Die Bündner Regierung will bei der Justiz die Aufgaben entflechten
und eine neue Grundlage für eine gute und effiziente Justiz im Kanton
Graubünden legen. Mit einer Teilrevision der Kantonsverfassung soll die
Grundsatzfrage geklärt werden, ob die richterlichen Aufgaben der Kreise
künftig den Bezirksgerichten und der Staatsanwaltschaft übertragen
werden sollen. Die Kreise bleiben politische Verwaltungskörper und
Wahlkreise für den Grossen Rat. Die Regierung hat die entsprechende
Botschaft an den Grossen Rat verabschiedet. Dieser wird das Geschäft in
der Oktobersession behandeln.
Die Arbeiten an der schweizerischen Straf- und der
Zivilprozessordnung (StPO bzw. ZPO) sind abgeschlossen oder werden
voraussichtlich in diesem Jahr abgeschlossen. Das Inkrafttreten ist auf
den 1. Januar 2011 geplant. Die Auswirkungen des neuen Bundesrechts
betreffen im Kanton Graubünden insbesondere die Kreise, aber auch die
Bezirksgerichte, die Gemeinden und die Staatsanwaltschaft.
Vor allem die Vorgaben der schweizerischen StPO mit der Einführung
des Staatsanwaltschaftsmodells haben erhebliche Auswirkungen für die
Kreise. Wegen des zwingenden Bundesrechts kann künftig nicht mehr die
Kreispräsidentin beziehungsweise der Kreispräsident die Strafmandate bei
Vergehen und Verbrechen erlassen, sondern die Staatsanwaltschaft. Dies
führt dazu, dass bei den Kreisämtern insgesamt etwa ein Viertel der
Arbeitslast und die Hälfte ihrer Einnahmen aus den richterlichen Aufgaben oder rund 3.3
Millionen Franken pro Jahr wegfallen. Diese Einnahmenausfälle können nicht gänzlich
durch Personalabbau kompensiert werden; je nach Stellenabbau steigt das jährliche,
von den Gemeinden zu deckende Defizit der Kreise um zwei bis 2.5 Millionen Franken.
Der Vorschlag der Regierung wurde in der Vernehmlassung
unterschiedlich aufgenommen. Bei den Parteien, Wirtschaftsverbänden, dem
Anwaltsverband und dem Kantonsgericht stiess der Vorschlag auf
Zustimmung, während ihn die Kreise und rund 70 Gemeinden ablehnen.
Gestützt auf das Ergebnis der Vernehmlassung erachtet die Regierung
ihren Vorschlag aber weiterhin als sachgerecht und politisch
mehrheitsfähig.
Regierung sieht Vorteile in einer umfassenden Reform
Die Regierung will die Umsetzung der StPO und der ZPO in Graubünden
nicht nur auf die zwingend nötigen Anpassungen an das Bundesrecht
beschränken, sondern sie schlägt in ihrer Botschaft eine umfassende
Reform der Gerichtsorganisation vor. Diese zielt darauf, die
Justizaufgaben zu entflechten und eine klare Zuständigkeitsordnung mit
einfacheren Strukturen zu schaffen. Die bisherigen richterlichen
Aufgaben der Kreise werden im Strafrecht der Staatsanwaltschaft und im
Zivilrecht den Bezirksgerichten übertragen. Die Kreise bleiben jedoch
Wahlkreis für den Grossen Rat und politische Verwaltungskörper. Nicht
betroffen sind das Vormundschaftswesen, die Betreibungs- und
Konkursämter sowie die Kreisnotariate.
Die Konzentration der bisherigen richterlichen Aufgaben der Kreise
bei den Bezirksgerichten und der Staatsanwaltschaft hat nach Auffassung
der Regierung für die Bürgerinnen und Bürger zahlreiche Vorteile. Eine
konsequente Gewaltentrennung erhöht die richterliche Unabhängigkeit. Die
Aufgabenentflechtung schafft schlankere Strukturen und ermöglicht so
einfachere Abläufe und raschere Verfahren. Zudem werden die bestehenden
dezentralen Strukturen der Staatsanwaltschaft und der Bezirksgerichte
ausgebaut, so dass Bürgernähe und Vertrautheit mit den lokalen
Gegebenheiten gewährleistet bleiben. Schliesslich schafft der Vorschlag
der Regierung die Grundlage für die vollumfängliche Finanzierung der
Justiz durch den Kanton. So können für Gemeinden und Steuerpflichtige
finanzielle Mehrbelastungen vermieden werden.
Die Regierung ist überzeugt, dass ein Festhalten an der heutigen
Organisation wegen der Mehrkosten für die Gemeinden und der absehbaren
künftigen Herausforderungen wie beispielsweise der elektronische
Schriftverkehr mit den Gerichten wohl nur eine kurzfristige Lösung wäre.
