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Session: 15.06.2023

Graubünden verfügt über zu wenig Wohnraum. In Zentren, touristischen Destinationen, aber immer mehr auch im ländlichen Gebiet fehlen immer mehr Wohnungen. Die Nachfrage ist ungebremst, während das Angebot stagniert. Dies ist einerseits auf die Auswirkungen des Zweitwohnungsgesetzes des Bundes (ZWG; SR 702) als auch andererseits auf das Raumplanungsgesetz des Bundes (RPG; SR 700) zurückzuführen. Während das ZWG den Bau neuer Zweitwohnungen verbietet und damit den Druck auf die altrechtlichen, frei nutzbaren Wohnungen erhöht (Art. 10 und Art. 11 Abs. 1 ZWG), verlangt das RPG, dass überdimensionierte Bauzonen reduziert werden (Art. 15 Abs. 2 RPG). Hinzu kommt, dass die Anforderungen an die Raumplanung stetig steigen, indem immer mehr Sachpläne, Konzepte und Inventare zu berücksichtigen sind. Der „Dschungel“ an Vorschriften ist kaum mehr überblickbar und macht die Raumplanung zur echten Herausforderung für Gemeinden, Grundeigentümerinnen und -eigentümer, Planungsbüros und den Kanton. Dies ist nicht zuletzt auf die Bundesgesetzgebung zurückzuführen, obwohl der Bund einzig und allein über eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz verfügt. Art. 75 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV; SR 101) legt fest, dass der Bund die Grundsätze der Raumplanung festlegt und die Raumplanung den Kantonen obliegt und dazu dient, eine zweckmässige und haushälterische Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes sicherzustellen. Diese Grundsatzgesetzgebungskompetenz wird vom Bund deutlich zu weit ausgelegt. So nimmt der Bund etwa immer mehr Einfluss auf die kantonale Raumplanung, indem er immer mehr inhaltliche Vorgaben etwa im Bereich des Richtplanes aufstellt (vgl. Art. 8a RPG, wonach die Kantone von Bundesrechts wegen [!] festzulegen haben, wie gross die Siedlungsfläche sein soll, wie sie im Kanton verteilt wird und wie ihre Erweiterung regional abgestimmt wird) oder bereits auf gesetzlicher Ebene hohe Anforderungen an die Bauzonen stellt (Art. 15 RPG, wobei die Detailausführungen in einer zu hohen Regelungsdichte in der Raumplanungsverordnung [RPV; SR 700.1] erfolgen). Hinzu kommt, dass dem Bund in verschiedenen Verordnungsbestimmungen ein Beschwerderecht gegen kantonal ergangene Entscheide eingeräumt wird, was immer wieder zu Rechtsmittelverfahren des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) mit erheblichen Auswirkungen für die Kantone führt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_62/2018 vom 12. Dezember 2018 zu den Erhaltungszonen). Diesen Tendenzen muss Einhalt geboten werden: Der Bund muss sich wieder auf die Grundsatzgesetzgebungskompetenz beschränken und diese muss den unterschiedlichen Anliegen und Herausforderungen in den Kantonen Rechnung tragen.

Die Unterzeichnenden beauftragen deshalb die Regierung, eine Standesinitiative beim Bund einzureichen, die verlangt:

