilie im Internet). Ebenfalls existiert eine Informationsaustauschplattform für serielle Onlinekriminalität der Westschweizer Kantone. Die Regierung des Kantons Graubünden hat mit Beschluss vom 16. November 2021 den Kommandant der Kantonspolizei Graubünden ermächtigt, die Vereinbarung mit den Westschweizer Kantonen betreffend Beteiligung zu unterzeichnen. Der Zugang zu und die Nutzung dieser Plattform wird der Kantonspolizei Graubünden ab Frühling 2022 offenstehen.

Die Polizeikorps der Schweiz sind am Aufbau von Informations- und Datenaustauschplattformen in verschiedenen Themenbereichen. Sobald die Voraussetzungen betreffend automatisierten Datenaustausch auch beim Bund, den Polizeikonkordaten oder den Kantonen bestehen und weitere interkantonale Zusammenarbeitsformen ermöglichen, wird die Regierung die Beteiligung an Kooperationen bzw. die Bereitstellung von zusätzlichen personellen Ressourcen prüfen.

Zu Frage 4: Die Mehrheit der klassischen Delikte weist inzwischen einen Bezug zur Cyberkriminalität auf. Diese Verlagerung in den Cyber-Raum erfordert von der Staatsanwaltschaft und der Polizei personelle und organisatorische Anpassungen sowie Investitionen in Weiterbildung und technischer Infrastruktur. Dementsprechend sind eine Spezialisierung sowie ein Ausbau der personellen Mittel in der Strafverfolgung zur Bekämpfung dieses Deliktbereiches kontinuierlich zu überprüfen und falls angezeigt zu realisieren. Jedoch liegt die Budgetkompetenz und damit auch die Kompetenz betreffend Aufstockung von personellen Ressourcen beim Grossen Rat.

3. März 2022