Der Kanton verzichtet darauf, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. September 2015 an das Schweizerische Bundesgericht weiterzuziehen. Die Chancen, dass das oberste Gericht auf eine Beschwerde eintreten und die zentrale Rechtsfrage beantworten würde, werden als zu gering beurteilt. An der bisherigen Rechtsauffassung des Kantons in der Sache selbst ändert sich durch das Urteil des Verwaltungsgerichts nichts. Die Frage, ob es in einer fusionierten Gemeinde nebst einer Bürgergemeinde auch eine (oder mehrere) bürgerliche Genossenschaften haben darf, bleibt vorerst weiterhin gerichtlich unbeantwortet.
Vorgeschichte
Auf den 1. Januar 2014 schlossen sich 13 politische Gemeinden rund um Ilanz zur neuen Gemeinde Ilanz/Glion zusammen. Von einer Fusion politischer Gemeinden sind nach dem kantonalen Recht auch die Bürgergemeinden betroffen. Schliessen sich die politischen Gemeinden zusammen, gilt der Zusammenschluss automatisch auch für die im Fusionsperimeter bestehenden Bürgergemeinden. Lösen sich diese Bürgergemeinden im Zuge eines Zusammenschlusses der politischen Gemeinden auf, dann kann das bürgerliche Vermögen in bürgerliche Genossenschaften ausgelagert werden. Die einschlägige kantonale Gesetzgebung wurde der Bürgergemeinde Ilanz und den übrigen durch das Fusionsprojekt Ilanz/Glion berührten Bürgergemeinden mehrfach kommuniziert.
Im Wissen, dass nicht alle Bürgergemeinden im Fusionsperimeter Ilanz/Glion eine Auflösung beschlossen hatten, es somit in der neuen Gemeinde Ilanz/Glion eine neue Bürgergemeinde geben werde, lud die Bürgergemeinde Ilanz auf den 16. Dezember 2013 zu einer Versammlung ein. An der Versammlung traktandiert war unter anderem die "Gründung einer bürgerlichen Genossenschaft mit sofortiger Übertragung aller Aktiven und Passiven der Bürgergemeinde Ilanz auf die Genossenschaft". Gleichzeitig wurde der Bürgerversammlung die Genehmigung eines Statutenentwurfes für die Genossenschaft und die Auflösung der Bürgergemeinde beantragt. Im Sinne der Fairness zeigte der Kanton im Vorfeld der Versammlung an, dass er im Falle solcher Beschlüsse aufsichtsrechtlich einschreiten müsse. Er teilte mit, dass bereits in formeller Hinsicht die Versammlung nicht beschlussfähig sei. Ausserdem würden Beschlüsse gefasst, die dem kantonalen Recht widersprechen würden.
Aufgrund dieser Information fasste die Bürgerversammlung am 16. Dezember keine Beschlüsse, stattdessen verlangten die anwesenden Bürger, eine Bürgerversammlung auf den 30. Dezember 2013 einzuberufen und verabschiedeten die Traktandenliste. Die Traktanden entsprachen denjenigen für die Versammlung vom 16. Dezember 2013, wurden aber ergänzt durch ein Traktandum "Wahlen". Wie angekündigt, schritt die Regierung aufsichtsrechtlich gegen die Auslagerungsabsicht ein und untersagte es der Bürgergemeinde Ilanz, ihr Vermögen auf eine bürgerliche Genossenschaft zu übertragen. Gegen die aufsichtsrechtlichen Anordnungen der Regierung erhob die Bürgergemeinde Ilanz bzw. die bürgerliche Genossenschaft Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Mit Urteil vom 1. September 2015 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut.
