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Session: 15.06.2023

Der kantonale Richtplan Energie, zu dem noch die Vernehmlassung läuft, sieht im Kanton Graubünden 25 Windparks in Windenergiezonen vor. Verschont von Windparks bleibt einzig das Oberengadin.

Die Windparks sind wegen ihrer Erschliessung mit Strassen und Stromnetzen bewusst nahe am Siedlungsgebiet geplant und haben deshalb negative Auswirkungen auf den Lebensraum der Bündner Bevölkerung.

Die touristisch stark genutzten Regionen werden massiv beeinträchtigt. Die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen für diesen im Kanton äusserst bedeutenden Wirtschaftszweig lassen sich nicht einmal erahnen. Statt mit freien Alpenlandschaften würde sich das Bündnerland künftig als verschandelte Gegend präsentieren.

Mit dem Richtplanverfahren werden die Mitspracherechte der Gemeinden und der Bürgerinnen und Bürger ausgehebelt. Da solche gigantische Windkraftanlagen Gefahren und Beeinträchtigungen für alle Bewohnerinnen und Bewohner in der Nähe bilden (z. B. Feuer, Eiswurf, Infraschall, Beschattung, Lichtverschmutzung, Verkehr) soll rasch ein erweiterter Mindestabstand eingeführt werden. Ausserhalb des Kantons Graubünden sind zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner bereits gewisse Abstandsregelungen vorhanden. So gilt in Deutschland ein genereller Mindestabstand von 1000m, im Kanton Baselland wird im Richtplan ein Mindestabstand von 700m vorgesehen und die Gemeinde Hagenbuch ZH hat soeben an der Gemeindeversammlung einen Mindestabstand von 1000m beschlossen. Das Bundesgericht hat die Rechtsmässigkeit solcher Vorschriften bestätigt (1C_149/2021, Urteil vom 25 August 2022).

Für den Schutz der Natur gibt es bereits strenge Vorschriften (Fledermäuse, Vögel, Bäume, Wildtiere etc.) jedoch spielt der Schutz des Menschen bei der Planung von Windkraftanlagen offenbar kaum eine Rolle. Die Lärmschutzverordnung stammt aus dem Jahr 1986 und die Normen zur Beurteilung von Windkraftanlagen beziehen sich auf maximal 30m hohe Windturbinen. Heute werden in der Schweiz jedoch Windturbinen mit 150m Höhe und in Deutschland bereits mit 250m Höhe gebaut. Es ist daher mehr als nur angebracht, dass auch der Kanton Graubünden moderne Abstandsregelungen einführt.

Die Unterzeichnenden fordern die Regierung auf:

Bei der Planung und dem Bau von Windenergieanlagen (Nabenhöhe ab 30m) ist ein Mindestabstand zwischen einer zeitweisen oder dauerhaft genutzten Liegenschaft von 1000m einzuhalten.

Klosters, 15. Juni 2023

Grass, Hug, Gort, Adank, Bärtsch, Brandenburger, Butzerin, Candrian, Casutt, Cortesi, Della Cà, Dürler, Favre Accola, Hefti, Koch, Krättli, Lehner, Metzger, Morf, Rauch, Roffler, Salis, Sgier, Stocker

Antwort der Regierung

Das Richtplanverfahren ist ein Bestandteil der Planung gemäss geltendem Bundesrecht. Rechte von Bürgerinnen oder Bürgern werden damit nicht ausgehebelt. In diesem ersten Planungsschritt werden noch keine allgemeinverbindlichen Nutzungen festgelegt. Dies erfolgt erst auf Stufe der Nutzungsplanung. Hier bestehen Mitwirkungsrechte und umfassender Rechtsschutz. Fehlen potenzielle künftige Nutzungen im Richtplan, können sie im Nutzungsplan nicht vorgesehen werden. Im Richtplan Energie werden nur "geeignete" Standorte für Windenergie bezeichnet. Erst die Gemeinde und letztlich die Stimmbevölkerung legen in den ortsplanerischen Grundlagen fest, auch unter Berücksichtigung von Abständen, ob Anlagen ermöglicht werden sollen. Zudem bedarf es auch noch einer Baubewilligung für die Anlagen.

