DIE REGIERUNG
AN DIE EINWOHNERINNEN UND
EINWOHNER DES KANTONS GRAUBÜNDEN
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag jeweils am dritten Sonntag im September bietet Gelegenheit, sich auf Grundsätzliches zu besinnen, sich aber auch an Grundsätzlichem neu auszurichten. Gegenwärtig erleben wir eine Zeit, die teilweise durch einen harten, unerbittlichen und rücksichtslosen Umgang in Gesellschaft und Politik geprägt ist. Das Bild, das dabei vermittelt wird, trägt nicht gerade dazu bei, das Interesse an den Tätigkeiten von staatlichen und auch kirchlichen Institutionen zu wecken und Bürgerinnen und Bürger zu einer aktiven Teilnahme am Geschehen zu animieren. Viele wenden sich enttäuscht ab, wenn der Kampf zwischen Institutionen und Personen um Einfluss, Macht und Eigeninteressen zu einem unwürdigen Schauspiel ausartet.
Das ist verständlich und nachvollziehbar. Es ist gleichzeitig aber auch sehr bedauerlich, weil dadurch der Anreiz schwindet, Aufgaben in Kirche und Staat über ein Pflichtpensum hinaus zu übernehmen, vor allem wenn diese ständig im Fokus der Öffentlichkeit stehen und zum Teil nur bescheiden entschädigt sind. Noch schwieriger wird es, Leute für freiwillige Dienstleistungen zu gewinnen. Gerade darauf sind insbesondere die Kirchen, aber auch kleinere staatliche Institutionen dringend angewiesen.
Wie können nun Kirche und Staat dazu beitragen, dass sich Bürgerinnen und Bürger wieder vermehrt für gemeinschaftliche Aufgaben und Werte engagieren und so das gesellschaftliche und soziale Gefüge neu beleben? Ein Gefüge, das einerseits unabdingbar ist, um soziale Gerechtigkeit, das friedliche Zusammenleben und materielle Sicherheit für alle zu fördern. Ein Gefüge aber auch, das den Menschen Halt im Leben geben soll, indem es grundlegende christliche Werte als unabdingbaren Bestandteil der Lebensgestaltung wieder ins Zentrum des Interesses stellt.
Damit eine solche Belebung möglich ist, braucht es viel Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit jener, die Bürgerinnen und Bürger von der Wichtigkeit der Beachtung moralischer und ethischer Prinzipien überzeugen wollen. Grundlegende Werte kann nur glaubwürdig vertreten, wer als Person überzeugt, wer aufrichtig, transparent und nachvollziehbar argumentiert. Ein sorgsamer Umgang mit den Mitmenschen gehört ebenso dazu wie das Bewusstsein, dass Menschen im täglichen Leben aufeinander angewiesen sind. Daraus ergeben sich gegenseitiger Respekt, Verständnis und Hilfsbereitschaft. Toleranz heisst, sowohl andere mit ihren Meinungen zu respektieren wie auch Schwache zu stärken. Nicht zuletzt ein wichtiger Aspekt ist, mit verantwortungsvollem Handeln auch nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu erhalten.
Neben der Vorbildfunktion von Politikerinnen und Politikern sowie von kirchlichen Würdenträgern erfordert die vermehrte Ausrichtung gesellschaftlichen Handelns auf grundlegende Werte eine aktive Haltung insbesondere in der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten. Um unterschiedliche Grundhaltungen einander anzunähern, muss jemand die Initiative ergreifen. Es gibt viele Fragen, in denen Kirche und Staat in ihren Grundhaltungen vernünftige Annäherungen erzielen könnten, wenn sie dies nur wollen. Versöhnliche Haltungen können sehr viel dazu beitragen, christliche Grundwerte zu verwirklichen.
Versöhnung heisst nämlich auch, von eigenen Fundamental- und Machtvorstellungen abzuweichen, auf das Gegenüber zuzugehen und nach Kompromissen zu suchen, die für beide Seiten vertretbar sind. Konsens zu erzielen, bedeutet mitunter Frieden zu stiften. Auch das ist ein grundlegender christlicher Wert. Kirche und Staat sind moralisch verpflichtet, für bestehende Probleme nach Lösungen zu suchen. Das gilt gerade auch für Probleme in den gegenseitigen Beziehungen. Es wäre namentlich aus der Sicht von Bürgerinnen und Bürgern unverständlich, wenn sie dieser Verpflichtung nicht mit voller Hingabe nachkommen würden.
Nehmen wir also den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag zum Anlass, um neuen Schwung in den Dialog zwischen Kirche und Staat zu bringen. Der damit dokumentierte Wille, Herausforderungen konstruktiv und gemeinsam anzugehen, kann Bürgerinnen und Bürger zu vermehrter Mitwirkung nicht nur am Dialog, sondern ebenso an der Bewältigung kirchlicher und staatlicher Aufgaben animieren. Natürlich im Sinne der Gemeinschaft, freiwillig und selbstbestimmt. Eine Perspektive, die durchaus im Geiste vermehrter Orientierung an grundlegenden Werten gesehen werden kann.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, schauen wir mit Optimismus in die Zukunft, geben wir uns am Bettag Rechenschaft darüber ab, was für uns wirklich wichtig ist. Jeder für sich, jedoch auch mit Blick auf die Gemeinschaft, denn Kirche und Staat sind auf die Mitwirkung möglichst vieler Menschen angewiesen.
Chur, im September 2017
Namens der Regierung
Die Präsidentin: Barbara Janom Steiner
Der Kanzleidirektor: Claudio Riesen
Beilage:
Bettagsmandat 2017