In Graubünden ist Sprachenpolitik zu einem ganz entscheidenden Teil
auch Politik zur Erhaltung der rätoromanischen Sprache. Die kantonale
Volksabstimmung vom 10. Juni über die Teilrevision des Gesetzes über
die Ausübung der politischen Rechte, wo es um die Revision des Artikels
23 geht, steht ganz in dieser urbündnerischen Tradition.
Obwohl in den anzunehmenden revidierten Gesetzen die genaue
Bezeichnung "Rumantsch grischun" fehlt, kann ich allen versichern, dass
mit "romanischer Sprache", so der Wortlaut im Gesetz, die romanische
Standardsprache "Rumantsch grischun" und nichts anderes gemeint ist. Der
Grosse Rat hat mit 93:0 Stimmen dieser Vorlage zugestimmt, damit in
Zukunft auch unsere kantonalen Abstimmungsunterlagen, wie seit 1986 die
eidgenössischen, in der romanischen Einheitssprache verfasst werden
können. "Gleiches Recht für alle" ist hier keine abgedroschene Parole.
Nein, denn wenn für die Leute aus dem Bergell, dem Misox und dem
Puschlav die Abstimmungsunterlagen in "italienischer Sprache", für die
Leute aus dem Prättigau, aus dem Churer Rheintal und dem Samnaun diese
in "deutscher Sprache" aufgelegt werden, soll für die Leute
rätoromanischer Zunge, aus dem Surmeir, aus der Sutselva, aus der
Surselva, aus dem Ober- und Unterengadin, aus dem Münstertal und auch
für diejenigen die zum Beispiel in Chur leben, das gleiche Recht gelten:
Die Abstimmungsunterlagen werden in "romanischer Sprache" aufgelegt.
Auch das Rechtsbuch wird nicht mehr in den beiden Idiomen Vallader
und Sursilvan herausgegeben, sondern nur noch in einer romanischen
Fassung, in Rumantsch grischun. Für mich kommt hier ein demokratisches
Prinzip zum Tragen: Der Föderalismus. Oder einfacher ausgedrückt: Der
Starke hilft dem Schwachen. Die Idiome bilden weiterhin das Gemäuer des
rätoromanischen Hauses. Was nützen aber die schönsten Mauern, wenn das
Haus kein Dach hat? Ein Dach allein ist auch ohne Wert. Das Rumantsch
grischun ist das entsprechende Dach für das romanische Haus mit den
Idiomen als Mauern. Ich gebe zu, die Ziegel sind noch ziemlich neu. Sie
haben aber bereits verschiedene Unwetter überstanden und leisten einen
wertvollen Dienst zur Erhaltung des Hauses der rätoromanischen Sprache
und Kultur. So werden zum Beispiel sämtliche Stelleninserate des Kantons
seit 1996 mit Erfolg in Rumantsch grischun veröffentlicht.
Jenen, die der Vorlage eine Sparübung unterstellen wollen, muss ich
entgegnen, dass das Gegenteil der Fall ist. Mit einem Ja zum Rumantsch
grischun, kann der Kanton mehr Texte, mehr Verordnungen, mehr Formulare,
mehr ..., kurz, einiges mehr für die Förderung der romanischen Kultur
und Sprache leisten. Mit einem Ja geben wir unserer romanischen Jugend
die gleichen Chancen wie der deutsch- und italienischsprachigen Jugend.
Die romanischen Kinder haben nämlich weit weniger Berührungsängste oder
Verständnisschwierigkeiten mit ihrer Einheitssprache als viele gern
wahrhaben möchten.
Das Rumantsch grischun dient allein der Stärkung der romanischen
Sprache und Kultur. Die Einheitssprache ist nicht gegen die Idiome
gerichtet, sie ist eine sinnvolle Ergänzung. Auch Rätoromaninnen und
Rätoromanen haben das Recht auf eine sprachliche Gleichbehandlung in
unserem Kanton. "Chara lingua da la mama" wird weiterhin in ladin
gesungen. Würde man dieses Lied in Rumantsch grischun singen, wäre das
etwa gleich unsinnig, wie wenn man "Vo Lozärn gega Weggis zue" ins
Hochdeutsche übersetzen würde. In Trun wird man weiterhin in sursilvan
kommunizieren, in Valchava wird man weiterhin Jauer, in Stierva
weiterhin surmiran sprechen und so weiter und so fort.
Das Rumantsch grischun existiert. Alle Bündnerinnen und Bündner sind
für den Fortbestand unserer einmaligen Dreisprachigkeit verantwortlich,
darum haben auch alle das demokratische Recht zu dieser Frage Stellung
zu nehmen.
Regierungsrat Claudio Lardi
Vorsteher des Erziehungs-, Kultur- und
Umweltschutzdepartements Graubünden
Gremium: Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement Graubünden
Quelle: dt Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement
Graubünden