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- Obersaxen-Meierhof, Aufnahme um 1900. Postkarte, Archiv DPG

 

 

"Der Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Erinnerung. Sie stützt sich wesentlich auf Orte und Objekte."

Leitsätze zur Denkmalpflege in der Schweiz, 2007

 

 

Der Erinnerungswert materieller Zeugnisse
Aus unterschiedlichsten Gründen haben Menschen seit jeher bestimmten materiellen Zeugnissen ihrer Vergangenheit besonderen Wert zugemessen. Die Beweggründe für deren Erhalt und Pflege reichen von der dauerhaften Benutzbarkeit, von einem besonderen materiellen oder künstlerischen Wert, von der Fortsetzung einer Tradition bis hin zu einem symbolträchtigen persönlichen oder gemeinschaftlichen, religiösen oder politischen Gehalt solcher Objekte.

Die Wegbereiter der Denkmalpflege Graubünden im 19. Jahrhundert
Die Geschichte der wissenschaftlichen Denkmalpflege und Archäologie in Graubünden beginnt mit dem preussischen Kunstgelehrten Freiherr Ferdinand von Quast im Jahr 1851. Er entdeckte auf der Durchreise nach Italien die Baureste der abgegangenen Kirche St. Stephan in Chur. Quast publizierte kurz darauf seine Beobachtungen und setzte sich dafür ein, dass sorgfältige Ausgrabungen durchgeführt und der spätantike Mosaikboden der Kirche geborgen werden konnten.

Die Inventarisierung der Kunst- und Kulturdenkmäler im Kanton Graubünden nimmt durch den Zürcher Forscher Arnold Nüscheler ihren Anfang. 1864 publizierte er als erstes Heft seiner Reihe zu den Gotteshäusern der Schweiz Das Bistum Chur. Johann Rudolf Rahn (1841–1912), der berühmte Vater der Schweizerischen Kunstgeschichte, verfasste 1872 die erste wissenschaftliche Monographie über ein Kunstdenkmal in Graubünden, die Deckenmalereien von St. Martin in Zillis. Die Publikationen Rahns prägten die Bündner Kunstgeschichtsforschung bis ins frühe 20. Jahrhundert.

1880 beginnt mit der Gründung des Vereins zur Erhaltung vaterländischer Kunstdenkmäler – kurz darauf umbenannt in Schweizerische Gesellschaft zur Erhaltung historischer Kunstdenkmäler – die Denkmalpflege auf eidgenössischer Ebene. Die Ziele der Gesellschaft umfassten den Erwerb von Kunstwerken und Altertümern sowie die Restaurierung von vom Zerfall bedrohten historischen Kunstdenkmälern. So wurde beispielsweise 1882 von dieser Gesellschaft ein Beitrag an die Erhaltung der Kapelle St. Georg in Rhäzüns mit ihren mittelalterlichen Wandmalereien gesprochen.

Erforschung und Inventarisierung der Bündner Baukultur im 20. Jahrhundert
Die bedeutendste Restaurierung im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts war jene der Kathedrale Chur unter der Leitung des Architekten Walther Sulser und des späteren Bischofs Christian Caminada. Dabei wurden auch teilweise archäologische Untersuchungen durchgeführt.

Der deutsche Jurist Erwin Poeschel (1884–1965) war der erste, der über längere Zeit mit der kunsthistorischen Forschung und Inventarisierung in Graubünden betraut wurde. Mit seinen Werken erfolgte die bis heute umfassendste kunsthistorische Gesamtschau der Bündner Kunstdenkmäler: Von 1923–1925 erschienen die drei Bündner Bände in der Reihe Das Bürgerhaus in der Schweiz, 1929 Das Burgenbuch von Graubünden und 1937–1948 die sieben Bündner Bände der Reihe Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Erwin Poeschel war zusammen mit Walther Sulser auf allen wichtigen Restaurierungs- und Grabungsplätzen zugegen. Zu Recht können die beiden als die ersten Bündner Denkmalpfleger bezeichnet werden, noch lange bevor 1960 die Aufgabe auf kantonaler Ebene im Amt für Denkmalpflege institutionalisiert wurde, und Alfred Wyss (1929–2016) als erster designierter Denkmalpfleger seine Arbeit aufnahm.

Nach der bisherigen Konzentration auf sakrale, herrschaftliche und staatliche Bauwerke legte der auf dem Gebiet der Volkskunde forschende Christoph Simonett (1906–1981) den Fokus auf ländliche, namenlose Profanbauten. Seine Aufnahmen publizierte er in zwei Bänden unter dem Titel Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden (1965 und 1968). Fortsetzung fand diese Forschung durch die Denkmalpflege Graubünden, namentlich durch Diego Giovanoli, mit mehreren Arbeiten zu Bauten der Maiensäss- und Alpwirtschaft. Eine Methode zur Siedlungsinventarisierung wurde von Alfred Wyss und Peter Zumthor anhand von Vrin und Castasegna erarbeitet (beispielhaft publiziert unter dem Titel Siedlungs-Inventarisation Graubünden. Castasegna, 1981). Damit und mit der bundesweiten Inventarisierung der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), die in den 1970er Jahren in Graubünden ihren Anfang nahm, wurden die Grundlagen für die Erforschung des Hauptanteils unseres baukulturellen Erbes geschaffen.


Erweiterte Aufgabenbereiche der Denkmalpflege

Schliesslich rücken seit den 1980er Jahren immer stärker auch jüngere Bautypologien in den Fokus der Denkmalpflege. Es sind die spezifischen Bauwerke der Bildung, des Tourismus, der Industrie und des Verkehrs, die unsere gebaute Umgebung, aber auch die Landschaft entscheidend mitprägen. Die Aufarbeitung der Epochen ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt mit den Arbeiten des Inventars der neueren Schweizer Architektur (INSA) zu Chur und Davos, der Forschung von Leza (Luzi) Dosch zu den Bauten der Rhätischen Bahn und Construir, Bauen, Costruire von Robert Obrist, Silva Semadeni und Diego Giovanoli. Hinzugekommen sind die Beiträge von Isabel Rucki (Das Hotel in den Alpen, 1989), von Conradin Clavuot und Jürg Ragettli (Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden, 1991) und, im Rahmen einer Ausstellung Arosa. Die Moderne in den Bergen, 2008 herausgegeben von Marcel Just, Christoph Kübler, Matthias Noell und Renzo Semadeni. Eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Denkmalpflege bildet auch das Bautenverzeichnis 1800–1970 (2005), das Leza Dosch im Auftrag der Denkmalpflege zu Beginn des neuen Jahrtausends erarbeitete. Von 1995 bis 2010 publizierten der Archäologische Dienst und die Denkmalpflege Graubünden einen gemeinsamen Jahresbericht mit ihren wichtigsten Forschungs- und Restaurierungsberichten.

Wie die Hochbauten spiegeln auch Verkehrswege die gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen wider. Der Bund hat die Bedeutung dieser besonderen Zeitzeugen früh erkannt und ebenfalls ab den 1980er Jahren gesamtschweizerisch erforschen und kartieren lassen. Die Ergebnisse sind im Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS) zusammengefasst.

 


Kantonale Denkmalpfleger seit 1960

  • 1960–1978 Alfred Wyss († 2016)
  • 1978–2008 Hans Rutishauser
  • 2008–2012 Marcus Casutt
  • 2012–2014 Giovanni F. Menghini
  • Seit 2014 Simon Berger