  1. Die Bundesverfassung ist zu respektieren. Der Bund konzentriert sich im Bereich der Raumplanung auf eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz. Er sieht von inhaltlichen Vorgaben an die Kantone ab. Den Kantonen ist der grösstmögliche Handlungsspielraum im Bereich der Raumplanung zu belassen.
  2. Der Bund belässt den Kantonen grösstmöglichen Handlungsspielraum im Bereich des Bauens ausserhalb der Bauzone, wie die Ausgestaltung der Besitzstandsgarantie altrechtlicher Wohnbauten im Sinne von Art. 24c RPG (u. a. Maiensässbauten). Im Sinne der Verfassung beschränkt sich der Bund darauf, zu regeln, dass Erneuerungen, teilweise Änderungen, massvolle Erweiterungen sowie der Wiederaufbau bei Wahrung der Identität und unter Einhaltung der Ziele und Grundsätze der Raumplanung (Art. 1 und 3 RPG) zulässig sind. Den Kantonen obliegt es dann, die Einzelheiten wie etwa die Wahrung der Identität näher zu regeln. Bei gewerblichen Bauten muss sichergestellt (Art. 37a RPG) werden, dass ein Abbruch und Wiederaufbau inkl. Standortverschiebung sowie eine massvolle Erweiterung der zonenwidrig genutzten Fläche (über 100 m2 hinaus!) bis 30 % möglich sind.
  3. Der Bund lässt den Kantonen im Bereich der Richtpläne grösstmöglichen Handlungsspielraum und macht keine inhaltlichen Vorgaben zum Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden, was etwa eine Revision von Art. 8a Abs. 1 lit. a RPG verlangt, wonach im Richtplan Siedlung festgelegt werden muss, wie gross die Siedlungsfläche insgesamt sein soll, wie sie sich im Kanton verteilt und wie ihre Erweiterung regional abgestimmt wird.
  4. Der Bund belässt den Kantonen bei der Ausscheidung und Dimensionierung der Bauzonen grösstmöglichen Handlungsspielraum, was etwa eine Revision der Ausführungsbestimmungen in der RPV zum voraussichtlichen Bedarf der Bauzonen (Art. 15 Abs. 1 RPV) und zur Reduktion überdimensionierter Bauzonen (Art. 15 Abs. 2 RPV) bedarf.
  5. Der Bund verzichtet auf die Erhebung von Rechtsmitteln gegen kantonal ergangene Entscheide, was etwa die Aufhebung von Art. 48 Abs. 4 RPV und Art. 10 der Zweitwohnungsverordnung (ZWV; BR 702.1) bedarf.

Die Regierung wird überdies beauftragt, sich in allen Organisationen, Gremien und politischen Entscheidungsbehörden dafür einzusetzen, dass die vorgenannten Punkte durch den Bund erfüllt werden.

Klosters, 15. Juni 2023

Crameri, Maissen, Derungs, Beeli, Berther, Bettinaglio, Binkert, Brunold, Collenberg, Danuser (Cazis), Epp, Föhn, Furger, Gansner, Heini, Kohler, Lamprecht, Loepfe, Mani, Messmer-Blumer, Michael Beni (Donat), Righetti, Sax, Spagnolatti, Tanner, Tomaschett, Ulber, Widmer, Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart)

Antwort der Regierung

 

Bei der Vergrösserung der raumplanerischen Handlungsspielräume des Kantons und der Gemeinden gegenüber den Vorgaben des Bundes handelt es sich um eine Grundsatzforderung, die insbesondere im Rahmen der ersten Etappe der Revision des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG1) wiederholt gestellt wurde. Die Regierung teilt die Auffassung, dass die zunehmende Regelungsdichte des Bundesrechts zu einer Schmälerung der kantonalen und kommunalen Handlungsspielräume geführt hat. War die Raumplanung in Graubünden traditionell von einer hohen Gemeindeautonomie geprägt, hat seit RPG1 eine spürbare Kompetenzverschiebung in Richtung Kanton und insbesondere Bund stattgefunden. Letztlich entspricht das geltende Recht aber dem ausdrücklichen Willen des Bundesgesetzgebers. Dass dieser von der Kompetenzordnung wieder abweichen würde, ist stark zu bezweifeln.

