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Session: 07.12.2016

Ausgangslage: Im März 2012 wurde die Totalrevision des Schulgesetzes durch den Grossen Rat beschlossen. Unter anderem fand auch die Regelung der Sonderpädagogik Eingang. Dabei gewährleistet die Schulträgerschaft das sonderpädagogische Angebot im niederschwelligen Bereich, der Kanton dasjenige im hochschwelligen Bereich. Das neue Schulgesetz (SchG) verpflichtet die Schulträgerschaften laut SchG Art. 46 bei der Umsetzung wie folgt:

Abs. 1: Die Umsetzung der nieder- und hochschwelligen sonderpädagogischen Massnahmen erfolgt bedürfnisorientiert in integrativen und separativen Schulungs- und Förderformen.
Abs. 2: Die Umsetzung erfolgt integrativ, soweit die Schulung und Förderung für die Schülerin oder den Schüler mit besonderem Förderbedarf in der Regelklasse vorteilhaft und für die Regelklasse tragbar sind.
Abs. 3: Andernfalls erfolgt die Umsetzung teilintegrativ als Gruppen- oder Einzelunterricht oder separativ in Abteilungen von Institutionen der Sonderschulung oder in Familien.

Art. 46 SchG ist mit Abs. 2 und 3 so gestaltet, dass die Schulträgerschaften verpflichtet werden, in erster Linie die sonderpädagogischen Massnahmen integrativ anzubieten. In der Praxis wird diese Vorgabe durch die Beratung des Amtes für Volksschule und Sport (AVS) auch mit Nachdruck gelebt. Der Erfolg dieser integrativen Schulungs- und Förderform ist aber höchst umstritten. Einigkeit über ein Funktionieren herrscht nur, wenn alle Gegebenheiten wie Zusammenarbeit der Lehrpersonen, Klassengrösse, Mehrklassenabteilungen, Anzahl der Kinder mit besonderen Bedürfnissen usw. optimal untereinander abgestimmt sind. Ob die Integration auch bei einem positiv verlaufenden Unterricht für die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf sowie für die übrigen Kinder der Regelklasse nachhaltiger als die bisherige Praxis ist, kann nicht nachgewiesen werden. Die bisher einzig klare Erkenntnis als Folge des integrativen Förderunterrichts ist die Kostenexplosion bei den meisten Schulträgerschaften.

In der Verordnung zum Schulgesetz wird zudem in Art. 46 präventiv ein sonderpädagogisches Angebot gefordert: „Zur Gewährleistung der niederschwelligen Massnahmen, insbesondere der Förderung der Prävention sind die Schulträgerschaften gehalten, auf Kindergarten- und Primarschulstufe pro Abteilung während mindestens zwei Unterrichtseinheiten pro Woche eine heilpädagogische Fachperson in der Klasse einzusetzen.“

Obwohl mit dem Wort „gehalten“ keine Verpflichtung einer integrativen Förderung als Prävention (IFP) für die Schulträgerschaften besteht, werden seitens des Schulinspektorates auch hier mit Nachdruck IFP-Lektionen gefordert. Das Vorgehen des Schulinspektorates wird im kantonalen Schulblatt (August 2016) durch drei Schulinspektorinnen wie folgt beschrieben: „Bietet eine Schule die IFP-Lektionen nicht an, wird die Schulführung aufgefordert, eine schriftliche Stellungnahme mit pädagogischer Begründung abzugeben. In unbegründeten Fällen erfolgt eine Aufsichtsmeldung ans Amt.“ Dadurch sehen sich schlussendlich alle Schulträgerschaften verpflichtet, bedarfsunabhängig IFP-Lektionen anzubieten. Das flächendeckende Angebot an IFP-Lektionen ist wiederum ein grosser Kostentreiber für viele Schulträgerschaften.

Schlussfolgerungen: In Artikel 48 Abs. 1 SchG wird die Zuständigkeit der sonderpädagogischen Massnahmen im niederschwelligen Bereich richtigerweise den Schulträgerschaften zugeordnet. Diese Zuständigkeit soll daher auch konsequent, den lokalen Bedürfnissen entsprechend, umgesetzt werden können. Davon profitieren alle Kinder, die Lehrerschaft und die Schulträgerschaften mit gezielterem Einsatz der vorhandenen Mittel.

Die Unterzeichnenden fordern deshalb die Regierung auf:

1. Das Schulgesetz dahingehend anzupassen, dass die im Schulgesetz verankerten Schulungs- und Förderformen der sonderpädagogischen Massnahmen gleichwertig integrativ, teilintegrativ und separativ möglich sind. Zu diesem Zwecke ist Art. 46 SchG Absatz 1 folgendermassen zu formulieren: Die Umsetzung der nieder- und hochschwelligen sonderpädagogischen Massnahmen erfolgt in integrativen, teilintegrativen und separativen Schulungs- und Förderformen. Absatz 2 und 3 sind ersatzlos zu streichen.

2. Den präventiven Förderunterricht in die Kompetenz der Schulträgerschaften zu übergeben. Daher ist in der Verordnung zum Schulgesetz Artikel 46 ersatzlos zu streichen.

