Im Januar 2023 erfuhr die Öffentlichkeit von der Existenz eines vergessenen Denkmals der Nationalsozialisten im Churer Friedhof Daleu. Die Recherchen von SRF zeigten, dass es sich um ein Mausoleum für während des Ersten Weltkriegs in der Schweiz verstorbene deutsche Soldaten handelt. Dieses Mausoleum wurde mit Billigung der hiesigen Behörden im Jahr 1938 errichtet und 1955 – also lange nach dem Zweiten Weltkrieg – renoviert.
Die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen ist im Vergleich zu den beiden Weltkriegen in der historischen Forschung in Graubünden – abgesehen von einigen Vorarbeiten – noch nicht systematisch aufgearbeitet. Das (wiederentdeckte) nationalsozialistische Mausoleum im Churer Friedhof Daleu ist dabei nur einer von zahlreichen Anhaltspunkten, die darauf hinweisen, dass auch in unserem Kanton der Faschismus und Nationalsozialismus Spuren hinterlassen haben und dass Spannungen zwischen Widerstand und Sympathien existierten. Weitere Punkte lassen sich – ohne abschliessend zu sein – anführen:
- Die langen Grenzen Graubündens zum faschistischen Italien und zu Österreich, das 1938 ans «Dritte Reich» angeschlossen wurde und damit die enge Verflochtenheit unserer Bevölkerung und unserer Behörden mit diesen Ländern.
- Der Churer Gerichtsprozess gegen David Frankfurter, der im Februar 1936 den Nazi-Landesgruppenführer Gustloff in Davos getötet hatte und zu einer Höchststrafe verurteilt wurde – begleitet von massiver nationalsozialistischer Propaganda.
- Die Frauen und Kinder, die vergeblich um Behördenhilfe gebeten hatten, weil sie durch Heirat mit ausländischen und von den faschistischen beziehungsweise nationalsozialistischen Regimes verfolgten Männern ihre Staatsbürgerinnenschaft verloren hatten und ebenfalls Verfolgung und Vernichtung anheim gegeben wurden.
- Die Einschleusung, Beschäftigung und Niederlassung der in der mit öffentlichen Geldern subventionierten HOVAG (später Ems-Chemie) tätigen und zum Teil verantwortlichen Forscher aus Nazi-Deutschland, die mit ihrem Wissen über chemische Stoffe und Waffensysteme den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens begründeten.
Die Bündner Regierung hat mit ihrem Auftrag zur Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen gezeigt, dass ein solches Projekt beispielhaft umgesetzt werden kann. Die Bedeutung der Zwischenkriegszeit und die Wirkung von Vorkommnissen bis in unsere Gegenwart lassen eine historische Aufarbeitung als geboten erscheinen.
Die Unterzeichnenden fragen deshalb die Regierung an, ob sie bereit ist,
- in Zusammenarbeit mit der Stadt Chur die Initiative zu einer Erhaltung und Kontextualisierung des Mausoleums auf dem Friedhof Daleu zu ergreifen, um die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren;
- eine unabhängige und interdisziplinäre Erforschung der Zwischenkriegszeit in Graubünden und seine Folgen in der Nachkriegszeit in Auftrag zu geben und zu finanzieren.
Chur, 15. Februar 2023
Hofmann, Schneider, Danuser (Chur), Atanes, Bachmann, Bardill, Baselgia, Biert, Bischof, Bleuler-Jenny, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Dietrich, Furger, Gansner, Gartmann-Albin, Gredig, Hoch, Kreiliger, Mani, Mazzetta, Müller, Nicolay, Pajic, Perl, Preisig, Rettich, Righetti, Rusch Nigg, Rutishauser, Spagnolatti, von Ballmoos, Zaugg-Ettlin