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Session: 15.02.2023

Mit Schreiben vom 6. Januar 2023 haben das Amt für Natur und Umwelt (ANU) und das Amt für Raumentwicklung (ARE) die Bündner Gemeinden darüber informiert, dass auf ihrem Territorium Trockenwiesen und -weiden (TWW) von nationaler Bedeutung im nationalen Biotopinventar verzeichnet sind. Das TWW-Inventar wurde vom Bundesrat im Jahr 2021 aktualisiert. Sollen auf TWW Vorhaben realisiert werden, wie z. B. Leitungen oder Bergbahnanlagen, entstehen Konflikte mit den Schutzbestimmungen der Verordnung über den Schutz der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung (TwwV; SR 451.37). Die TwwV sieht vor, dass Vorhaben, welche nicht im nationalen Interesse liegen, nur umgesetzt werden können, wenn ein sogenanntes Vorranggebiet vorliegt. Die bisherige Praxis von ANU und ARE, wonach solche Vorhaben mit einem einfachen Instrument abzuwickeln waren, das Eingriff und Ersatzleistung bewertete, sind aufgrund der neueren Gerichtspraxis nicht mehr zulässig. Dies hat zur Folge, dass die Bewilligung von Vorhaben in TWW-Gebieten grosse zeitliche Verzögerungen erfahren, wenn keine Vorranggebiete ausgeschieden wurden. Vorranggebiete müssen in einer ersten Phase durch fachliche Grundlagen erarbeitet werden und mit den Betroffenen und dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) bereinigt und in der zweiten Phase in der Nutzungsplanung festgelegt werden. Das ANU und das ARE schliessen das vorgenannte Schreiben mit folgender Empfehlung: «Um zu verhindern, dass künftige Vorhaben in Ihrer Gemeinde aufgrund von Konflikten mit nationalen TWW-Gebieten unnötig verzögert werden, empfehlen wir Ihnen deshalb dringend, den Bedarf für die Umsetzung des TWW-Inventars über das Instrument des Vorranggebiets in Ihrer Gemeinde zu prüfen und Vorranggebiete gemäss der TwwV in der kommunalen Nutzungsplanung vorsorglich festzulegen.»

Die Gemeinden sehen sich damit mit neuen Aufgaben konfrontiert, wonach zuerst Vorranggebiete gesucht, gefunden und festgelegt werden müssen. Die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer sind ebenfalls zu begrüssen und davon zu überzeugen. Sodann muss das Ganze in die Ortsplanung der Gemeinde überführt werden.

Die Unterzeichnenden gelangen deshalb mit folgenden Fragen an die Regierung:

  1. Teilt die Regierung die Ansicht, dass diese Aufgabe die Gemeinden und betroffenen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer vor grosse Herausforderungen stellt?
  2. Wie hoch schätzt die Regierung den Aufwand für die Erarbeitung der fachlichen Grundlagen und die Bereinigung mit den Betroffenen (erste Phase)?
  3. Werden die Gemeinden für ihren Mehraufwand und die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer für allfällige mit der Festlegung einhergehende öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen entschädigt?
  4. Wie kann aus Sicht der Regierung verhindert werden, dass «über die Köpfe der Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer» entschieden wird?
  5. Ist die Regierung bereit, sich dafür einzusetzen, dass eine Teilrevision der TwwV angestrebt wird, um die Festlegung von Vorranggebieten sowie erneute, unnötige Planungsprozesse, welche die Ortsplanung der Gemeinden zusätzlich belasten, zu vermeiden?

Chur, 15. Februar 2023

Crameri, Roffler, Loi, Altmann, Beeli, Berther, Berweger, Binkert, Brandenburger, Brunold, Butzerin, Casutt, Censi, Collenberg, Della Cà, Derungs, Donatsch, Dürler, Epp, Föhn, Furger, Gansner, Hartmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Jochum, Kienz, Kohler, Laim, Lamprecht, Loepfe, Luzio, Maissen, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Righetti, Saratz Cazin, Sax, Schutz, Sgier, Spagnolatti, Städler, Tanner, Thür-Suter, Tomaschett, Ulber, von Tscharner, Weber, Wieland

