Die romanisch- und italienischsprachigen Schülerinnen und Schüler unseres Kantons waren die
ersten in der Schweiz, die die Möglichkeit hatten, während ihrer Primarschulzeit ein Zweitsprache
zu erlernen; die deutschsprachigen Kinder hingegen sind die einzigen, denen der
Zweitsprachunterricht zur Zeit noch vorenthalten wird. Dieser Benachteiligung muss so bald als
möglich begegnet werden.
In ihrem Kernpunkt verfolgt die Teilrevision unseres Schulgesetzes genau dieses Ziel. Alle
Schülerinnen und Schüler der deutschsprachigen Grundschulen sollen von der vierten Klasse an
die Begegnungssprache Italienisch erlernen.
Zugegeben, der Entscheid des Grossen Rates für Italienisch mag aus sprach- und
kulturpolitischen Gründen so eindeutig ausgefallen sein; nimmt man aber den Begriff Begegnung in
seiner doppelten Bedeutung ernst, so kann man zu gar keinem anderen Schluss kommen.
Es geht einerseits um eine erste Begegnung mit einer Zweit- oder Fremdsprache. Italienisch liegt
dem Bündner und der Bündnerin seit jeher nahe; der Ersteinstieg in eine Fremdsprache wird
dadurch erleichtert. Andererseits wird die Begegnung mittels unserer Kantons- und
Landessprache Italienisch heute in unseren Schulen noch viel zu wenig genutzt. Diese Begegnung
mit unseren vielfältigen Sprachen und Kulturen öffnet den Blick und das Verständnis über die
engeren Grenzen hinaus nach Europa, in die weite Welt. Nutzen wir diese Chance!
Denken wir daran, dass Graubünden ein dreisprachiger Kanton ist; Italienisch ist eine der drei
anerkannten Kantonssprachen; auf nationaler Ebene ist es Landessprache. Für einen Teil der
Bündner Bevölkerung ist Italienisch die Sprache des Nachbarn. Zudem ist es eine "verwandte
Sprache" zum Romanischen. Wird Italienisch in den deutschsprachigen Primarschulen eingeführt,
darf als Nebeneffekt erwartet werden, dass dies die bedrohte romanische Sprache stützt.
Mit Italienisch oder Romanisch während der Primarschulzeit verbauen wir den Zugang zu
weiteren Fremdsprachen keineswegs, im Gegenteil, durch eine spielerische, lustbetonte
Begegnung werden Freude und Motivation geweckt, in der Volksschul-Oberstufe weitere
Sprachen - und dazu gehört zweifellos Englisch - unbelastet zu erlernen.
Die Teilrevision unseres Schulgesetztes fordert, dass in allen Primarschulen unseres ganzen
Kantons mindestens eine Kantonssprache als Zweitsprache angeboten werden muss. Wir
ermöglichen den deutschsprachigen Grundschulen bewusst verschiedene Varianten, die den
regionalen Bedürfnissen und namentlich auch jenen deutschsprachigen Gemeinden mit zusätzlichem
Romanischunterricht entgegenkommen.
Mit den weiteren Schwerpunkten der Gesetzesrevision - der Aufhebung der einschränkenden
Voraussetzungen bezüglich Fünftagewoche, der Aufgabenerweiterung der Medienkommission
durch den Informatikbereich, dem schlankeren Bewilligungsverfahren der Lehrbewilligungen -
sind wir überzeugt, Grundlagen zu schaffen, die in erster Linie jedem einzelnen Kind, aber auch
der Sache und schliesslich dem gegenseitigen Verständnis innerhalb unseres Kantons dienen. Mit
dieser Überzeugung, liebe Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, möchte ich Sie gerne anstecken.
Regierungsrat Joachim Caluori
Vorsteher des Erziehungs-, Kultur-
Umweltschutzdepartementes
Jahr: 1998