Zu Punkt 1 und 2: Gemäss eines vom Bund im Jahr 2017 eingeholten Rechtsgutachtens halten sich die Regelungen des geltenden Raumplanungsrechts an die Schranken der Grundsatzgesetzgebungskompetenz und somit an die Bundesverfassung. Einzig die Normen betreffend das Bauen ausserhalb der Bauzonen (BAB) würden teilweise über eine Grundsatzgesetzgebung hinausgehen. Das betrifft jedoch nicht die Besitzstandsgarantie gemäss Art. 24c des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG; SR 700). Im Übrigen erscheinen Anpassungsbegehren von BAB-Regelungen ausserhalb des derzeit laufenden RPG2-Gesetz­gebungs­ver­fah­rens in den nächsten Jahren aussichtslos. Schliesslich wurde der Standesinitiative aus dem Jahr 2016 (curia vista 16.308), auch Art. 24c RPG betreffend, keine Folge geleistet. Einem Begehren oder Vorschlag, inwieweit das RPG zugunsten von mehr Handlungsspielräumen für die Kantone anzupassen wäre, sollte jedoch offen gegenübergetreten werden.

Zu Punkt 3: Gemäss der Konzeption von RPG1 kommt dem kantonalen Richtplan im Bereich Siedlung (KRIP-S) als strategisches Instrument zur Steuerung der Raum- und Siedlungsentwicklung eine grosse Bedeutung zu. Art. 8a RPG definiert folglich einen bundesrechtlichen Mindestinhalt des KRIP-S. Zur Grösse und Verteilung der Siedlungsfläche sowie zur regionalen Abstimmung bei deren Erweiterung werden zwar Festlegungen des Kantons verlangt, aber ohne eine institutionelle Ebene wie die Gemeinde anzusprechen. Das Bundesrecht kann den Kantonen überdies zu den im Einzelnen zu treffenden Massnahmen keine Vorgaben machen. Insofern wird das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden nicht unmittelbar tangiert.

Zu Punkt 4: Wenngleich es sich bei der Dimensionierung der Bauzonen um das politische Kernstück von RPG1 handelt, ist der Grundsatz, dass Bauzonen einem Bedarf von 15 Jahren entsprechen müssen bereits seit 1980 geltendes Recht (Art. 15 RPG). Die Ausführungsbestimmungen zur Bauzonendimensionierung beschränken sich auf Vorgaben zum Richtplan (Art. 5a der Raumplanungsverordnung, RPV; SR 700.1) beziehungsweise auf die Gesamtgrösse der Bauzonen im Kanton (Art. 30a RPV). Während eine Revision von Art. 15 RPG illusorisch erscheint, wäre eine Anpassung der Ausführungsbestimmungen eher im Bereich des Möglichen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Mittellandkantone davon kaum betroffen sind.

Zu Punkt 5: Der Bundeskanzlei und den Departementen kommt im Rahmen ihres Aufgabenbereichs gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. a Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) eine generelle Beschwerdebefugnis zu. Die unterstellten Dienststellen, sprich Bundesämter, sind nur legitimiert, wenn das Bundesrecht, auch auf dem Verordnungsweg, dies vorsieht. Das Beschwerderecht hat die Funktion eines Aufsichtsmittels und dient dazu, den Vollzug des Bundesverwaltungsrechts in den Kantonen und in der Bundesverwaltung zu überwachen (vgl. BGE 135 II 338). Dem Begehren auf Entzug der Beschwerdebefugnis in den im Auftrag erwähnten Bereichen kann keine Aussicht auf Erfolg beschieden werden (Punkt 5).

Im Lichte dessen sieht die Regierung für eine Standesinitiative gemäss Auftrag keine Erfolgschancen. Auch wenn einige Anliegen aus ihrer Sicht berechtigt erscheinen, ist die Einreichung im Gesamten nicht zielführend. Das Ergebnis der oben erwähnten Standesinitiative aus dem Jahr 2016 hat dies nur zu eindrücklich aufgezeigt. Die Regierung ist jedoch bereit, die Punkte 1 und 4 in Form einer Standesinitiative bei der Bundesversammlung einzureichen.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag betreffend die Punkte 1 und 4 zu überweisen und betreffend die Punkte 2, 3 und 5 abzulehnen.

29. August 2023