Nachanalyse zur Volksentscheidung "Kredit Ski-WM 2003 im Auftrag des Kantons Graubünden
Projektteam
Urs Bieri, Politikwissenschafter, Projektleiter PuS
Claude Longchamp, Politikwissenschafter, Leiter GfS-Forschungsinstitut, Bern
Die Vorlage "Kredit WM 2003", welche das Kantonsparlament klar gutgeheissen hatte, scheiterte in der Volksabstimmung überraschend. Das knappe Nein von 51 Prozent kann gemäss einer Nachanalyse des GfS-Forschungsinstituts nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden. Vielmehr kann man eine Mehrzahl von unterschiedlichen Gründen nachweisen, die gemeinsam zur Ablehnung geführt haben. Es mischten sich finanz- und regionalpolitische Überlegungen mit der Kritik an Grossprojekten als einseitige Förderung des Spitzensports, wie aber auch ökologische Motive mit Beweggründen, die unterschiedliche regionale Interessen artikulierten. Parteipolitisch konzentrierte sich die Ablehnung nicht alleine auf das links-grüne Lager, sondern erfasste auch Teile der Bürgerlichen, wobei insbesondere die SVP gespalten stimmte. Dies ergibt eine Repräsentativ-Befragung bei 1053 Stimmberechtigten nach der Abstimmung.
Die Analyse des Stimmverhaltens
Parteipolitisch zeigte sich eine überdurchschnittliche Unterstützung der Vorlage durch die AnhängerInnen der FDP und der CVP, während die SVP gespalten war und die SP-Basis mehrheitlich dagegen votierte. Auch parteipolitisch ungebundene Bürgerinnen und Bürger waren eher auf der Nein-Seite. Generell gilt, dass die Zustimmung abnimmt, je geringer der Einbezug einer Personen in die Politik ist. Gegen die Vorlage votierten auch Personen mit einem sehr tiefen Einkommen, während sich das Alter und das Geschlecht bezüglich der Stimmabgabe als nicht signifikant erweisen.
Hinzu kamen regionale Unterschiede, wie sie seit dem Abstimmungstag bekannt sind. Erwähnt seien vor allem die verstärkte Zustimmung im italienischen Landesteil.
Insgesamt kann man sehr unterschiedliche Nein-Lager links wie rechts in der politischen Landschaft ausmachen, die zusammen die Vorlage zu Fall gebracht haben.
Die individuellen Entscheidmotive
Überzeugendstes Motiv für die Zustimmung waren die erwarteten positiven Auswirkungen für den Tourismus. Ein ebenfalls gewichtiger Teil begründete seine Zustimmung mit wirtschaftlichem Nutzen. Ein kleinerer Teil sah im Ja positive Auswirkungen für den Sport als Ganzes.
Die Gegnerschaft erklärte ihren Stimmentscheid mehrheitlich mit der finanziellen Untragbarkeit des Projektes. Weiter berief sich ein wichtiger Teil der Ablehner auf grundsätzliche Schwächen des Projektes. Erst an dritter Stelle standen die umweltschützerischen Bedenken. Nur die Kombination der sehr unterschiedlichen Motivationen reichte, um die Vorlage zu kippen.
Stimmentscheidende Argumentationslinien
Verschiedene Auffassungen der Pro-Seite fanden zwar eine mehrheitliche Zustimmung, doch wurden sie von erheblichen Teilen der Gegnerschaft abgelehnt. Die Summierung der teilweise umstrittenen Punkte reichte, um die Vorlage zu Fall zu bringen.
Nein-Argumente zur WM 2003
argua9: "Wir haben einige Nein-Argumente zur WM 2003 zusammengestellt. Geben Sie bitte jeweils an, was Sie von diesen Ansichten halten. Sind Sie einverstanden oder nicht?"
Regierung erhält kein Geld: "Solange die Herren in der Regierung mit unseren Steuergelder sowieso machen, was sie wollen, erhalten sie auch kein Geld für die WM 2003."
Grossprojekte sind out: "Grossprojekte wie die WM 2003 sind out, die Expo in Deutschland und in der Schweiz beweisen das."
Wintersportorte voll Touristen: "Die Wintersportorte sind sowieso voll Touristen, zusätzlich Werbung durch eine WM ist unnütz."
Kein Geld für Breitensport: "Wenn man schon kein Geld für Breitensport hat, soll man sicher nicht in den privilegierten Spitzensport investieren."
Nein zum Sport generell: "Das Nein zur WM 2003 ist ein Nein zum Sport generell."
Oberengadiner selber bezahlen: "Die reichen Oberengadiner wollten die WM 2003, also sollen sie sie auch selber bezahlen."
Unbestritten war der Nutzen einer WM für den Tourismus. Eine absolute Mehrheit der Stimmenden unterstützte diese Argumentationslinie. Nach Abstimmungslager ergaben sich aber gegensätzliche Mehrheiten. Während Befragte mit einer Zustimmung den Werbeeffekt durchaus befürworteten, gingen die Nein-Stimmenden davon aus, dass ein solcher Werbeeffekt unnütz sei.
Das Argument, wonach die Oberengadiner, welche die WM wollten, sie auch selber bezahlen sollten, wurde von 66 % der Stimmenden verworfen. Personen mit negativem Stimmentscheid stimmen ihm aber zu 44 % zu. Der negative Stimmentscheid hatte durchaus mit unterschiedlichen Nutzen-Erwartungen in den Regionen zu tun.