Auf Bundesebene wurden auch Motionen zu Mindestabständen eingereicht. Eine aus dem Jahr 2017 (curia vista 17.3473) wurde abgelehnt, eine aus dem Jahr 2022 (curia vista 22.4491) ist noch nicht behandelt (der Bundesrat beantragt Ablehnung). Die Regierung hat Verständnis für die Anliegen der Unterzeichnenden zum Schutz der Bevölkerung vor tatsächlichen oder vermuteten schädlichen Auswirkungen von Windenergieanlagen. Auf der anderen Seite stehen die gewichtigen nationalen Interessen einer nichtfossilen Stromproduktion, insbesondere im Winterhalbjahr. Zum Schutz der verschiedenen Anliegen besteht heute schon eine hohe Regelungsdichte, die zu berücksichtigen ist und die dafür sorgt, dass die Abstände von Windenergieanlagen gestützt auf die lokalen Besonderheiten und zu berücksichtigenden Interessen im Einzelfall richtig festgelegt werden.

Den Gemeinden bleibt es im Grundsatz unbenommen, in ihren Ortsplanungen situationsgerechte Vorschriften über Mindestabstände vorzusehen. Eine Beurteilung erfolgte seitens des Bundesgerichts mit Entscheid 1C_149/2021 vom 25. August 2022. Es kam zum Schluss, dass die (kantonale) Genehmigung eines kommunalen Baureglements mit Mindestabständen von 500 Metern (bei Anlagen über 50 Meter Nabenhöhe) zum Schutz der Bevölkerung nicht verweigert werden könne. Eine Verweigerung könne nur erfolgen, wenn sie (angesichts des übergeordneten Rechts) offensichtlich keine Anwendungsmöglichkeit bietet und somit von vornherein dazu bestimmt sei, toter Buchstabe zu bleiben. Das sei vorliegend nicht der Fall, da es möglich sein könnte, dass diese Regel im Rahmen einer konkreten Planung Anwendung finden könne. Die Anwendung dieser Abstandsnorm (zum Schutz der Bevölkerung) sei nicht a priori auszuschliessen; die Norm müsse im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung konkret berücksichtigt werden. Das bedeutet letztlich, dass (generelle) kommunale Mindestabstände zwar möglich sind, jedoch nicht in jedem Fall und absolut gelten würden, sondern letztlich im Einzelfall im Rahmen der Gesamtinteressenabwägung (mit)geprüft würden. In einem Fall wären sie bundesrechtskonform, im anderen Fall nicht. Je grösser die Abstandsvorschriften und je gewichtiger die anderen Interessen, umso weniger anwendbar wären sie, und umgekehrt.

Kantonale Mindestabstände wären demgegenüber rechtlich (noch) problematischer und zudem weder zielführend noch zweckmässig. Die Planungsträger sind die Gemeinden. Angesichts dessen, dass die Interessensabwägung auch betreffend Abstände massgebend und insbesondere im Rahmen der Nutzungsplanung vorzunehmen ist, nicht aber auf Stufe Kanton bei der Festlegung einer starren Norm erfolgen kann, wäre die Durchsetzbarkeit bzw. Anwendbarkeit einer kantonalen Abstandsvorschrift höchstens nur einzelfallweise gegeben. Sie könnte also im Rahmen der Genehmigung von Ortsplanungen nur angewandt werden, wenn die rechtskonforme Interessensabwägung ergibt, dass diese Abstände minimal einzuhalten wären. Zudem wäre die Bundesrechtskonformität einer starren, absolut geltenden kantonalen Norm fraglich, da sich diese nach anderen Grundsätzen als die (kantonale) Genehmigungsfähigkeit einer kommunalen Norm in der Raumplanung, entsprechend dem hier erwähnten Bundesgerichtsurteil, beurteilt.

Somit sind weitergehende Regelungen in Ergänzung zum geltenden Bundesrecht, wenn diese erwünscht sind, richtigerweise in den kommunalen ortsplanerischen Grundlagen aufzunehmen, wobei die erwähnten Vorbehalte gelten. Regelungen auf kantonaler Stufe wären weder zweckmässig noch zielführend.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Fraktionsauftrag abzulehnen.

29. August 2023