Antwort der Regierung

Der Bund hat seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) am 1. Januar 1967 ausgiebig von seinem Recht Gebrauch gemacht, Schutzbestimmungen im Bereich Naturschutz zu erlassen. Diese Bestimmungen sind auch als eine Reaktion auf die negative Entwicklung der Biodiversität zu verstehen. Eines der Instrumente, mit denen der Bund die Erhaltung der einheimischen Biodiversität anstrebt, sind die Bundesinventare. Der Bundesrat hat die Kompetenz, Biotope von nationaler Bedeutung zu bezeichnen und ihre Lage zu bestimmen. Den Kantonen kommt dann die Aufgabe zu, für deren Schutz und Unterhalt zu sorgen. Allerdings lässt der Bund den Kantonen bei dieser Aufgabe nicht einfach freien Lauf, sondern hat die Vollzugsaufgaben in fünf Verordnungen (je eine pro Lebensraumtyp) und Vollzugshilfen konkretisiert. In den fünf Biotopschutzverordnungen sind insbesondere auch die Schutzziele, mehr oder weniger gleichlautend, festgelegt: Die Objekte sind ungeschmälert zu erhalten. Lediglich die Verordnung über den Schutz der Auengebiete von nationaler Bedeutung (Auenverordnung; SR 451.31) und die Verordnung über den Schutz der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung (Trockenwiesenverordnung, TwwV; SR 451.37) lassen in Art. 4 Abs. 2 resp. Art. 7 Abweichungen vom Schutzziel zu und ermöglichen so einen wenn auch nur begrenzten Spielraum für Güterabwägungen, nämlich für standortgebundene Vorhaben, die einem überwiegenden öffentlichen Interesse von ebenfalls nationaler Bedeutung dienen. Lediglich die TwwV enthält eine noch weitergehende Ausnahmebestimmung, die es den Kantonen erlaubt, Abweichungen vom Schutzziel für standortgebundene Vorhaben, die kein nationales Interesse darstellen, zu bewilligen, unter der Voraussetzung, dass Eingriff und Ersatz in einem sogenannten TWW-Vorranggebiet liegen.

Zu Frage 1: Ja, die Regierung teilt die Meinung in Bezug auf verfahrensmässige Herausforderungen für effektiv betroffene Gemeinden. Die Ausscheidung von TWW-Vor­ranggebieten dürfte nur für eine Minderheit der Bündner Gemeinden in Frage kommen, bei denen Nutzungskonflikte bestehen oder die sich klar abzeichnen. Die Herausforderungen liegen in der Früherkennung des Bedarfs für ein Vorranggebiet und darin, ob aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten ein Vorranggebiet bezeichnet werden kann, das den Anforderungen des Bundesamts für Umwelt genügt.

Zu Frage 2: Es liegen noch keine Erfahrungswerte für den Aufwand zur Bezeichnung eines Vorranggebiets vor. Der finanzielle Aufwand hängt von der Datenlage und der Grösse des Gebiets ab und dürfte für die meisten betroffenen Gemeinden im Bereich von wenigen 10 000 Franken liegen. Das Amt für Natur und Umwelt rechnet mit einem Zeitbedarf von mindestens einem Jahr für die Konzepterarbeitungsphase und mindestens einem Jahr für die Umsetzung in der Nutzungsplanung.

Zu Frage 3: Für die Erarbeitung der ökologischen Grundlagen für ein Vorranggebietskonzept kann der Kanton den Gemeinden NHG-Beiträge zusichern, deren Höhe sich nach der ökologischen Wirksamkeit der Massnahmen richten muss. Für Grundeigentümer und Grundeigentümerinnen besteht kein unmittelbarer Entschädigungsanspruch. Wird eine Fläche ökologisch aufgewertet und führt dies zu einer Verminderung des Landwerts, kann der Minderwert jedoch entschädigt werden. Für die angepasste Pflege von Biotopflächen und Strukturen innerhalb eines TWW-Vorranggebiets erfolgt die Abgeltung basierend auf Bewirtschaftungsverträgen.

Zu Frage 4: Die Bezeichnung von Vorranggebieten erfolgt in der Nutzungsplanung. Dieses Verfahren bietet breite Mitwirkungsmöglichkeiten und vollen Rechtsschutz. Für Aufwertungen ist, wie für jede andere Zustandsveränderung auch, die Zustimmung des Grundeigentümers oder der Grundeigentümerin zwingend.

Zu Frage 5: Die Regierung hat sich verschiedentlich, aber bisher leider erfolglos, dafür eingesetzt, dass der Bund die rechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, dass bei kleineren Eingriffen in TWW-Objekte, bei denen das Objekt in seinem Bestand nicht wesentlich geschmälert würde, das Ziel, die TWW quantitativ und qualitativ zu erhalten, mittels Anordnung von Realersatz im Bewilligungsverfahren gewährleistet werden könnte. Sie wird sich beim Bund auch weiterhin für Verfahrensvereinfachungen in dieser Richtung einsetzen. 

19. April 2023