Die Abstimmung war kein grundsätzliches Votum gegen den Sport. Rund vier Fünftel der Stimmenden bestritten einen solchen Zusammenhang. Diese Interpretation wurde als einzige sogar von BefürworterInnen wie GegnerInnen mehrheitlich abgelehnt. Nicht so klar war dagegen der Zusammenhang mit dem Spitzensport. Zwar bestritt eine Mehrheit das "spitzensportfeindliche Argument". Eine Mehrheit der Ablehnenden verstand aber ihr Nein durchaus als Veto gegen den Spitzensport.
Der Entscheid richtete sich auch nicht grundsätzlich gegen Grossprojekte. Ebenfalls eine Mehrheit ging davon aus, dass solche Projekte durchaus noch zeitgemäss sein können. Nicht weiter erstaunlich war aber die Polarisierung zwischen Ja- und Nein-Lager. Letztere hegten mehrheitlich Zweifel an Grossprojekten.
Auch der Umgang der Politiker mit Steuergelder oder pauschaler formuliert, das Image der Politik als Ganzes war nicht der ausschlaggebende Faktor für den Stimmentscheid. Eine Mehrheit widersprach dieser Argumentation. Erwartungsgemäss wurde diese Tendenz bei den Zustimmenden verstärkt wiedergegeben, während die Ablehnenden eher der regierungskritischen Argumentation folgen.
Vier Argumente erwiesen sich demgegenüber als eigentliche "match winner" in Bezug auf die Ablehnung der Vorlage.
Andere Nein-Argumente zur WM 2003
argua10: "Wir haben einige Nein-Argumente zur WM 2003 zusammengestellt. Geben Sie bitte jeweils an, was Sie von diesen Ansichten halten. Sind Sie einverstanden oder nicht?"
Persönlichkeiten: "Die Organisatoren haben es verpasst, Persönlichkeiten an die Spitze zu stellen, die das Vertrauen des Volkes geniessen.
Verkehrskollaps: "Die WM 2003 würde zum völligen Verkehrskollaps führen."
Staatshaushalt: "Bevor man Geld in eine WM steckt, muss man zuerst den Staatshaushalt in Ordnung bringen."
Schaden für Umwelt: "Die WM 2003 hätte zu grossen Schäden für die Umwelt geführt."
Ein gewichtiger Teil der Stimmenden ging davon aus, dass die WM 2003 zu Umweltschäden geführt hätte. Dementsprechend polarisiert waren die Meinungen auch zwischen den beiden Lager, wobei die Ablehner klar mehrheitlich von solchen Schäden ausgingen.
Ebenfalls ein grosser Teil der Stimmenden erkannte einen direkten Zusammenhang zwischen der Staatsverschuldung und der Finanzierung von Grossprojekten. Mit vergleichbarer Relevanz wie bei den Umweltfragen polarisierte auch dieses Argument zwischen den beiden Lagern.
Auch die Frage nach einem allfälligen Verkehrskollaps, bedingt durch die WM 2003, wurde durchaus entsprechend wahrgenommen. Die hohe Polarisierung in dieser Frage zeugte nicht zuletzt davon, dass auch der befürchtete Kollaps durchaus zur Ablehnung geführt hatte. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern bewegte sich im bekannten Umfeld.
Ein grosser Teil der Stimmenden ging davon aus, dass die Organisatoren es verpasst haben, Persönlichkeiten an die Spitze zu stellen, welche das Vertrauen des Volkes geniessen. Dieses Argument stiess auf die Zustimmung aus beiden Lager, unabhängig von ihrer stimmlichen Ausrichtung. Wir gehen daher davon aus, dass dies weniger als direkter Grund für eine Ablehnung anzusehen ist, sondern vielmehr als Manöverkritik an der Kampagne des WM-Komitees.
Konsequenzen für WM 2003
Interessanterweise geht eine Mehrheit von 51 Prozent der Stimmenden davon aus, dass die WM 2003 trotz des negativen Stimmentscheids an der Urne stattfinden wird, während nur 30 Prozent dies ausdrücklich verneinen. Diese Ansicht zeigt sich im übrigen verstärkt bei den Zustimmenden, während sich die Ablehnenden in dieser Frage hochpolarisiert zeigen. An der Urne wurde also von der graubündnerischen Bevölkerung keineswegs das Projekt WM 2003 als Ganzes abgelehnt, sondern nur die staatliche Finanzspritze hierzu.
Erste Bilanz
Offenbar polarisiert die Abstimmung zur WM 2003 auf verschiedene Arten: Einerseits zwischen links-grünem und bürgerlichem Lager, anderseits zwischen FDP, CVP und SVP, die sich gespalten verhielt. Das Nein hat den auch keine einheitliche Charakteristik. Es vereinigt finanz- und regionalpolitische Gründe, Kritik an Grossprojekten im Bereich des Spitzensports mit Bedenken zu ökologischen Auswirkungen. Nichts desto trotz geht eine Mehrheit der Befragten davon aus, dass die WM 2003 trotzdem stattfinden wird, wenn auch ohne finanzielle Unterstützung durch den Kanton.
Methodik
Die Befragung wurde vom GfS-Forschungsinstitut zwischen dem 3. und 17. November 2000 durchgeführt. Basis bildet die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger des Kantons Graubünden. Daraus wurde eine Zufallsauswahl von 1053 Personen über 18 Jahren ermittelt, die ein repräsentatives Abbild der Stimmberechtigten ergibt.
Die bekundeten Stimmabsichten wurden aufgrund der effektiven Ablehnung gewichtet, was den Aussagewert der Untersuchung als repräsentativem Abbild der Stimmenden erhöht. Der statistische Fehler bei der genannten Stichprobengrösse beträgt +/- 3,2%.
Vorliegende Berichterstattung basiert ausschliesslich aus Personen, welche am Urnengang teilgenommen haben.
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden
Funtauna: rg chanzlia chantunala dal Grischun
Fonte: it cancelleria di Stato dei Grigioni