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1.9.2015
Das Gericht beschränkt sich in seinen Erwägungen einzig auf die Frage, ob der Bürgerrat der damaligen Bürgergemeinde Ilanz bei der Vermögensübertragung auf die bürgerliche Genossenschaft Ilanz handlungs- und beschlussfähig war. Nach Auffassung des Gerichts konnte sich die von der Regierung festgestellte Handlungs- und Beschlussunfähigkeit des Bürgerrates nur auf dessen (in der Folge nicht gefassten) Beschlüsse vom 16. Dezember 2013, nicht jedoch auf jene vom 30. Dezember 2013 beziehen. Entgegen der Ansicht der Regierung sei die am 16. Dezember 2013 beschlossene Einberufung der Bürgerversammlung auf den 30. Dezember 2015 nicht rechtswidrig. Aber auch wenn die Einladung zu dieser Bürgerversammlung fehlerhaft gewesen sein sollte, so seien die daselbst gefassten Beschlüsse lediglich anfechtbar und nicht nichtig. Irgendwelche Teilnahmerechte der Mitglieder der Bürgergemeinde seien zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Deshalb erscheine eine formell allenfalls nicht korrekt erfolgte Einladung nicht als tiefgreifender und wesentlicher Mangel.
Zur materiellen und im vorliegenden Rechtsstreit eigentlich zentralen und entscheidenden Rechtsfrage, ob in einer Gemeinde gleichzeitig sowohl eine Bürgergemeinde als auch eine bürgerliche Genossenschaft bestehen können (was die Regierung bestreitet), trat das Gericht nicht ein. Es beschränkte sich in seinen Erwägungen einzig auf die formell-rechtlichen Fragestellungen. Im Interesse wünschbarer Rechtsklarheit ist dies zu bedauern.
Verzicht auf Weiterzug
Die Regierung hat das Urteil sorgfältig analysiert und ist nach Abwägen der Prozesschancen zur Erkenntnis gelangt, dass sie keine Beschwerde an das Bundesgericht ergreifen wird. Sie erachtet es als eher unwahrscheinlich, dass das Bundesgericht überhaupt auf die Beschwerde einträte (1). Falls dies aber dennoch der Fall wäre, würde sich das Gericht mit grosser Wahrscheinlichkeit ebenfalls nur mit der Frage befassen, ob die Bürgergemeinde am 30. Dezember 2013 überhaupt rechtmässig Beschlüsse fassen konnte, nicht aber, ob die Beschlüsse selber rechtmässig sind. Letzteres bestreitet die Regierung weiterhin. Das Urteil äussert sich in der Sache ja gerade nicht, so dass weiterhin unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen bleiben. Sollten sich inskünftig gleiche Sachverhalte abspielen, würde der Kanton nicht zögern, aufsichtsrechtlich einzuschreiten. Ob die offene Rechtsfrage in einem spezifischen, d.h. aufsichtsrechtlichen Verfahren gegen die bürgerliche Genossenschaft Ilanz geklärt werden soll, wird innert nützlicher Frist zu entscheiden sein.
Die anstehende Totalrevision des Gemeindegesetzes wird auch zum Anlass genommen, einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf in Bezug auf die Bürgergemeinden und deren Vermögensauslagerungen auszuloten und zu präzisieren. Die Vernehmlassung soll im kommenden Jahr eröffnet werden.
(1) Gemäss Art. 95 Bundesgerichtsgesetz (BGG; SR 173.110) kann mit der Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht (lit. a), Völkerrecht (lit. b), kantonalen verfassungsmässigen Rechten (lit. c), kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und –abstimmungen (lit. d) sowie interkantonalem Recht gerügt werden (lit. e). Die Anwendung des kantonalen Rechts als solches kann nicht Beschwerdegrund vor Bundesgericht bilden.
Auskunftspersonen:
- Regierungsrätin Barbara Janom Steiner, Vorsteherin Departement für Finanzen und Gemeinden, Tel. 081 257 32 01, E-Mail:
Barbara.Janom@dfg.gr.ch
- Thomas Kollegger, Leiter Amt für Gemeinden, Tel. 081 257 23 81, E-Mail:
Thomas.Kollegger@afg.gr.ch
Gremium: Departement für Finanzen und Gemeinden
Quelle: dt. Departement für Finanzen und Gemeinden