Die geltende Verfassung genügt den heutigen Anforderungen nicht
mehr. Die Regierung legt ihre Botschaft für eine neue Kantonsverfassung
vor. Ihr Entwurf verbindet Bewährtes mit notwendigen Reformen und trägt
den Gegebenheiten im Kanton Graubünden Rechnung.
Die vorgeschlagene Totalrevision hat das Ziel, ein modernes,
bürgernahes und zukunftsgerichtetes Grundgesetz zu schaffen, das
Bewährtes stärkt und die notwendigen Neuerungen einführt. Angestrebt
werden eine bürgerfreundliche Staatsorganisation, eine effiziente und
wirtschaftliche Zuständigkeitsordnung auf allen staatlichen Ebenen,
demokratische und gleichzeitig sach- und zeitgerechte
Entscheidungsverfahren sowie eine verständliche und klare Sprache.
Die grösste Neuerung betrifft die Parlamentswahlen. Die Regierung
schlägt eine Lösung vor, die auf die Bedürfnisse der Bevölkerung in den
Randregionen wie auch der kleinen Parteien Rücksicht nimmt. Dazu sollen
Majorz und Proporz in einem Wahlsystem vereint werden. Nach dem
Vorschlag der Regierung wird in jedem der 39 Kreise ein Mitglied des
Grossen Rates nach dem Mehrheits-Wahlverfahren gewählt (Direktmandat).
Die Wahl der anderen 81 Mitglieder des Grossen Rates erfolgt in den elf
Bezirken nach dem Verhältnis-Wahlverfahren. Dabei sind die Direktmandate
zu berücksichtigen. Beim vorgeschlagenen "Bündner Modell" handelt es
sich um ein eigenständiges, auf den Kanton Graubünden zugeschnittenes
Wahlsystem.
Grundlegend neu geordnet wird auch der Bereich der Volksrechte. Die
vorgeschlagenen Änderungen sind aufeinander abgestimmt und ergeben ein
ausgewogenes Paket, das den staatlichen Behörden und den
Stimmberechtigten klare Vorteile bringt. Neu sollen beispielsweise die
Gemeinden bestimmen können, ob sie den Ausländerinnen und Ausländern das
Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene erteilen wollen. Weiter möchte
die Regierung die Volksinitiative an die Bedürfnisse der
Stimmberechtigten anpassen. Der Entwurf stärkt dabei den Rechtsschutz
und die Einflussmöglichkeiten der Gemeinden. Beim Referendum schlägt die
Regierung vor, dass Gesetzesänderungen in Zukunft nicht mehr dem
obligatorischen, sondern dem fakultativen Referendum unterliegen. Die
Abstimmung findet statt, wenn 1'500 Stimmberechtigte oder ein Fünftel
der Mitglieder des Grossen Rates dies verlangen. Neu sollen auch 20
Gemeinden ein Referendumsrecht erhalten. Das Volk wird also auch in
Zukunft über alle wichtigen oder umstrittenen Gesetze befinden können.
Gleichzeitig sieht die Regierung zwei Möglichkeiten für eine
differenzierte Meinungsäusserung der Stimmberechtigten vor:
Grundsatzabstimmungen und Abstimmungen über Varianten. Im Gegensatz zur
Verfassungskommission verzichtet die Regierung darauf, das konstruktive
Referendum einzuführen.
Graubünden braucht eine Reform der Verwaltungsgliederung. Dies wird
von keiner Seite bestritten. Unterschiedliche Auffassung bestehen nur
beim "Wie". Nach Ansicht der Regierung führt der beste Weg über eine
Stärkung der regionalen Zusammenarbeit. Sie hat sich für eine flexible
und schlanke Lösung entschieden. Der Entwurf ermuntert die Gemeinden auf
Grund der bisherigen Erfahrungen, sich zu öffentlich-rechtlichen
Regionalverbänden zusammenzuschliessen. Diese sollen nach Auffassung der
Regierung für die Aufgaben zuständig sein, die sie besser und günstiger
als der Kanton oder die Gemeinden erfüllen können. Allerdings soll nicht
die Verfassung, sondern die Gesetzgebung die genauen Zuständigkeiten der
Regionen regeln.
Die Dreisprachigkeit ist ein "Markenzeichen" des Kantons Graubünden.
Die neue Verfassung legt ein klares Bekenntnis zur Dreisprachigkeit ab.
Kanton und Gemeinden werden verpflichtet, das Rätoromanische und das
Italienische als kantonale Landes- und Amtssprachen noch stärker zu
fördern. Der Vorschlag der Regierung orientiert sich an den Vorgaben der
Bundesverfassung.
Mit der Totalrevision der Kantonsverfassung besteht die Möglichkeit,
staatspolitische Grundsatzfragen zur Diskussion zu stellen. Sie bietet
die umfassende Gelegenheit, Reformen und Anpassungen dort vorzunehmen,
wo die geltende Verfassung nicht mehr zeitgemäss ist. Weitere
Hauptpunkte der vorgeschlagenen Kantonsverfassung können wie folgt
zusammengefasst werden:
-Verankerung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze
-Einführung einer kantonalen Verfassungsgerichtsbarkeit
-Stellung und Zusammenarbeit der Gemeinden
-Zusammenfassung der wichtigsten Staatsaufgaben
-Festhalten am bisherigen Verhältnis von Kirche und Staat
Eine Verfassung drückt in grundsätzlichen Bestimmungen aus, wie die
Bürgerinnen und Bürger ihren Staat in Bezug auf die öffentlichen
Aufgaben, die Behördenorganisation sowie ihre Rechte und Pflichten
ausgestalten wollen. Sie muss versuchen, die Gemeinsamkeiten innerhalb
des Kantons zu erfassen. Der Entwurf der Regierung will die
Staatlichkeit des Kantons Graubünden zeigen und den Handlungsspielraum
selbstbewusst nutzen. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass dieser
Ansatz, den bislang alle Kantone gewählt haben, mehrheitsfähig ist.
Am 28. September 1997 haben die Stimmberechtigten beschlossen, dass
die Verfassung des Kantons Graubünden einer Totalrevision zu unterziehen
sei. Die Regierung setzte im Januar 1998 eine Kommission ein und
beauftragte sie mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Im Rahmen
einer breiten Vernehmlassung, die bis Ende März des letzten Jahres
dauerte, konnten sich alle interessierten Personen und Gruppierungen zum
Vorentwurf äussern. Dieser Entwurf, den die 30-köpfige
Verfassungskommission erarbeitet hatte, wurde allgemein als gute und
taugliche Grundlage für die weiteren Arbeiten betrachtet. Die
grundsätzliche Zustimmung schloss jedoch Kritik in einzelnen (wichtigen)
Punkten nicht aus. Gestützt auf die Ergebnisse der Vernehmlassung hat
das Verfassungssekretariat den Entwurf der Verfassungskommission nach
den Vorgaben der Regierung überarbeitet.
Gremium: Regierung
Quelle: dt Finanz- und Militärdepartement Graubünden