Welche Aufgaben sollen Kanton und Gemeinden erfüllen und wie soll
der Grosse Rat gewählt werden? Diese beiden Fragen wird der Grosse Rat
im Oktober diskutieren. Nach Auffassung der Vorberatungskommission
sollen die wichtigsten öffentlichen Aufgaben in der Verfassung
umschrieben werden. Weiter schlägt die Kommission vor, dass die
Stimmberechtigten in einer separaten Abstimmung über das Wahlverfahren
entscheiden können. Die Variantenabstimmung zwischen dem heutigen
Wahlverfahren und dem sogenannten "Bündner Modell" soll gleichzeitig mit
der Abstimmung über die neue Verfassung stattfinden.
Die Ausgestaltung der öffentlichen Aufgaben und die
Variantenabstimmung zum Wahlverfahren bilden zwei Schwerpunkte, welche
die Kommission unter dem Vorsitz von Barla Cahannes Renggli und Andrea
Brüesch im Hinblick auf die Session des Grossen Rates Anfang Oktober im
Beisein von Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf beraten hat. Beim
Abschnitt über die öffentlichen Aufgaben schlägt die Kommission
mehrheitlich vor, die wichtigsten und längerfristigen Aufgaben des
Staates kurz und prägnant zu umschreiben. Die Vernehmlassung hat
gezeigt, dass dieser Ansatz mehrheitsfähig ist. Eine bürgernahe und
zukunftsgerichtete Verfassung soll den Bürgerinnen und Bürgern zeigen,
welche Staatsziele Kanton und Gemeinden erreichen wollen. Ein wichtiges
Anliegen ist dabei die dezentrale Besiedlung Graubündens und der Schutz
der dünnbesiedelten Gebiete und der Randregionen. Beim Vorschlag der
Kommissionsmehrheit handelt es sich um einen Mittelweg zwischen dem
Vorschlag der Regierung und dem Vernehmlassungsentwurf der früheren
Verfassungskommission. Während der ursprüngliche Verfassungsentwurf eine
umfassende Regelung der einzelnen Aufgabenbereiche vorsah, will die
Regierung die Aufgaben nur beispielhaft aufzählen.
Wie die Sondersession im Juni gezeigt hat, bildet das Wahlverfahren
für den Grossen Rat einen umstrittenen Teil der neuen Verfassung.
Allerdings enthält die neue Verfassung noch andere, ebenso wichtige
Punkte und Neuerungen. Die Diskussion über die neue Verfassung soll sich
nach Auffassung der Kommission nicht nur auf diese eine Frage
beschränken. Aus diesem Grund beantragt die Kommission einstimmig,
gleichzeitig mit der Abstimmung über die neue Verfassung eine
Variantenabstimmung zum Wahlverfahren durchzuführen. Damit können die
Stimmberechtigten entscheiden, ob die Mitglieder des Grossen Rates
weiterhin im Mehrheits-Wahlverfahren oder nach dem Bündner Modell
gewählt werden sollen. Der Grosse Rat hat sich im Juni deutlich für das
bisherige Wahlverfahren ausgesprochen und das von der Regierung
vorgeschlagene "Bündner Modell" abgelehnt. Danach würde in jedem der 39
Kreise ein Mitglied des Grossen Rates nach dem Majorz-Wahlverfahren
gewählt (Direktmandat). Die Wahl der anderen 81 Mitglieder des Grossen
Rates würde in den elf Bezirken nach dem Proporz-Wahlverfahren erfolgen.
Dabei wären die Direktmandate zu berücksichtigen.
Bei den weiteren Anträgen der Vorberatungskommission fallen vor
allem jene zum "Sprachenartikel" und zur Anerkennung der Kirchen und
Landeskirchen auf. Neu sollen die drei Landes- und Amtssprachen -
Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch - ausdrücklich als gleichwertig
bezeichnet werden. Die Kommission hat sich auf diese pragmatische
Formulierung geeinigt, um den Anliegen der angestammten sprachlichen
Minderheiten einerseits und den praktischen Möglichkeiten des Kantons
andererseits Rechnung zu tragen. In Bezug auf das Verhältnis von Kirchen
und Staat versucht die Vorberatungskommission, die heutige
Verfassungswirklichkeit der öffentlichen Anerkennung der beiden Kirchen
präzise und für alle Seiten akzeptabel zu formulieren. Im Übrigen
beschränken sich die Anträge der Kommission weitgehend auf Anpassungen
des Verfassungstextes an Beschlüsse des Grossen Rates anlässlich der
Juni- und der August-Session. Dies gilt etwa bei den Grundrechten oder
den Gesetzgebungskompetenzen.
Die Totalrevision der Kantonsverfassung verfolgt das Ziel, ein
modernes, bürgernahes und zukunftsgerichtetes Grundgesetz zu schaffen,
das auf gewachsenen Grundlagen aufbaut und heutigen wie zukünftigen
Anforderung genügen kann. Eine Verfassung drückt in grundsätzlichen
Bestimmungen aus, wie die Bürgerinnen und Bürger ihren Staat in Bezug
auf die öffentlichen Aufgaben, die Behördenorganisation sowie ihre
Rechte und Pflichten ausgestalten wollen. Sie muss versuchen, die
Gemeinsamkeiten innerhalb des Kantons zu erfassen. Sie bietet die
umfassende Gelegenheit, Reformen und Anpassungen dort vorzunehmen, wo
dies nötig und zweckmässig ist.
Am 28. September 1997 haben die Stimmberechtigten beschlossen, die
Verfassung des Kantons Graubünden einer Totalrevision zu unterziehen.
Die Regierung setzte im Januar 1998 eine ausserparlamentarische
Kommission ein und beauftragte sie mit der Ausarbeitung einer neuen
Verfassung. Im Rahmen einer breiten Vernehmlassung, die bis Ende März
des letzten Jahres dauerte, konnten sich alle interessierten Personen
und Gruppierungen zum Vorentwurf dieser Kommission äussern. Gestützt auf
die Ergebnisse der Vernehmlassung hat die Regierung Anfang dieses Jahres
Botschaft und Entwurf an den Grossen Rat gerichtet. Mit Ausnahme der
öffentlichen Aufgaben hat der Grosse Rat die Vorlage anlässlich von zwei
Sondersessionen im Juni und im August in erster Lesung beraten. Die
zweite Lesung wird noch dieses Jahr abgeschlossen. Im nächsten Jahr
entscheiden dann die Stimmberechtigten des Kantons über die neue
Verfassung.
Gremium: Vorberatungskommission des Grossen Rates
Quelle: dt Vorberatungskommission des Grossen Rates