Die Fachstelle Adebar schlug im Frühling 2021 Alarm, weil immer mehr Kinder und Jugendliche des Kantons Graubünden über die sozialen Medien sexualisierte Gewalt/Cybergrooming erleben.
«Das Phänomen Cybergrooming liegt vor, wenn Erwachsene in sozialen Netzwerken, Diskussionsforen oder auf Videospiel-Webseiten mit Jugendlichen oder Kindern in Verbindung treten, um einen späteren Missbrauch vorzubereiten. Das Ziel der Pädosexuellen (Groomer) liegt darin, das Kind oder den Jugendlichen/die Jugendliche dazu zu bringen, selber sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, um sie im Anschluss mit dem intimen Bildmaterial zu erpressen, zu nötigen oder gar zu einem reellen Treffen zu bewegen, um das Opfer sexuell zu missbrauchen.» (Definition nach SKP, Schweizerische Kriminalprävention)
Da ein diesbezüglicher Straftatbestand aktuell (noch) nicht existiert, macht sich ein Täter, der sich mit einem Kind via Chat austauscht, nur dann strafbar, wenn er dabei das Kind mit pornografischen Texten oder Abbildungen konfrontiert, das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an sich selber verleitet und dabei – etwa mittels einer Livecam – zuschaut, das Kind in eine sexuelle Handlung einbezieht, indem er sexuelle Handlungen vor dem Kind vornimmt beziehungsweise das Kind diese wahrnimmt, ohne dass es dabei zu einem körperlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer kommt, oder wenn dem Vorschlag für ein Treffen konkrete Handlungen folgen, etwa indem der Täter am vereinbarten Treffpunkt erscheint (Versuch zur Vornahme sexueller Handlungen mit Kindern oder zur Herstellung von Kinderpornografie).
Die Fachstelle Adebar weist weiter darauf hin, dass ein Kinder- und Jugendschutz, wie wir ihn aus der analogen Welt kennen, in der digitalen Welt in solcher Weise NICHT umgesetzt wird. Minderjährige sind dadurch einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Immer mehr Täter*innen nutzen die Anonymität im Netz aus, um sich Kindern auf sexuelle Weise zu nähern, mit dem Ziel der Anbahnung beziehungsweise der Vornahme einer sexuellen Handlung.
Schutz vor sexueller Gewalt muss sich stärker an der tatsächlichen Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen orientieren und darum die digitale Welt einschliessen. Dies ist wichtig, damit Kinder und Jugendliche die vielfältigen Möglichkeiten im Netz sicher nutzen, diese richtig einschätzen, sich der bestehenden Risiken bewusst werden und die Konsequenzen des eigenen Handelns im Netz beurteilen können. Bei Vorfällen ist es zudem wichtig, dass sie sich schnell und unkompliziert beraten lassen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Anlässlich der Podiumsveranstaltung vom 8. November 2021 «Wir reden darüber – Der Triebtäter von nebenan» hat sich gezeigt, dass Vorfälle im Zusammenhang mit Cybergrooming in den wenigstens Fällen zur Anzeige gebracht werden. So sind in den Jahren 2020 und 2021 in der diesbezüglichen Statistik der Kantonspolizei Graubünden lediglich zwei Fälle pro Jahr verzeichnet. Es ist folglich von einer sehr hohen Dunkelziffer in diesem Bereich auszugehen.
Erschwerend im Kampf gegen Cybergrooming kommt hinzu, dass das Aufspüren von, die Ermittlungen gegen und das Überführen von sogenannten «Groomern» sehr komplex und aufwändig ist. Um Erfolge generieren zu können, ist der Einsatz von polizeilichen Ermittlungsteams, bestehend aus Cybercrimespezialisten, Kriminalanalysten sowie ausgebildeten polizeilichen Spezialermittlern angezeigt sowie eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft notwendig.
Das Bündner Mädchenparlament ist dieses Jahr ebenfalls bereits aktiv geworden und hat eine entsprechende Petition bezüglich unerwünschter erotischer Bilder und Grooming bei der Regierung eingereicht.
- Ist die Regierung bereit, eine niederschwellige Meldestelle einzurichten, wo auch anonym Vorfälle online erfasst werden können, sei es von den Betroffenen, den Schulen, den Schulsozialdiensten, den Beratungsdiensten wie Adebar, der Jugendarbeit oder Ähnliche?
- Die Sensibilisierungsarbeit ist enorm wichtig, dennoch verfügen nicht alle Schulgemeinden über eine eigene Schulsozialarbeit oder beauftragen (alternativ/zusätzlich) die Beratungsstelle Adebar mit dieser Arbeit. Ist die Regierung bereit, alle Schulgemeinden für diese wichtige Arbeit zu sensibilisieren und diese auch zu beauftragen, innerhalb der Schulgemeinde eine entsprechende niederschwellige Anlaufstelle (z. B. Schulsozialarbeit etc.) zu definieren und auch in der Schülerschaft bekannt zu machen, damit Kinder und Jugendliche sich bei konkreten Vorfällen beraten lassen können?
- Interkantonale Kooperationen scheinen gerade aufgrund der limitierten Personalressourcen in diesem hochkomplexen Umfeld der Cyberkriminalität notwendig. Welche aktuellen Kooperationen gibt es und ist die Regierung bereit, zusätzliche Kooperationen und die Aufstockung mit externem Know-how sowie Ressourcen zu prüfen?
- Ist die Regierung bereit, die Aufstockung der personellen Ressourcen bei der Kantonspolizei zu prüfen, sofern sich aufgrund der Anzahl bei der Meldestelle eingehenden (anonymen) Meldungen zu Cybergrooming etc. zeigen sollte, dass der Bedarf für ein verstärktes Vorgehen in der Bekämpfung der sexualisierten Gewalt im Cyberraum gegen Jugendliche und Kinder notwendig ist?
Chur, 8. Dezember 2021
Favre Accola, Gugelmann, Rettich, Berther, Brandenburger, Cahenzli-Philipp, Casutt-Derungs, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Dürler, Ellemunter, Gartmann-Albin, Gort, Grass, Hartmann-Conrad, Hefti, Hofmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Koch, Loepfe, Märchy-Caduff, Müller (Felsberg), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Preisig, Salis, Schmid, Schwärzel, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Widmer (Felsberg), Conrad-Roner, Costa, Fasani-Horath, Pajic, Renkel, Stocker, Tomaschett (Chur)