Chur, 7. Dezember 2016

Michael (Donat), Casanova-Maron (Domat/Ems), Cavegn, Alig, Bleiker, Buchli-Mannhart, Burkhardt, Caduff, Casty, Clalüna, Claus, Danuser, Dudli, Felix (Haldenstein), Felix (Scuol), Giacomelli, Grass, Hardegger, Heinz, Hug, Jeker, Jenny, Joos, Kasper, Koch (Tamins), Kollegger, Komminoth-Elmer, Kunfermann, Kunz (Chur), Kuoni, Lamprecht, Mani-Heldstab, Mathis, Michael (Castasegna), Müller, Nay, Niggli (Samedan), Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Salis, Schutz, Stiffler (Davos Platz), Stiffler (Chur), Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Toutsch, Troncana-Sauer, Vetsch (Klosters Dorf), Weber, Weidmann, Widmer-Spreiter, Wieland, Erhard, Pfister, Wellig

Antwort der Regierung

Die gesetzliche Regelung der Sonderschulung im Kanton Graubünden ist Folge der Vorgaben auf Bundesebene. In Art. 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) wird die Gleichberechtigung aller Menschen vor dem Gesetz explizit festgeschrieben. Alle Kinder und Jugendlichen sollen sich „nach ihren Fähigkeiten bilden, aus- und weiterbilden können“ (Art. 41 Abs. 1 lit. f). Die Bundesverfassung schreibt zudem den Kantonen vor, für eine „ausreichende Sonderschulung aller behinderter Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr“ (Art. 62 Abs. 3) zu sorgen. Mit dem Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2002 (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3) werden die Kantone verpflichtet, für eine den besonderen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen angepasste Grundschulung zu sorgen. Sie sollen „soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule“ fördern (Art. 20 Abs. 2). Darauf wurde in der Botschaft zur Totalrevision des Gesetzes für die Volksschulen des Kantons Graubünden (Heft Nr. 6 / 2011 – 2012) auf Seite 708 hingewiesen. In der Zwischenzeit ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (UNO-Behindertenkonvention; SR 0.109) am 15. Mai 2014 auch in der Schweiz in Kraft getreten. Die Konvention enthält vor allem in Art. 24 zur Bildung klare Aussagen zur schulischen Integration: Die Vertragsstaaten haben ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ zu gewährleisten. Auch das Bundesgericht kommt in BGE 138 I 162 zum Schluss, dass ein grundsätzlicher Vorrang der integrierten gegenüber der separierten Sonderschulung besteht.

Vor diesem Hintergrund ist die geltende Bündner Regelung als bundesgesetzeskonform anzusehen. Mit der im Auftrag vorgeschlagenen Änderung würde die Wiedereinführung der Kleinklassen und damit eine separative Schulungsform ermöglicht, was übergeordnetem Recht widerspräche. Zudem ist davon auszugehen, dass nur grössere Schulträgerschaften ein entsprechendes Angebot schaffen könnten, da für die Führung einer Kleinklasse eine bestimmte Anzahl Lernender notwendig ist. Dies wiederum könnte beim Übertritt in die Oberstufe dazu führen, dass in gewissen Schulträgerschaften Schülerinnen und Schüler, welche bisher die Regelschule integrativ besuchten, in eine separative Kleinklasse wechseln würden. Erfahrungen aus früheren Jahren zeigten, dass für derartige Situationen vor allem von Seiten der betroffenen Familien kaum Verständnis aufgebracht wurde. Der geltende Art. 46 Abs. 2 des Gesetzes für die Volksschulen des Kantons Graubünden vom 21. März 2012 (Schulgesetz; BR 421.000) stellt zudem sicher, dass eine integrative Schulung nur soweit erfolgen muss, soweit es für die Schülerin oder den Schüler mit besonderem Förderbedarf vorteilhaft und für die Regelklasse tragbar ist.

Art. 46 der Verordnung zum Schulgesetz vom 25. September 2012 (Schulverordnung; BR 421.010) stellt eine Präzisierung zur Umsetzung der integrativen Schulungs- und Förderform im niederschwelligen Bereich dar. Die Schulträgerschaften, welche die sonderpädagogischen Massnahmen im niederschwelligen Bereich sicherzustellen haben, sind gehalten (und nicht verpflichtet), in jeder Abteilung auf Kindergarten- und Primarstufe ein Minimum von zwei Unterrichtseinheiten pro Woche als ausschliesslich integrative Schulung und Förderung im Unterricht mit der ganzen Abteilung durch eine heilpädagogische Fachperson bereitzustellen. Damit soll insbesondere integrative Förderung als Prävention gewährleistet werden. Über dieses Gefäss sollte es der heilpädagogischen Fachperson im Regelklassenunterricht möglich sein, der Entstehung von besonderem Förderbedarf vorzubeugen oder in den Anfängen befindliche Förderbedürfnisse von Kindern mit Teilleistungsschwächen oder mit besonderen Begabungen unmittelbar aufzufangen.

Die integrative Förderung als Prävention kommt allerdings auch der Klasse als Ganzes zugute, weshalb von Synergieeffekten mit dem Unterricht der Abteilung auszugehen ist. Die Verantwortlichen in den Schulträgerschaften kennen die Verhältnisse vor Ort am besten. Aufgrund von Faktoren wie Klassengrösse, Zusammensetzung der Klasse usw. können sie für jede Klasse die individuell richtige Lösung bestimmen. Die integrative Förderung als Prävention liegt damit bereits heute in der Kompetenz der Schulträgerschaft.

Die Regierung beantragt, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.

09. März 2017