Die vorgeschlagene Aufgabenentflechtung bei der Justiz entspricht nach
Meinung der Regierung zudem einem ausgewiesenen Bedürfnis und nimmt auf
die Besonderheiten im Kanton Rücksicht. Sie berücksichtigt die Vorgaben
des Grossen Rats und die Prioritäten des Regierungsprogramms 2009-2012.
Die Teilrevision der Kantonsverfassung schafft eine neue Grundlage für
eine gute und effiziente Justiz in Graubünden. Nur eine umfassende
Reform erlaubt eine mittel- und langfristige Lösung unter Beachtung der
traditionellen Strukturen. Die Vorlage wird zur Stärkung der dezentralen
Organisation der erstinstanzlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit
beitragen, so dass die Gerichte in Graubünden die kommenden
Herausforderungen zu bewältigen vermögen.
Durch die Aufgabenentflechtung und Trennung von Justiz und Politik
sieht die Regierung die Gerichtsreform als einen klärenden Schritt zu
einer nachhaltigen und umfassenden Strukturbereinigung im Kanton
Graubünden mit seinen 11 Bezirken, 12 Regionalverbänden, 39 Kreisen,
rund 200 Gemeinden und über 400 Gemeindeverbänden. Die Reform bildet
eine gute Grundlage für weitere Strukturbereinigungen, ohne solche zu
präjudizieren oder vorauszusetzen. Sie stellt auch für sich allein
genommen eine in sich geschlossene und zweckmässige Lösung dar.
Kreise bleiben als politische Verwaltungskörper erhalten
Die Regierung sieht die Kreise als Träger von Verwaltungsaufgaben,
für welche die Gemeinden zu klein und die Regionalverbände zu gross
sind. Mögliche Aufgaben sind beispielsweise Schulen, Spitäler, Alters-
und Pflegeheime, Steuerämter, Bauämter oder Forstämter. Die Abschaffung
der Kreise steht für die Regierung nicht zur Diskussion, da die
bisherige Kreiseinteilung nach Auffassung der Regierung als Basis für
die künftige Gemeindestruktur dienen kann. Im Hinblick auf die Schaffung
von leistungsfähigen und professionell organisierten Gemeinden erachtet
sie nämlich viele Kreise als geeigneten Perimeter für Gemeindefusionen,
da sie eine genügende Grösse haben sowie zusammenhängende Talschaften
bilden oder auf ein Zentrum ausgerichtet sind. Neben den Kreisen sieht
die Regierung die Bezirke beziehungsweise die Regionalverbände als
Gefässe der dezentralen Aufgabenerfüllung durch den Kanton und der
gemeinsamen Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden, wenn möglich
zahlenmässig reduziert und mit deckungsgleichem Perimeter. Den Bezirken
obliegen dabei die Justizaufgaben, während die Regionalverbände für
Verwaltungsaufgaben zuständig sind. Auf dieser Grundlage sollen
verwaltungsintern bis Ende 2010 eine Auslegeordnung mit einer
Beurteilung der bisherigen Strategie erstellt und Wege zur Erreichung
der Zielvorstellung aufgezeigt werden. Sobald das Modell konkrete
Ausgestaltung angenommen hat, ist es in einer breiten öffentlichen
Diskussion auf seine Tauglichkeit zu prüfen.
Gestaffeltes Vorgehen zur Umsetzung von StPO und ZPO
geplant
Bei der Umsetzung der schweizerischen StPO und ZPO hat sich die
Regierung für ein gestaffeltes Vorgehen entschieden. Mit der
Teilrevision der Kantonsverfassung soll zuerst die Grundsatzfrage nach
den richterlichen Aufgaben der Kreise und somit nach der künftigen
Ausgestaltung der erstinstanzlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit
geklärt werden. Die Volksabstimmung findet Anfang Februar 2009 statt.
Dieser Entscheid bildet dann die Grundlage für die konkrete Umsetzung
auf Gesetzesstufe, die dem Grossen Rat nächstes Jahr mit einer separaten
Botschaft unterbreitet wird.
Wird die Teilrevision der Kantonsverfassung abgelehnt, kann die
Aufgabenentflechtung bei der Justiz nicht im vorgeschlagenen Mass
erfolgen. Die Umsetzung beschränkt sich in diesem Fall auf die zwingenden
Anpassungen an die bundesrechtlichen Vorgaben mit ihren
finanziellen Auswirkungen auf die Kreise und Gemeinden.
Auskunftsperson:
Regierungsrätin Barbara Janom Steiner, Vorsteherin Departement für
Justiz, Sicherheit und Gesundheit, Tel. 081 257 25 01
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden