Die Bündner Regierung spricht sich für einen Wechsel des Wahlsystems in den Grossen Rat aus. Das Verhältniswahlverfahren soll aber mit der dafür notwendigen Zeit eingeführt und erstmals 2018 angewendet werden. In diesem Sinne stellt die Regierung der kantonalen Volksinitiative "Für gerechte Wahlen" einen direkten Gegenvorschlag gegenüber.
Die im August 2011 von einem überparteilichen Komitee eingereichte Volksinitiative "Für gerechte Wahlen" verlangt die Wahl des Bündner Grossen Rates nach dem Verhältniswahlrecht (Proporz). Bereits bei den nächsten Grossratswahlen im Jahr 2014 soll es an der Stelle des bisherigen Mehrheitswahlrechtes (Majorz) zur Anwendung kommen. Mit der Initiative soll nach Angaben der Initianten das Bündner Wahlsystem modernisiert und auf den gleichen Stand praktisch aller anderen Kantone und des Bundes gebracht werden. Das Verhältniswahlverfahren garantiere eine Vertretung der einzelnen Parteien im Rat nach ihrer tatsächlichen Stärke und ermögliche auch kleineren Parteien die Einsitznahme.
Das Bündner Stimmvolk konnte sich in den letzten 75 Jahren mehrfach zur Frage der Einführung des Proporzwahlverfahrens für die Wahl des Grossen Rates äussern. Bis heute lehnte der Souverän alle Vorstösse zur Änderung des bestehenden Wahlsystems ab, teilweise allerdings knapp. Ausser dem Kanton Graubünden wählt nur noch der Kanton Appenzell Innerrhoden das Parlament ausnahmslos nach dem Mehrheitswahlverfahren. Einige Kantone, wie etwa Uri und Appenzell Ausserrhoden, haben ein Mischwahlsystem.
Die Zeit ist reif für einen Wechsel
Die Bündner Regierung hat sich bereits in Zusammenhang mit der Volksinitiative "Pro Proporz" 1996, wie auch 2003 bei der Totalrevision der Kantonsverfassung mit dem Variantenvorschlag des "Bündner Modells" für eine Erneuerung des Wahlsystems ausgesprochen. Schon damals wollte die Regierung insbesondere der Forderung nach einer besseren parlamentarischen Vertretung der Minderheiten nachkommen. In den letzten Jahren haben sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Kanton weiter verändert. Die territorialen Unterschiede sind heute stark relativiert, die politische Landschaft ist noch vielfältiger geworden. Die Argumente für einen Systemwechsel sind stärker denn je.
Trotz dieser positiven Grundhaltung gegenüber der Einführung des Verhältniswahlverfahrens lehnt die Regierung die Volksinitiative "Für gerechte Wahlen" ab. Bei einer Annahme der Initiative durch das Stimmvolk wären sowohl eine umfassende Ausführungsgesetzgebung als auch umfangreiche organisatorische und technische Vorbereitungsarbeiten notwendig. Viele Fragen müssten geklärt werden. Beispielsweise sieht die Initiative neu die Bezirke als Wahlkreise vor. Eine Wahlkreiseinteilung auf Grundlage der heutigen Bezirke genügt aber bei Proporzwahlen den bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die so genannte Erfolgswertgleichheit der Stimmen müsste zusätzlich garantiert werden.
Gegenvorschlag mit realistischem Vorgehen
Eine Durchführung der Wahlen 2014 nach dem Proporzwahlrecht wäre nur bei einem absolut optimalen Verlauf aller dafür notwendigen Vorkehrungen möglich. Nach Ansicht der Regierung ist es aber nicht zu verantworten, die Frage nach dem künftigen Wahlsystem für den Kanton Graubünden in einem solch engen zeitlichen Rahmen zu diskutieren und zu entscheiden. Hinzu kommt, dass die Bezirke im Zuge der laufenden Gebietsreform voraussichtlich per Ende 2016 aufgehoben werden. Für die Wahlen 2018 müssten die Wahlkreise wiederum neu festgelegt werden.
Die Regierung beantragt dem Grossen Rat, der Initiative einen direkten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen, der die Einführung der Verhältniswahl für die Erneuerungswahlen 2018 vorsieht. Dem Gesetzgeber wird es überlassen, bis dahin alle Elemente eines Proporzwahlsystems zu regeln. Im Gegensatz zur Volksinitiative "Für gerechte Wahlen" werden die Mandate wie bisher entsprechend der schweizerischen Wohnbevölkerung auf die Wahlkreise verteilt. Die Initiative stellt die Sitzverteilung auf die gesamte Wohnbevölkerung ab.
Initiative und Gegenvorschlag sollen dem Volk am 3. März 2013 gleichzeitig zur Abstimmung unterbreitet werden. Die Ausgestaltung der Abstimmungsvorlage hängt allerdings von den konkreten Beschlüssen des Grossen Rates ab. Das Parlament wird das Geschäft in der Oktobersession 2012 beraten.
Beilagen:
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Botschaft der Regierung an den Grossen Rat: Kantonale Volksinitiative "Für gerechte Wahlen"
Auskunftspersonen:
- Regierungspräsidentin Barbara Janom Steiner, Vorsteherin Departement für Finanzen und Gemeinden, Tel. 081 257 32 01
- Kanzleidirektor Claudio Riesen, Tel. 081 257 22 21
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden