Die Bundesversammlung verabschiedete am 19. Dezember 2008 das totalrevidierte Vormundschaftsrecht, welches am 1. Januar 2013 unter dem neuen Namen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (KESR) in Kraft trat. Darin streng gefordert war der Wechsel von erstinstanzlichen Miliz- und Laienbehörden zu interdisziplinär zusammengesetzten professionellen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB). Auf kantonaler Ebene fand die Umsetzung mittels einer Teilrevision des Einführungsgesetzes zum ZGB (EGzZGB, BR 210.100) und dem Erlass einer Verordnung zum Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV, BR 215.010) statt. Im Kindesschutz sind seither jedoch aufgrund von Revisionen des Kindesrechts Änderungen von erheblicher Bedeutung eingetreten. Den mit dem Übergang von der Pionier- in eine Konsolidierungsphase und im neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht gemachten Erfahrungen hat im Februar 2021 der Grosse Rat mittels einer Teilrevision des EGzZGB Rechnung getragen. Der revidierte Art. 63a Abs. 3 bis Abs. 7 regelt die Finanzierung der Kosten von stationären Kindesschutzmassnahmen. Neu ist die Gemeinde am zivilrechtlichen Wohnsitz des betroffenen Kindes verpflichtet, diese Kosten zu tragen bzw. zu bevorschussen (Art. 63a Abs. 3).
Der Abrechnungsprozess von stationären Kindesschutzmassnahmen weist jedoch bereits nach ersten Umsetzungserfahrungen in der Praxis erhebliche Probleme auf. Um allfällige Elternbeiträge zu prüfen, zu berechnen und gegebenenfalls auch einfordern zu können, müssen die Gemeinden über die Massnahmen orientiert sein und die notwendigen Dokumente von den Inhabern der elterlichen Sorge einfordern. Aufgrund fehlender sprachlicher bzw. kognitiver Kompetenz, Verweigerung etc. werden diese jedoch teilweise nicht eingereicht. Im Streitfall ist zudem eine Unterhaltsklage gegen die Eltern geltend zu machen – was nicht durch eine hoheitliche Verfügung einer Gemeinde möglich ist. Die mit diesen Prozessen zu erfüllenden Aufgaben der Steuerung, Prozessbegleitung, Rechnungsführung, Koordination mit anderen Dienststellen sowie des Controllings erfordern zwingend mehr personelle Ressourcen und sind aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen auf verschiedene Personen zu verteilen.
Diejenigen Elternbeiträge, die aufgrund fehlender Mittel über die wirtschaftliche Sozialhilfe ausgerichtet werden, müssen in Fällen von Ausländern dem Amt für Migration gemeldet werden, wenn sie dadurch die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen zur Folge haben. In der Praxis kann sich damit der Bezug von fürsorgerischen Leistungen nachteilig auf das Aufenthaltsbewilligungsverfahren auswirken. Bei Inhabern der elterlichen Sorge, die ausserkantonalen Wohnsitz haben, ist zudem das kantonale Gesetz (EGzZGB) nicht anwendbar.
Daher werden von den Unterzeichnenden nachfolgende Fragen an die Regierung gestellt:
- Mit dem totalrevidierten Vormundschaftsgesetz wurde eine Professionalisierung gesetzlich verankert. Warum sieht das kantonale Gesetz im Bereich Tragung von Kosten im Kindesschutz nun vor, den Auftrag «Abrechnungsprozess und Elternbeitrag» einer Miliz- und Laienbehörde zuzuteilen und damit sämtliche persönlichen, besonders schützenswerten Daten der Betroffenen von diesen bearbeiten zu lassen? Wie können zudem die Betroffenen geschützt werden, wenn der Konflikt besteht, dass die Milizbehörde auch Arbeitgeberin ist?
- Für die KESB wurden 7,2 neue Vollzeitstellen geschaffen, jedoch nicht für die Gemeinden, welche durch die Revision einen Mehraufwand haben. Durch das Vorgehen im Abrechnungsprozess findet eine Lastenverschiebung zu den Gemeinden statt, welche durch den 20-prozentigen Elternbeitrag nicht zu decken ist und im Soziallastenausgleich (SLA) keine Berücksichtigung findet. Wie gedenkt die Regierung einen Ausgleich vorzunehmen?
- Der Begriff Eintrittsschwelle bezeichnet den rechnerischen Grenzbetrag zur Beurteilung der Unterstützungsbedürftigkeit. Findet der Elternbeitrag bei der Berechnung Berücksichtigung und kann das bei Eltern mit Aufenthaltsbewilligung zur Meldepflicht führen?
- Bei Eltern, die einen ausserkantonalen Wohnsitz begründen, ist die Berechnung des Elternbeitrages gemäss Art. 63a Abs. 4 EGzZGB im Gegensatz zu Eltern, die einen kantonalen Wohnsitz begründen, nicht anwendbar. Was erfolgt in der Praxis in solchen Fällen? Entspricht das den Grundsätzen der Rechtsgleichheit?
- Neu berechnen und verfügen die Gemeinden den Elternbeitrag, was in kleinen Gemeinden zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führt. Wie gedenkt die Regierung diese Problematik zu beheben?
Chur, 21. April 2022
Valär, Preisig, Sax, Alig, Berther, Berweger, Brandenburger, Caluori, Cantieni, Censi, Claus, Degiacomi, Dürler, Ellemunter, Engler, Favre Accola, Felix, Flütsch, Föhn, Gugelmann, Hartmann-Conrad, Hitz-Rusch, Hohl, Holzinger-Loretz, Jochum, Kienz, Kunz (Chur), Lamprecht, Marti, Mittner, Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Ruckstuhl, Rüegg, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Tomaschett-Berther (Trun), von Ballmoos, Weidmann, Wellig, Wieland, Wilhelm, Bürgi-Büchel, Patzen, van Kleef